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Ausgabe:

1881 Nr. 15

Spalte:

352-356

Autor/Hrsg.:

Schulte, Joh. Friedrich von

Titel/Untertitel:

Die Geschichte der Quellen und Literatur des canonischen Rechts von Gratian bis auf die Gegenwart. 3. Bd 1881

Rezensent:

Köhler, Karl

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Theologifche Literaturzeitung. 1881. Nr. 15.

3S2

wie S. 75 1830 ft. 1803 berichtigt, irrthümliche Angaben
wie die, dafs Griesbach bis 1788 in Jena gewirkt oder
dafs Fichte fich fein Lazarethfteber ,durch feine aufopfernde
Thätigkeit in der Pflege verwundeter Krieger
zugezogen habe', zurechtgeftellt werden können. Immerhin
aber follen diefe kleinen Ausftellungen nur vorange-
ftellt fein als der nothwendige Vorbehalt, unter welchem
nun auch der für den Referenten bei weitem vorwiegende
Eindruck, die dankbare Freude über das durch diefe
Veröffentlichung Gebotene um fo voller zu ihrer Aeufser-
ung gelangen, kann. Sie mögen darauf hinweifen, wie
das Werk feinem Titel einer ,Gefchichte der Kirche von
der Mitte des 18. Jahrhunderts bis 1870' allerdings nur
in befchränkter Weife entfpricht und in diefer Hinficht
mit der gleichzeitig im Erfcheinen begriffenen Neubearbeitung
von Nippold's Neuefter Kirchengefchichte nicht
darf zufammengeftellt werden; in feinen beiden Haupt-
abfchnitten, der Gefchichte der deutfch - evangelifchen
und der römifch-katholifchen Kirche bleibt es nichts
defto weniger eine Leiftung von fo felbftändigem und
fo vollendetem Gepräge, dafs es fehr zu bedauern ge-
wefen wäre, wenn fie um folcher Unvollkommenheiten
und fonftiger Schwierigkeiten willen der theologifchen
Literatur wäre vorenthalten worden. Namentlich gilt
dies von dem erften diefer Abfchnitte, den deshalb auch
der Herausgeber mit Recht als den Kern des Ganzen
bezeichnet hat. Tritt uns in dem zweiten der verewigte
Verfaffer mehr in feinen anerkannten Vorzügen als Hifto- j
riker noch einmal entgegen, fo erhalten wir in jenem
neben einer gleichfalls lehrreichen gefchichtlichen Darfteilung
, welche in gefchickter Weife an den Regierungs-
perioden des preufsifchen Königshaufes aufgereiht ift,
zugleich eine hiftorifch und philofophifch feftbegründete I
Beurtheilung des gefchilderten Verlaufes, die jedem der
in demfelben hervorgetretenen Lebenstriebe gerecht zu
werden und nach dem allgemeinen praktifch religiöfen
Wefen der Kirche feinen Werth abzumeffen fucht. Die
Wärme perfönlicher Betheiligung, welche fchon in den
früheren Bänden die Darftellung der proteftantifchen Kirchengefchichte
in fo charaktervoller Weife belebt hatte,
giebt fleh hier allerdings in erhöhtem Mafse zu fpüren; |
auf philofophifchem Gebiete läfst fleh der pietätsvolle
Schüler und Schwiegerfohn von Fries, auf theologifch-
kirchlichem der entfehiedene Gegner Vilmar's in kräf-
tigfter Selbftbehauptung vernehmen, theilweife fo fehr,
dafs der Hiftoriker dem Kritiker beinahe ganz den Platz
abtritt — man vgl. z. B. S. 53 und 67 das über Sendling
und Hegel Gefagte oder S. 83 den Abfchnitt über den
neu-lutherifchen Confeffionalismus; aber wer fleh die
Stellung vergegenwärtigt, die Flenke gegenüber den phi-
lofophifchen und theologifchen Strömungen feiner Zeit
eingenommen hat und gerade gegen feine nächfte Umgebung
im Kampf zu behaupten hatte, wird ihm auch 1
diefe polemifche Schneide feiner Darfteilung nicht zum
Vorwurf machen, und Referent feinerfeits kann es nur
mit Zuftimmung begrüfsen, dafs diefe kritifche Plaltung
ihm die Möglichkeit giebt, die Aufgabe, welche der evangelifchen
Kirche in dem jüngft vergangenen Jahrhundert |
geftellt ift, weiter und tiefer zu erfaffen, als blofs die j
nach allen Seiten hin immer mehr antithetifch fleh zu-
fpitzende Pyramide für eine einzelne theologifche Richtung
oder kirchliche Partei zu bilden. Auch er ift mit
dem Herausgeber diefes Schlufsbandes der Ueberzeug-
ung, dafs die hier niedergelegte Auffaffung unferer neueften I
kirchengefchichtlichen Entwicklung ,wohl im Stande wäre,
dem Unfrieden und der Verwirrung zu fteuern, welche
unferem kirchlichen Gemeinwefenimmer verhängnifsvoller
und verderblicher zu werden drohen', und wünfeht von
Herzen, dafs die Wirkung, deren nach dem Zeugnifs des
genannten Gewährsmannes fchon das gefprochene Wort
in diefem Sinne fich erfreuen durfte, nun auch dem ge- I
druckten in noch gröfserer Ausdehnung zu Theil werden
möge. Auch das am Schlufs beigefügte Regifter j

zu den drei Bänden darf als willkommene Zugabe dem
Herausgeber verdankt werden.

Bafel. R. Staehelin.

Schulte, Geh. Juftizr.Prof.Dr.Joh. Friedr. v., Die Geschichte
der Quellen und Literatur des canonischen Rechts von

Gratian bis auf die Gegenwart. [3 BdeJ 3. Bd. Von
der Mitte des 16. Jahrhunderts bis zur Gegenwart.
3 Thle. [l. Das katholifche Recht und die katho-
lifchen Schriftfteller. — 2. u. 3. Das evangelifche
Recht, die evangelifchen Schriftfteller, die Gefchichte
der wiffenfehaftlichen Behandlung, Ueberficht.] Stuttgart
1880, Enke. (XVI, 783 u. 415 S. gr. 8.) 1.:
M. 25. —; 2. u. 3.: M. 13. 20.

Die vorliegenden drei Theile bringen den Abfchlufs
von Schulte's grofsem Werk über die Quellen und die
Literatur des kanonifchen Rechts feit Gratian. Das
Werk bietet viel mehr als der Titel erwarten läfst: ka-
nonifches Recht ift nach dem Sprachgebrauch des Verf.'s
nicht allein das im Corpus juris canon. befafste, fondern
überhaupt das Recht der Canones, der Kirchengefetze,
im Unterfchied von dem der ftaatlichen Gefetze, der
Leges, alfo das Kirchenrecht im ganzen Umfang. Demgemäß
bringt der dritte Band die Quellen und die Literatur
des geflammten Kirchenrechts der abendländifchen
Nationen feit der Reformation bis zur Neuzeit, auf ka-
tholifchem wie auf proteftantifchem Gebiete, zur Darfteilung
. Der erfte Thell des Bandes behandelt ,das katholifche
Recht und die katholifchen Schriftfteller', und
zwar: Abth. I die Gefchichte der Quellen, Abth. Ii die
Literatur, Cap. 1 die Schriftfteller und ihre Werke. Parallel
damit geht der zweite Theil, das evangelifche Recht
und die evangelifchen Schriftfteller darftellend: Abth. I
die Rechtsquellen, Abth. II die Literatur, Cap. 1 die
Schriftfteller und ihre Werke. Der dritte Theil endlich
giebt zufammenfaffend die Fortfetzung von Abth. II der
beiden vorigen Theile, Cap. 2 allgemeiner Charakter der
wiffenfehaftlichen Behandlung in der Schule, Cap. 3
Ueberficht der Schriften. Den Ausgangspunkt bildet für
das katholifche Recht der Abfchlufs des Concils von
Trient (1563), für das evangelifche der Eintritt der Reformation
(1517); erfteres ift bis zum vatikanifchen Concil
von 1870 dargeftellt, fo dafs die ganze durch diefes hervorgerufene
Bewegung — wohl mit Recht, da die Dinge
noch fo völlig im Fluffe find — aufser Betracht bleibt,
letzteres bis zur unmittelbaren Gegenwart. — Die beiden
letzten (übrigens an Umfang zufammen dem erften nicht
gleichkommenden) Theile find auch als felbftändiges Werk
im Buchhandel.

Inhalt- und lehrreich in hohem Mafse ift gleich der
Ueberblick des Ganges der kirchlichen Rechtsentwickelung
auf beiden Gebieten, dem katholifchen und evangelifchen,
der in den Eingangscapiteln des 1. und 2. Theils gegeben
wird (I, S. 3—53. II, S. 3—21). Insbefondere gilt diefes
Urtheil von dem der katholifchen Entwickelung gewidmeten
Abfchnitt. Die durch die Reformation völlig veränderte
Stellung der Kirche im focialen und ftaatlichen
Organismus, das hieraus fich ergebende neue Verhältnifs
zu den weltlichen Gewalten, auf der andern Seite die im
Innern fich unaufhaltfam vollziehende Centralifation im
Papftthum tritt Einem in klaren Zügen entgegen. Merkwürdig
ift, wie feit Trient alle in der kirchlichen Rechtsbildung
wirkfamen Factoren bewufst oder unbewufst
darin zufammentreffen, dem päpftlichen Centralifations-
ftreben zu dienen. Erft durch das Tridentinum ift das
Syftem, wonach die Kirche im Papftthum aufgeht, ihr
Recht im Papfte feine Quelle hat, zum Siege gekommen
Von nun an gilt der Satz, dafs der Papft über dem po-
fitiven Rechte flehe. Die Leitung der Kirche wird cen-
tralifirt in päpftlichen Adminiftrativbehörden; die von