Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1881 Nr. 15

Spalte:

348-349

Titel/Untertitel:

Jahrbuch der Gesellschaft für die Geschichte des Protestantismus in Oesterreich. 1. Jahrg 1881

Rezensent:

Lipsius, Richard Adelbert

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

347

Theologifche Literaturzeitung. 1881. Nr. 15.

348

Abhandlung eine ,quellenir,äfsige Darfteilung' gegeben, j fchichtsblättern 1880 S. 188 befchrieben worden. Die

Es war verhältnifsmäfsig leicht, über Wilsnack zu fchrei- 1 chronolog. Schwierigkeit im Leben Capiftrano's, welche

ben, da wir für diefen Ort treffliche Vorarbeiten befitzen, j Breeft S. 258 erörtert, flammt nur daher, dafs er das

Bereits im J. 1586 veröffentlichte Matthäus Ludecus in i Datum feria 6 p. fest. Lucac (1452) falfch berechnet hat.

feiner ,HISTORIA Von der erfindung, Wunderwercken
vnd zerftörung des vermeinten heiligen Bluts zur Wilfs-
nagk' nicht weniger als 63 Urkunden, und Riedel's Codex
diplom. Brand. 1. 2 S. 121—184 hat diefe Urkunden-
fammlung noch weiter vermehrt. Aber der Verf. hat
fich ernftlich angelegen fein laffen, diefe Materialien noch
weiter aus gedruckten und ungedruckten Quellen zu ver-
vollftändigen, und hat, was letztere anbetrifft, namentlich

Feria 6 post f. L. bedeutet ja nicht: am 6. Tage nach
Lucae = 24. Oct, fondern Freitag nach Lucae = 21.
Oct. 1452. Auch fei der Verf. daran erinnert, dafs in
Schriften des 16. Jahrh. ein den Eigennamen vorangefetztes
D. zumeift nur ,Doniinus nicht wie er angenommen
hat ,Doctod bedeutet. Auch Joh. Agricola war
nicht Doctor (S. 284), trotzdem dafs er bei Ludecus an
zwei Stellen fo genannt wird; das Richtige findet fich

für den Zeitraum von 1446—1452 manchen glücklichen j bei Ludecus z. B. Bl. Tijb. Wenn fich der Zerftörer

Fund gethan. Befonders werthvoll ift eine von ihm in
Deffau aufgefundene Synodalrede des Magdeburger Domherrn
Heinrich Tocke (Tacke), des unermüdlichen Be-
kämpfers des Wunderblutfchwindels, von 1451. Der
felbftändige Werth der Breeft'fchen Abhandlung liegt
daher vornehmlich in Cap. 5, welches den von Magdeburg
und Erfurt aus gegen das Wunderblut geführten
Kampf und das endliche Unterliegen des Erzbifchofs
im Kampfe gegen den frommen Trug feines Havelber-
ger Diöcefanbifchofs in Folge der unerwarteten Ent-
fcheidung Roms zu Gunften des Schwindels behandelt.
In diefem Capitel, welches mehr als die Hälfte der
ganzen Abhandlung (S. 181—274) umfafst und fchon
durch die Namen von Männern wie Tocke, Zolter, Jak.
Jüterbock, Capiftrano allgemeineres Intereffe beanfpru-
chen darf, bietet der Verf. viel Neues und Dankenswertlies
. Die übrigen Capitel der Abhandlung flehen hie-
gegen zurück; fie find vorwiegend eine Verarbeitung

des Wunderbluts Fred. Ellefeld für feine That auf eine
,Ordnung' Joachim's II. beruft, welche befohlen habe
,den Zulauf zur Wilsnack fonderlich mit Gottes Wort
zu ftrafen' (Ludecus Bl. Tijb. Breeft S. 281, vergl. auch
Ludecus Bl. C c b), fo ift dabei wohl nur die Schlufsbe-
ftimmung der Brandenb. K.-O. v. 1540 (Richter, Ev. K.
00. I. 334) gemeint, in welcher es heifst, die K. O. fei
publicirt, ,damit die reine Chriftliche lere in Vnfem landen
eintrechtig geprediget, die fchedlichen mis-
breuch abgelegt . . werden'. Zu S..284 bemerke ich,
dafs ,der Eifer um das Haus des Herrn', der ,Seelenkampf
' jenes Ellefeld, der am 28. Mai 1552 das Wunder-
blut zerftörte, eine etwas profaifchere Ausdeutung ge-
ftattet, als Breeft oder gar O. v. Leixner — der diefe
Zerftörung kürzlich als ,hiftorifche' Novelle bei fehr geringer
Kenntnifs der thatfächlichen Verhältnifsc behandelt
hat — angenommen haben. Es darf nämlich dabei
nicht überfehen werden, dafs foeben die Nachricht von

des bereits bekannten Materials. Jemehr nun der Fleifs ' dem fiegreichen Vordringen des Kurf. Moritz gegen den
des Verfaffers und fein Beftreben mit exaeter Quellen- Kaifer das evangel. Deutfchland mit neuen Hoffnungen
benutzung zu arbeiten, Anerkennung verdient, umfomehr ! erfüllte. — In den Beilagen wäre ftatt des Abdrucks der
ift zu bedauern, dafs er fich einige wichtige, bereits ge- I fchon von Hartzheim Concil. German. V veröffentlichten
druckte Quellen hat entgehen laffen. So zunächft die j Erklärungen der Magdeb. Provincialfynode v. 1412 gegen

für mittelalterliches Wallfahrtswefen in mehrfacher Beziehung
bedeutfame Abhandlung von Jac. v. Melle ,de
itineribus Lubecensium sacris', Lnbccae 1711, 40. Diefe

das Wilsnacker Treiben die Mittheilung jener Tocke'fchen
Synodalrede von 1451 noch erwünfehter gewefen. —
Eine genaue Befchreibung der intereffanten, leider unbehandelt
auf pg. 113—126 Lübecker Wallfahrten nach j vollendet gebliebenen und jetzt ftark in Verfall gerathe-
Wilsnack und theilt aus nicht weniger als 121 Tefta- ! nen Wilsnacker Kirche (nebft Grundrifs) ift eine dankens-
menten (v. 1370—1508) die letztwilligen Beftimmungen | werthe Zugabe. Wenn diefe Kirche fchon 1396 als
und Legate mit, welche Lübecker Bürger verordneten, j ,monastermm' bezeichnet wird, fo genügt hiefür fchwerlich

damit nach ihrem Ableben einer oder mehrere Pilgrime
,to dem hilleghen Blöde to der Wylfnacke' wandern
follten: ,to Salicheyt myner Selen', ,vor myne Zele',
,myner Selen to Trotte', oder wie der aus folcher Wallfahrt
durch Stellvertreter zu erhoffende Gewinn fonft

des Verfaffers Deutung, dafs man .die Hauptkirchc einer
Stadt von Bedeutung' Münfter genannt habe (S. 145)
denn W. war damals noch Dorf und hat ftets nur diefe
eine, alfo nie eine Haup tkirche gehabt. Vielmehr wird
anzunehmen fein, dafs die Kirche als Stiftskirche probezeichnet
wird. Diefe Abhandlung ift um fo wichtiger, J jectirt gewefen fei, wofür auch die Dimcnfionen des
als fie die Tradition von der Enttlehung der Wilsnacker j hohen Chores fprechen. In der fonft klaren Befchreibung

Wallfahrtsstätte in den Jahren 138384 — der auch Breeft
ohne Bedenken folgt — über den Haufen zu ftofsen
fcheint, da hier fchon ein Teftament vom J. 1370 vorgelegt
wird, welches benimmt, dafs zwei Männer zu einer
Pilgerfahrt ,tor Wilfnake' abgefendet werden follen.
Hier ift alfo eine kritifche Prüfung der Tradition, event.
eine Prüfung jenes Lübecker Teftaments und feiner Da-
tirung dringend erforderlich. — Ferner hat der Verf. für
Cap. 6 (die Zeit von 1453 — 1552) den wichtigen Bericht
aus Konrad Stolle's Erfurter Chronik vom J. 1475 überfehen
, den L. F. Heffe 1851 in Bd. VIII der Haupt'fchen
Zeitfchr. f. d. Alterth. S. 308 — 312 (auch in Bd. 32 der
Biblioth. des Stuttg. litt. Vereins 1854 S. 128 fg.) veröffentlicht
hat: ,Wie das junge volck lieff zu dem heiligen
bluete zu der Weifsnacht da genefit Meideburgk'. Auf
diefen höchft intereffanten Bericht ift mehrfach aufmerkfam
gemacht worden, z. B. von Hoffmann, Gefch. d. deutfeh.
Kirchenl. 3. Ausg. S. 186, Zarncke, S. Brant's Narren-
fchiff S. 319 und von Janffen, Gefch. des deutfehen
Volkes I. 602.

Im Einzelnen bemerke ich noch: der ältefte deutfehe
Druck der Wilsnacker Legende (Magdeb. 1509) ift kürzlich
bibliographifch genau auch in den Magdeb. Ge-

des Baues dürfte der Satz, dafs die Pfeiler der Seitenhallen
,auf zwei gewölbten Räumen flehen', weder für
Architekten noch für Laien verftändlich fein.

Klemzig. Kawerau.

Jahrbuch der Gesellschaft für die Geschichte des Protestantismus
in Oesterreich. Hrsg. von dem Präfidenten, den
beiden Vice-Präfidenten und dem Schriftführer der
Gefellfchaft. 1. Jahrg. 1880. 2 Doppelhefte. Wien,
Klinkhardt. (III, 182 S. gr. 8.) M. 4. —

Im Jahre 1868 war von den beiden evangelifchen
Pfarrern Trautenberger und Schur das evang. Volks- und
Gemeindeblatt ,Halte was du halt' gegründet worden,
welches fich vornehmlich die Verbreitung gefchichtlicher
Kenntnifs von der Vergangenheit des öfterreichifchen
Proteftantismus zur Aufgabe flehte. Von der Redaction
diefes Blattes ging die Anregung zur Gründung der ,Gefellfchaft
für die Gefchichte des Proteftantismus' aus,
welche im Jahre 1879 'ns Leben trat. Diefelbe fetzt fich
zum Zweck ,die Erforfchung, Sammlung, Erhaltung, Veröffentlichung
und Bearbeitung der auf den Proteftantis-