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Ausgabe:

1881 Nr. 13

Spalte:

302-305

Autor/Hrsg.:

Réville, Joannes

Titel/Untertitel:

De Anno Dieque quibus Polycarpus Smyrnae martyrium tulit 1881

Rezensent:

Lipsius, Richard Adelbert

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Theologifche Literaturzeitung. 1881. Nr. 13.

302

dahin verwifcht: ,Der Geift David's habe an den Schwächen
feines Leibes nicht theilgenommen', fo dafs es ihm
möglich gewefen fei, genaue Riffe und Pläne von allen
Gebäuden etc. des zukünftigen Tempels anzufertigen. —
Man merkt auf jedem Schritte, dafs es dem Verf. an hi-
ftorifchem Sinn fehlt, dafs er keine Anfchauung von dem
hat, was er darftellen will und darum auch keine Anfchauung
mittheilen kann. Meift befchränkt er fich darauf
, den Pragmatismus zwifchen den einzelnen Begebenheiten
oft höchft unwahrfcheinlich, vielfach mit Anlehnung
an ältere Vorbilder herzuftellen oder auch den
göttlichen Zweck in den Wechfelfällcn des Lebens David
's aufzudecken. — Durch diefe Mängel wird auch die
gute Seite des Buches vielfach beeinträchtigt. Ich meine
die Polemik gegen die neuerdings mehrfach beliebte Auf-
laffung David's als eines wilden Blutmenfchen. dem zur
Erreichung und Beteiligung der Herrfchaft jedes Mittel
paffend erfchien, ja der noch auf dem Todtenbette Anordnungen
traf, die ebenfo von Feigheit wie von Rach-
fucht Zeugnifs ablegten. Diefer Auffaffung fleht aufscr
einer Reihe von Beweifen natürlichen Edelmuths von
Seiten David's vor allem das Bedenken gegenüber: wie
konnte, wenn die Samuelisbb. uns von dem Aufftande
David's gegen Saul ein ganz falfches Bild geben, die
fpätere Tradition darauf verfallen, David immer in der
Defenfive und in demüthiger Scheu vor dem Gefalbten
Jahveh's darzuftellenr Sie hat ja vielmehr die Neigung, Saul
David gegenüber zu verkleinern, wie aus den Erzählungen
über die Verwerfung Saul's durch Samuel und die
Salbung des Knaben David deutlich hervorgeht; einem Ge-
Ichlecht, das unter der Regierung der davidifchen Dy-
naftie auf die Tage des berühmten Stammvaters derfel-
ben mit Stolz zurückblickte, mufste felbftverftämllich der
durch den Erfolg gerichtete Saul im Unrechte, David
aber gegen ihn im Rechte erfcheinen. Im allgemeinen
alfo mufs das Verhältnifs David's zu Saul im I Sam.
18—30 hiftorifch richtig wiedergegeben fein, und das
Klagelied auf Saul's und Jonathan's Tod wird David ohne
Grund abgefprochen. Freilich foll damit nicht behauptet
werden, dafs fein Charakter fleckenlos gewefen fei, mit
Recht führt ihn Nöldeke als ein Beifpiel folcher Naturen
an, welche einander widerfprechende Seiten in (ich vereinigen
. Man wird aber in Anfchlag bringen müffen, dafs
Handlungen, die uns höchft graufam erfcheinen, für die
Anfchauungen der damaligen Zeit nichts anftöfsiges hatten
, und dafs der König in anderen Fällen wie bei der
Ermordung Abner's und Amafa's durch Joab äufserft
fchwierigen Verhältnifsen gegenüberftand. Was aber
endlich den letzten Willen David's I Reg. 2 anlangt, fo
dürfte weniger Kühnheit dazu gehören, deffen Echtheit
zu verwerfen, als diejenige des Klageliedes II Sam. 1 zu
verdächtigen. Sowohl Ebjathar als Joab waren Gegner
des Salomoh und Freunde des Adonija gewefen, auch
I Reg. 2, 25 — 28 wird ihre Verweifung refp. Hinrichtung
nur mit der Ufurpation Ad. in Zufammenhang gebracht,
es lag für den neueintretenden König auch ohne feines
Vaters Befehl fehr nahe, diefe Stützen feines feindlichen
Bruders unfehädlich zu machen. Die Translocation Si-
mei's endlich hatte fichtlich nur den Zweck, den gefährlichen
Mann unter Augen zu haben, wäre aber als Rache-
act für David's Befchimpfung nicht recht zu verliehen.
Hierzu kommt, dafs der Charakter der I Reg. 2 be-
fchriebenen Unterredung David's und Salomoh's ihrer
Natur nach ein geheimer war, und dafs Salomoh, der
die Beftrafung jener zwei Männer aus eigener Machtvollkommenheit
verfügen konnte, nicht genöthigt war, feinem
Vater den fchlechten Dienft zu erweifen, fleh für jene
Mafsregeln auf feine Autorität zu berufen. Hätte wirklich
eine derartige Unterredung ftattgefunden, fo wäre
es fehr zu verwundern, wenn wir über fie authentifche
Nachrichten befäfsen. Lebhaftes Bedenken erregt end- j
lieh der in den unverkennbaren Wendungen des Deute-
ronomiften gehaltene Eingang der Rede David's, fowie j

v. 6 u. 9, welche an Gen. 42, 38 u. 44, 31 anklingen.
Fragt man, wie der Redactor zu diefer Erzählung ver-
anlafst werden konnte, fo ift zu antworten i einfach durch
die Thatfache, dafs Joab und Simei von Salomoh ge-
meinfam beftraft wurden, und durch Combination der-
felben mit dem Umftande, dafs beider Mafs fchon unter
David's Regierung voll geworden war. Hierzu mag endlich
das Beftreben gekommen fein, den David von aller
Theilhaberfchaft am Meuchelmord des Abner und Amafa
freizufprech.cn.

Sollen wir fchliefslich ein Urtheil über den Stil des
Buches abgeben, der bei einer gefchichtlich.cn Darftell-
ung mehr ins Gewicht fällt, als bei wiffenfehaftlichen Unterteilungen
, fo möchten wir den Verf. vor allzugrofsem
Schwulft warnen. P'aft jedes Subflantiv hat fein Epitheton
, Saul ift gewöhnlich ,der rachefchnaubende Verfolger
' etc.; daneben ift eine andere Neigung nur allzu fühlbar
, die ich als Vorliebe für Bureauftil bezeichnen möchte:
cf. S. 84 ,entrüftct über die Vorführung folch eines verrückten
Menfchen nahm Achis von jeder weiteren Verhandlung
Abfland und verfügte deffen fofortige Frei-
laffung'; S. 114 ,David bat Achis unter gefchickter Hervorhebung
des einen Umftands, dafs fein Refidiren in
der Stadt des Königs wenig geziemend erfcheine, um
gnädige Ueberlaffung einer kleineren Landftadt zum Aufenthalt
, worauf er wirklich — übrigens nicht ohne vorherige
genauere Specialifirung feines Wunfehes — mit
den Städtchen Ziklag belehnt wurde'. Es ift fall fo, als
hätte W. die Acten diefer Verhandlung im kgl. philift.
Archiv zu Gath eingefehen.

Greifswald. Fr. Giefebrecht.

Reville, Joannes, De Anno Dieque quibus Polycarpus Smyr-
nae martyrium tulit. (Habilitationsfchrift an der evang.
theol. Facultät zu Paris.) Genf 1880, Schuchardt.
(65 S. gr. 8.)

Seit der bekannten Waddington'fchen Arbeit find
die Verhandlungen über das Todesjahr und den Todestag
Polykarp's noch immer nicht zum Abfchluffe gekommen
. Gegenüber der zweiten Abhandlung des Unterzeichneten
(Jahrbücher f. prot. Theol. 1878, 751 ff.)
haben zuletzt Keim (Aus dem Urchriflenthum 1, 90 ff.)
und Wiefeler (St. u. Kr. 1880, 141 ff.) die traditionelle
Anficht zu vertheidigen gefucht. Die vorliegende Differ-
tation eines jungen franzöfifchen Gelehrten giebt nun eine
forgfältige und befonnene Revifion der bisherigen Unter-
fuchungen, ohne jedoch viel Neues zu bringen und ohne
zu einem fichern Refultate zu gelangen. Der Refultatlofig-
keit diefer neueflen Arbeit geben die Schlufswortc S. 65
einen fehr beftimmten Ausdruck: ,nihüprodest afjhmarc
tibi dubitare tutius est'. Es fragt fleh jedoch noch fehr,
ob eine fo fkeptifche Haltung wirklich gerechtfertigt ift.
Reville behandelt nach einer orientirenden Einleitung
(S. 3—8) feinen Stoff in vier Abfchnitten. Der erfte be-
fpricht den Brief der Gemeinde von Smyrna über das
Martyrium Polykarp's (S. 8—26), der zweite den Urfprung
und die Glaubwürdigkeit des Anhangs (S. 27—36), der
dritte den Todestag (S. 36—46), der vierte das Todesjahr
(S. 46-65).

Den Brief der Gemeinde zu Smyrna läfst auch Reville
nicht unmittelbar nach dem Märtyrertode Polykarp
's, fondern längere Zeit nachher gefchrieben fein und
beruft fleh für diefe Annahme mit Recht theils auf den
entwickelten Märtyrercultus, theils auf den fchon zum
tenninus teclinicus gewordenen Begriff der tv./.hnia
/.(tttnXr/.rj, theils endlich darauf, dafs von Polykarp wiederholt
(c. 16, 2; 19) als von einem vor längerer Zeit
Geftorbenen geredet werde. Auch die zuerft von Hilgenfeld
hervorgehobene Neigung des Verf.'s, das Martyrium
Polykarp's der Paffion Chrifti zu verähnlichen, erkennt
Reville unbefangen an, ,qnamvis difficile sii verita-
tem a fictis seiungere' (S. 15). Doch will er mit der Ab-