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Ausgabe:

1881 Nr. 12

Spalte:

275-276

Autor/Hrsg.:

Wünsche, August

Titel/Untertitel:

Bibliotheca Rabbinica. Eine Sammlung alter Midraschim zum ersten Male ins Deutsche übertragen. 4. - 8. Lfg 1881

Rezensent:

Strack, Hermann L.

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275 Theologifche Literaturzeitung. 1881. Nr. 12. 276

die infideles jfudaci angenommen und andererfeits ihren
Nachrichten über die Sammlung der kanonifchen Schrif-
tan in Baba bathra 14h 15a das Minderte Zutrauen ge-
fchenkt wird. Ueber die riVnjn rs:D wird mit einer
Sicherheit geredet, als wenn diefelbe in ihrer Eigenfchaft
als jüdifcher Oberkirchenrath niemals angezweifelt worden
fei, und mit ihrer Hilfe und derjenigen des Collegs
des Ezechias die Beglaubigung der einzelnen Schriften
bis in die alterten Zeiten hinauf verfolgt.

Nachdem auf diefe Weife die Echtheit der kanonifchen
Schriften mittelbar dargethan ift, werden die drei
genannten Eigenfchaften in Abfchnitt III—VI aus purer
Freundlichkeit noch einmal unmittelbar für die einzelnen
Schriften bewiefen. Hierbei fehlt es nicht an Angriffen
auf die fubjective Kritik, die nur mit Behauptungen ohne
Beweis wirthfehaftet — da irgend nennenswerthes hier
nicht erfcheint, fo begnüge ich mich zur Charakterifirung
der Polemik folgende Stelle auszuziehen: /Wollte man
einwenden, dafs, als die Kanonifirung der einzelnen Bücher
erfolgte, die Vorfragen über die Echtheit etc. nicht
mit der gehörigen kritifchen Genauigkeit behandelt feien,
fo ift dagegen einzuwenden, dafs dies nicht nur eine un-
erwiefene Behauptung wäre, fondern dafs auch die jü-
difche Bevölkerung durch ihre Theilnahme an dem Gerichtsverfahren
und durch die uralte Oeffentlichkeit des-
felben an fefte Normen bei Ermittlung und Conrta-
tirung von Thatfachen vielleicht mehr gewöhnt war, als
viele fogenannten Kritiker, die nicht einmal eine einzige
Gerichtsverhandlung mit Gefchick und Umficht zu leiten
im Stande wären'.

Greifswald. Fr. Giefebrecht.

Wünsche, Lic. Dr. Aug., Bibliotheca rabbinica. Eine
Sammlung alter Midrafchim, zum erften Male ins
Deutfche übertragen. 4—8. Lieferung. Leipzig 1880.
1881, O. Schulze. (XII, 208 u. 346 S. gr. 8.) ä M.' 2. —
Schon in Nr. 4 (Sp. 75) d. Bl. haben wir der .Bibliotheca
Rabbinica1 gedacht und darauf hingewiefen, dafs
die Ueberfetzung der älteren Midrafche ein fehr nützliches
Unternehmen fei. Inzwifchen find uns fünf neue
Lieferungen zugegangen, von denen drei (4, 5. °) den
Midrasch BereScktth Rabba bis zur 88. Section (Cap. 40)
fortfetzen, fodafs wir die Vollendung diefes alten und
wichtigen Werkes in kurzer Zeit erwarten dürfen. Die
beiden anderen Lieferungen enthalten den Midrasch Sclur
ha-schirim (auch Midrasch Cliasitlia genannt). Die zudiefem
wahrfcheinlich in der erften Hälfte des 9. Jahrhunderts
redigirten Midrafch gegebene Einleitung ift trotz ihrer
Kmv.c inhaltreich, da Hrn. Dr. Wünfchc zwei treffliche
Hilfsmittel vorlagen, nämlich S. Salfeld's ,Das Hohelied
bei den jüdifchen Erklärern des Mittelalters', Berlin 1879,
§2 —4(auchin Magazin für die Wiffenfchaftdesjudenthums,
Bd. V [1878]) und J. Theodor's ,Zur Compofition der
agadifchen Homilien' (in Graetz' Monatsfchrift f. Gefell,
u. Wiff. des Judth. 1879, bef. S. 271 ff, 337 ff). Den
Schlufs des Buches bilden (S. 195—208) ,Noten und Ver-
befferungen', die faft fämmtlich von Hrn. Rabb. Dr. J.
Eürft herrühren. Wir können nicht umhin, dem Wunfche
Ausdruck zu geben, dafs diefer Gelehrte künftig, wenn
irgend möglich, feine fehätzbaren Beiträge gleich dem
Manufcripte an der Stelle, auf welche fie fich bezichen,
einfüge, weil dadurch die Benutzung der Wünfche'fchen
Arbeit wefentlich erleichtert würde. Auf dem Umfchlage,
zuerft der dritten Lieferung, verfpricht der Hr. Ueber-
fetzer, in einem Schlufshefte aufser Berichtigungen und
Erläuterungen zu fämmtlichen Theilen der Bibliotlicca
Rabbinica^ einen vierfachen Index zu bringen, nämlich
]) ein Verzeichnifs der verfchiedenen Lesarten der älte-
fremdditi onen und Handfchriftcn, 2) einen Index der
klärtefprachlichen Be flandtheile, 3) ein Regifter der erklärten
und citirten Bibt Mellen und 4) eine Ueberficht
über die wichtigften in den Rabboth voikommenden Materien
. Von diefem Verfprechen haben wir mit Vergnügen
Kenntnifs genommen, da durchTorgfältige Erfüllung
desfelben der wiffenfehaftliche Werth der Bibliotheca
nicht unerheblich erhöht werden wird. Die Varianten
wären richtiger gleich unter dem Texte erwähnt worden;
doch beffer fpät, als gar nicht. Zum Schlufs fprechen
wir noch die Bitte aus, dafs bei den noch zu überfetzenden
Midrafchen nicht nur die Sectionen, fondci n auch
die Blattzahlen der alten Ausgaben, nach welchen man
häufig citirt, angegeben werden.

Berlin. Hermann L. Strack.

Schanz, Prof. Dr. Paul, Commentar über das Evangelium
des heiligen Marcus. FVeiburg i/Br. 1881, Herder. (XI,
435 S. gr. 8.) M. 6. -

Von diefem Commentar gilt genau was im vorigen
Jahrgang (S. 108 f.) über die Erklärung gefagt wurde,
welche derfelbe Verfaffcr dem Matthäusevangclium zu
Theil werden liefs. Beide Werke ftellen fragelos die
reichhaltigftcn Beiträge dar, welche die gegenwärtige ka-
tholifche Theologie zur Auslegung der Evangelien ge-
leiftet hat. Sic mit den Commcntaren von Keil, dem
Ncueften, was auf proteftantifchem Boden erwachten ift,
auch nur vergleichen zu wollen, wäre zu viel Elhre für
die letztgenannten, von Weifs richtig gewürdigten (vgl.
Jahrgang 1878, S. 49 f. 1880, S. 297 f.) Machwerke. Auch
rein quantitativ gemeffen verdient der Fleifs des katho-
lifchen Schriftftellers alle Anerkennung. Alte wie neue,
katholifche wie proteftantifche Exegefe wird fo ausgiebig
zu Rathe gezogen, dafs fchon von diefer Seite her dem
vorliegenden Commentar eine gewiffe Unentbehrlichkeit
in der Rüftkammer des Fachmannes zukommt; er wird
hier einen Platz neben Meyer und W ei fs einnehmen.

Die Stellung, welche ein ,mit Approbation des
hochwürdigen Capitels-Vicariats Freiburg' erfchienener
Commentar zu den bekannten kritifchen Problemen, die
fich an den Namen des Marcus-Evangeliums knüpfen,
einnimmt, ift fclbftverftändlich eine durchaus gebundene.
,Liefse fich die Priorität des Marcusevangeliums hifto-
rifch erweifen, fo läge kein Grund gegen ihre Annahme
vor. Denn die Frage berührt die Dogmatik nicht' (S.
VI). Aber es giebt neben der eingeftandenen Macht-
lofigkeit der Exegefe gegenüber der Dogmatik auch noch
taufenderlei Rückfichten, welche auf die Tradition zu
nehmen find, und fpeciell bezüglich der Matthäus-Marcus
-Frage giebt es nur Eine wahrhaft kirchliche Tradition,
diejenige, welche den Marcus zum pedissequus Matthaci
macht. In diefem Sinne hatte daher auch fchon der
Matthäuscommentar entfehieden (S. 24 f.); in diefem •
Sinne wird auch hier die Zeitfragc im Allgemeinen (das
Evangelium ift S. 46 f. erft nach dem Tode des Petrus
gefchrieben) und die Mehrzahl der exegetifch in Betracht
kommenden Einzelfälle beurtheilt. ,Marcus hat zwar den
Matthäus (in hebräifcher Sprache) gekannt und benützt,
aber fich innerhalb des von demfelben gezogenen Rahmens
ziemlich frei bewegt'. Immerhin bleibt es auf diefem Wege
doch bei der unumftöfslichen Alternative: ,Entweder
mufs Marcus von Matthäus oder Matthäus von Marcus
abhängig fein' (S. 35) — eine Einficht, kraft welcher fich
unfer Erklärer weit über folche proteftantifche Berufsge-
noffen erhebt, welche wie Godet nicht einmal das Factum
einer fchriftftellerifchen Verwandtfchaft überhaupt
zugeben zu dürfen meinen. Ja felbft ein Minimum von
Conceffioncn an die Tendenzkritik braucht der katholifche
Ausleger weniger zu fcheuen. Er bringt es mehrfach
im Gegenfatz auch zu dem Unterzeichneten in Geltung
(S. 42). Aus gelegentlicher Vcrgleichung parallclcr
Ausfprüche erwächft ihm das Urtheil, ,dafs die Evange-
liftcn die Rede Jefu nach den Bcdürfnifsen ihrer Lefer
und ihrer eigenen, durch die Zcitverhältnifse bedingten
Anfchauungcn abgeändert haben' (S. 219). ,Die neutefta-
mentlichen Schriften können nicht der einfache Abdruck