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Ausgabe:

1881

Spalte:

273-275

Autor/Hrsg.:

Neteler, B.

Titel/Untertitel:

Abriss der alttestamentlichen Literatur-Geschichte 1881

Rezensent:

Giesebrecht, Friedrich

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Seite 1, Seite 2

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Theologische Literaturzeitung

I Irrauso-eo-eben von D. Ad. Harnack und D. E. Schürer, Proff. zu Giefsen.

Erfcheint Preis
alle 14 Tage. Leipzig. J. C. Hinrichs'fche Buchhandlung. jährlich 16 Mark.

N°- 12.

4. Juni 1881.

6. Jahrgang.

Neteler, Abrifs der altteft. Literatur-Gefchichte

(Giefebrecht).
Wünfche, Iübliotheca Rabbinica (H. L. Strack).
Schanz, Commentar über das Evangelium des

h. Marcus (Holtzmann).

Montet, La Legende d'Irenee (A. Harnack).

Geizer, Sextus Julius Africanus und die byzan-
tinifche Chronographie (A. Harnack).

Ryffel, Gregorius Thaumaturgus (Overbeck).

Urieger, Conftantin d. Grofse als Religionspolitiker
(Bonwetfch).

Ufener, Legenden der h. Pelagia (Bonwetfch).
Lambros, Die Bibliotheken der Klöfter des

Athos (Gebhardt).
Hülfsmittel zum chriftlichen Religionsunterrichte

(Woldemar Schmidt).

Neteler, Dr. B., Abriss der alttestamentlichen Literatur- das Buch überreich: das pofitive Zeugnifs des Jofephus
Geschichte. Münder 1879, Theiffmg. (II, 80 S. gr. 8.) 1 {conti: Apion. I 8), welches eine frühere Kanonifirung der
M Apokryphen in keiner Weife durchblicken läfst, und

■ 2i nach welchem die Geltung, die einige Apokryphen nach

Warum diefer durch mehrfache Arbeiten auf dem ; Grätz Kohel. S. 166 bis zur jamnenhfehen Synode hat-
Gebiete des A. T. bekannte katholifche Theolog diefer ten, nicht auf officieller Kanonifirung, fondern nur auf
Schrift den irreführenden Titel einer altteftamentlichen | moralifcher Werthfehätzung beruht haben kann, wird
Literaturgefchichte vorfetzte, ift nicht recht einzufehen. mit der Annahme befeitigt, dafs die Juden gegen Ende
Streng genommen darf er auf das A. T. weder den Be- ; des I.Jahrhunderts p, Xum eine Veränderung des Kanon
griff der Literatur noch den der Gefchichtc anwenden : durch Äusfchlufs der Apokryphen und des Buches Efther
die Schriften des Alten Bundes find ja nicht wirklich ge- vorgenommen hätten. Einen indirecten Beweis für diefe
wachfen, nicht aus dem warmen Leben eines von Gottes 1 Veränderung des Kanon (directe giebt es bekanntlich
Hand wunderbar hin- und hergeworfenen Volkes ent- nicht) liefert II Tim. 3, 14—17, denn wenn Paulus an diefer
(landen, fondern fic find Protocolle und Documente, ge- : Stelle die ganze (!) Schrift als von Gott eingegeben be-
wiffenhaft geführt und aufgefetzt über die dem Volke ! zeichnet, fo polemifirt er gegen den verkürzten Kanon
zu Theil gewordenen göttlichen Offenbarungen. Der i der Juden und Hellt das ganze A. T. mit Einfchlufs der
Charakter der altteftamentlichen Bücher als Offenbarungs- Apokryphen als verpflichtend für die Chriften hin. Nicht
Urkunden — leider auch von manchem evangelifchen 1 minder precär als diefe Beweisführung ift die Behauptung
Theologen noch feftgehalten — erfcheint hier in einer Neteler's, dafs das Buch Efther etwa ein Jahrhundert lang
abfehreckenden Steifheit: Echtheit, Unverfälfchtheit und durch die paläftinenfifchenjuden vom Kanon ausgefchloffen
Glaubwürdigkeit den Schriften des katholifchen, alttefta- : gewefen fei, auf S. 25 werden von N. felbft Zeugnifse
mentlichen Kanon zu vindiciren, ift der Zweck diefer 1 vom Gegentheil aus dem Anfang des 2. Jahrhunderts p.
Schrift. Zur vollftändigen Löfung diefer Aufgabe wird ! Xum angeführt. Natürlich mufs auch hier (wie bei Hane-
ein zweiter Theil in Ausficht geftellt, .welcher die ein- berg und Movers) Joseph, t. Ap. I 8 für den Äusfchlufs
zelnen Bücher nach Inhalt und Form unterfucht und die ; Efther's aus dem Kanon am Ende des 1. Jahrhunderts
biographifchen Notizen über die Verfaffer zufammen- p. Xum zeugen, während man doch bei der alten Zu-
ftellt'. Der vorliegende Theil zerfällt in folgende Ab- fammenzählung von Richter und Ruth, von Efra und
fchnitte: I. die jüdifche Tradition, II. der altteftament- Nehemia die 13 prophetifchen Schriften des Jofephus
liehe Kanon, III—V. Echtheit, Unverfälfchtheit, Glaub- gar nicht anders herausrechnen kann, als wenn man
Würdigkeit der altteftamentlichen Bücher, VI. das A. T. Hiob und Efther in ihre Zahl einfchliefst, und aufserdem
als Offenbarungsquelle. — Das Buch fcheint für katho- Jofeph. durch die Art, wie er Anh. XI 6, 13 von dem
lifche Theologieftudirende beftimmt zu fein: es hält fich Inhalt des Eftherbuches und den Aufzeichnungen des
fo ftreng an den Zweck, nur das für diefe etwa Wiffens- Mardochai redet, nicht den minderten Zweifel an der
werthe mitzutheilen, dafs z. B. bei Begründung der ka- Kanonicität diefer Schrift verräth. Dass er den Abfchlufs
tholifchen Anficht über den Kanon der prologvs galea- des Kanon in die Zeit des Efra und Nehemia (alfo in
ttts von Hieronym. gar nicht erwähnt wird, ein noch die Regierung des Xerxes) verlegt habe, geht aus feinen
praktifcheres Verfahren, als dasjenige Hanebcrg's (Gefch. Worten nicht hervor; der Ausdruck /leyoi rrjAAoTctSeQtor
der biblifchen Offenbarung, 3. Aufl. 1863), der diefen ... «o/P/S irt offenbar mehrdeutig und kann die Regierung
Kirchenvater durch Verweifung feiner kritifchen Anfich- des Artaxerxes und alfo die Abfaffungszeit des Buches
ten in die orientalifche Kirche unfehädlich machte. Im Efther recht wohl in den Zeitraum, innerhalb deffen die
2. Theil über den jüdifchen Kanon wird die katholifche prophetifchen Schriften gefchrieben wurden, mit ein-
Wcrthfchätzung der Apokryphen durch die Annahme fchliefsen. Eichhorn's Conjectur zu diefer Stelle ift alfo
begründet, es fei der ganze Kanon mit Einfchlufs der entbehrlich. Wenn aber Neteler weiter einen fo grofsen
Apokryphen bereits am Ende des 2. Jahrhunderts a. Xum Werth auf das Fehlen des Eftherbuches im Kanon des
fanetionirt gewefen. Dies ging fo zu: Judas Effenus ; Melito legt, dafs er die Ergänzung des fehlenden als
(Jos. A/rh.XUl. 11, 2—3), der Verf. des 2. Maccabaeer- eine Art Gefchichtsfälfchung brandmarkt, fo berührt es
buches(?), hat die auseinandergerathene Sammlung alt- dem gegenüber etwas komifch, wenn von ihm die Er-
teftamentlicher Bücher wiederhergeftellt II Macc. 2, 14 — gänzung des ausgefallenen Dodekapropheton in dem Ka-
,da nun das 2. Buch der Macc. regelmäfsig das letzte non des Origenes ohne weiteres aeeeptirt wird. Führt
der deuterokanonifchen Bb. ift, fo mufs Judas auch die doch diefer, ,der nicht fehr lange nach Melito Erkundig -
deuterokanonifch.cn Bb., die dem letzten vorhergehen, ungen über den Kanon der Juden einzog', das Buch
mit Gutheifsung des jüdifchen Senates in feine Samm- ] Efther als kanonifch auf. Ebenfo inconfequent erfcheint
lung aufgenommen haben'. An derartigen Bewerten ift es, dafs einerfeits eine Verfälfchung des Kanon durch

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