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Ausgabe:

1881 Nr. 1

Spalte:

256-258

Autor/Hrsg.:

Lipsius, Rich. Adelb.

Titel/Untertitel:

Die Edessenische Abgar-Sage kritisch untersucht 1881

Rezensent:

Bonwetsch, Gottlieb Nathanael

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255

Theologifche Literaturzeitung. 1881. Nr. 11.

aber gegenüber den nur in der Geftalt der LXX finnvollen
Citaten, mit denen fich der Verf. freilich fehr leicht
abfindet, indem er z. B. zu 10, 37 nur bemerkt: ,Die
Worte find aus Hab. 2, 3 mit einigen Abänderungen entnommen
'. Die an fich fehr intereffante jüdifche Regel,
eine altteft. Stelle nie ganz wörtlich zu citiren (50—63),
von der freilich das N.T. oft genug und der Verf. felbft
bei 1, 9. 3, 7 f. 10 f. 5, 5 f. abweicht, kann hier doch nicht
helfen. Obendrein hat der Verf. den Nachweis, dafs die
von ihm gewählte Sprache der Mifchna irgendwo vom
Volke gefprochen worden fei, nicht einmal verfucht
(43—50). Und doch ift ihm der Brief nicht an eine örtlich
begrenzte Gemeinde, ja fogar mit an Heidenchriften
gerichtet (18 f. 42. 113).

Den aus der unpaulinifchen Briefform entnommenen
Gründen gegen Abfaffung durch Paulus begegnet der
Verf. theils durch Begründung der Anonymität aus der
Unbeliebtheit des Paulus bei den Judenchriften wie aus
der Furcht vor obrigkeitlicher Verfolgung (hierüber
S. 3—19 fehr intereffante Nachweife), theils durch Auf-
faffung der Schrift als Troftfchreiben (19 f.). Dafs der
Hbr. nicht ein Brief ift wie die paulinifchen, ift gewifs;
dafs aber Origenes (er xig syulrjaia t%ei xat'rrjv rrjv im- j
ßTolrjv tag Jlavlov) und Cajus, ebenfo fchliefslich Mar- '
cion und Cyprian nicht die Abfaffung durch Paulus, fondern
nur den brieflichen Charakter verneint hätten
(21—26), ift ficher unrichtig, und ein Troftfchreiben ift
der Brief fowohl wegen feiner ganzen Art als auch gerade
wegen 13,22 nicht, wo /laQccY.ltjaig vielmehr ,Mahnung'
bedeutet.

Die übrigen Beweife für paulinifchen Urfprung will
will der Verf. nicht wiederholen (28), ebenfo (26—28)
nur ,einige Einwürfe' dagegen widerlegen. Als neue Beweife
bringt er hinzu den übereinftimmenden Gebrauch
von Metaphern, die den Kampffpielen entlehnt find
(36—43), und (31—36) die ,nur Paulus eigne' fchonende
Anwendung des xiveg, wo eigentlich alle getadelt werden
müfsten: 10,25. 4>6 0)- 3» x6- An letzterer Stelle wird
die Faffung als Fragwort leider mit grofsem Nachdruck
(vgl. auch S. 34 f.) verworfen, aber in des Verf.'s eigener
Ueberfetzung doch befolgt. (Aehnliche Abweichungen
324. 256 gegen 2539 Sonft beruft fleh der Verf. noch
auf die Uebereinftimmung von 9, 10 mit Rom. 14, 17
(231 N), von 12, 4 mit I Cor. 10, 10. 13 (322), fowie darauf
, dafs die Definition des Glaubens 11, 1 ähnlich ift
der der Hoffnung Rom. 8, 24 (280).

Können wir mit den kritifchen Refultaten des Verf.'s
nur wenig, mit den exegetifchen ebenfalls vielfach nicht
übereinftimmen, fo erfreuen wir uns um fo dankbarer
der Beiträge, welche er wie wenig andere zu liefern berufen
erfcheint. Schon 1857 rühmt Delitzfch, dafs feine
Belefenheit in der jüdifchen Literatur weit über die
Schöttgen's hinausreiche. Den von Prof. Strack beforg-
ten Regiftern I—III über das daraus Angeführte, denen
wir ein Studium ex professo wünfehen, fügen wir noch bei
den Hinweis auf die lexikalifchen Bemerkungen S. 132 ;
N. 160. 179. 190. 194. 215 N. 243. 257. 293. 306 N. 319, auf ;
die fynonymifchen S. 72. 94. 130. 181. 212. 232. 240. 259.
2CO. 275, auf die grammatifchen S. 135. 218. 76 N. (allerdings
das Gegentheil S. 193), auf die fachlichen S. 32.
72. 103. 115. 225—227. 275. 338. 353. Wenn auch manches
nicht unmittelbar zur Sache gehört und der Verf.
fich durch die Kenntnifs der jüdifchen Tradition öfter
als billig zum Recurriren auf fie hat beftimmen laffen
(z. B. 2, 13. 11, 27. 35. 12, 21), fo hat derfelbe doch
durch diefe ftets höchft intereffanten, vielfach fehr be-
achtenswerthen Mittheilungen feinem Werke einen bleibenden
Werth gefichert. — Citatfehler: S. 56, Z. 2 v. j
u. 1: 3 M. — 59, 7: Virg. Georg. I, 508. — 91, 7 v. u:
Pf. 68, 18. — 92, 18: Ezech. 2, 6. -• 140, 3: I Theff.
5, 23. — 164, 10: Jef. 26, 19. — 235, 17: Koh. 12, 7. —
258, 9- 4- M 5, 11 ff". — 274, 10 v. u: 4, 13. — 283, 5

v. u: 1. M 15, 6. — 284, 15: 49, 14. — 288, 18: I Macc.
2, 52. — 289 N, 4: Trist, lib. I, III. — 336, 2 v. u: Offenb.
21, 9.

Jena. P. Schmiedel.

Lipsius, Rieh. Adelb., Die Edessenische Abgar-Sage kritifch
unterfucht. Braunfchweig 1880, Schwetfchke & Sohn.
(92 S. gr. 8.) M. 2. 40.

Nach der Edition der vollftändigen fyrifchen Doc-
trina Addaei durch Phillips erfchien als eine nunmehr
ins Auge zu faffende Aufgabe die Unterfuchung der ganzen
edeffenifchen Abgarfage im Zufammenhang mit der
in der D. A. eingeflochtenen Erzählung vom wahren
Bilde Chrifti und von der Kreuzesauffindung. Lipfius
hat fich nun in einer Feftfchrift zu Hafe's Jubiläum diefer
Aufgabe unterzogen und feine Löfung derfelben hat bereits
u. a. von einer Autorität wie v. Gutfchmid durchweg
Zuftimmung und volle Anerkennung gefunden (Lit.
Centralbl. 1881, 279 ff.) Seine Darftcllung hat L. noch
ergänzt durch einige Mittheilungen in den Jahrbb. f. prot.
Theol. 1881, S. 187—192. — Die Legende vom Brief-
wcchfel Abgar Ukkamas mit Chriftus ift danach zur Zeit
der Einführung des Chriftenthums in Edeffa, um eine
apoftolifche Succeffion herzuftellen, entftanden. Dies war
gegen Ende des 2. Jahrhunderts und Abgar VIII (176—
213) der erfte chrifti. König. Die Nachricht, dafs Palut
— der erfte gefchichtliche Bifchof Edeffa's — von Serapion
von Antiochien ordinirt worden fei, ift glaubwürdig
und wird durch den Märtyrertod feines zweiten Nachfolgers
Barfamja unter Fabian von Rom beftätigt. Ein
geordnetes Kirchenwefen beftand jedenfalls fchon zur
Zeit des Ofterftreites unter Viktor von Rom (189—198).
Die D. A. in ihrer gegenwärtigen Geftalt gehört aber
erft dem Ende des 4. Jahrh.'s an und verdankt etwa dem
Kreife Ephräm's ihr Dafein. Sicher hat fie Mofes von
Khorene um 470 in einer armenifchen Ueberfetzung benutzt
. Sie ift fpäter als Eufeb's Bericht KG. I, 13, welcher
noch eine urfprünglichere Form der Sage repräfen-
tirt. So wufste auch Eufeb noch nichts von der Sendung
des Bildes Chrifti an Abgar, wovon auch die D. A.
noch kurz redet. Diefe Sage foll den Urfprung des
Chriftusbildes zu Edeffa erklären. Seit den Acten des
Thaddäus, nicht vor dem 5. Jahrh., wird dies Bild ein
wunderbar entftandenes, das nun auch wunderkräftig
wirkt, befonders indem es Abgar — nach mehreren vom
Ausfatz — heilt. Die lateinifche Veronikafage verdankt
ihren Urfprung einer Combination der edeffenifchen Sage
mit der Gefchichte von der Bildfäule Chrifti in Paneas,
welche das blutflüfflge Weib — BsqvIxt] nach den Pila-
tusacten — gefetzt haben foll. Die Veronikafage reprä-
fentirt die Uebertragung der Abgarfage auf latcinifch.cn
Boden. Sie ift nicht vor dem 5. Jahrhundert entftanden.
Mehr epifodifchen Charakter trägt die nur lofe in die
Abgarlegende verwobene Erzählung von der Kreuzesauffindung
durch die Gemahlin des Kaifers Claudius Pro-
tonike, welche ganz der Sage von der Kaiferin Helena
entfpricht. Hier bietet das Abendland das Original im
Anfchlufs an die Pilgerreife der Helena nach Jerufalem
und ihrer und ihres Sohnes Bauten. dafelbft. Während
das Itinerar eines Galliers v. J. 333 noch nichts weifs
vom gefundenen Kreuzesholz, wohl aber Cyrill von Jerufalem
und Chryfoftomus, fo ift fchon nach Ambrofius 395
Helena die Finderin, und Rufinus bringt die Sage bereits
in ausgefchmückter Form, fie gelangte alfo in der 2.
Plälfte des 4. Jahrh.'s zur Ausbildung. Noch erweitert
wird fie durch die Acten des Cyriakus und die des Sil-
vefter, beide orientalifchen Urfprungs und um die Mitte
des 5. Jahrh.'s in Syrien, fowie auch Mofes von Khorene,
bekannt. Die Mutter Conftantin's und Helena von Adia-
bene, nach Mofes Abgar's erfte Frau, werden hier ver-
mifcht. So wird die Sage von der Petronike (vielleicht