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Ausgabe:

1881 Nr. 9

Spalte:

211-213

Autor/Hrsg.:

Kattenbusch, Ferd.

Titel/Untertitel:

Der christliche Unsterblichkeitsglaube 1881

Rezensent:

Bender, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung. 1881. Nr. 9.

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Mone fchon gedruckten Planctus Bonaventurae de Christo Welt. Die Beilegung des Todes durch den Menfch ge-
aus zwei Handfchriften, einer venetianifchen und einer , wordenen Gott und die Application des gottmenfchlichen
wiener, mitgetheilt. Lebens an die Gläubigen, welche diefe in Stand fetzt,

Die zweite der oben genannten Schriften wird in auf die diesfeitige Welt zu verzichten oder doch fich
weiteren Kreifen beachtet werden. In ihr werden meh- unter ihren Bedrängnifsen auf die jenfeitige zu freuen,
rere Gedichte und ein Tractat eines Hugo von Amiens das ift die Summe der Erkenntnifs des Chriftenthums,
oder von Ribemont veröffentlicht. Das bei weitem um- 1 welche die griechifche Kirche überhaupt erreicht hat
fangreichfte der Gedichte ift eine Verfification der bibli- (p. 6—13).

fchen Erzählungen des Pentateuchs in Diftichen, meiftens j Wenn nun aber der morgenländifche Katholicismus
mit zweifilbigen leoninifchen Reimen, für die Jugend be- unter diefem Jenfeits nicht viel mehr vorftellt, als die
ftimmt [hoc opus ad pueros spectat metuitque severos heifst blinde Negation des Diesfeits, fo zeigt fich der Fortfehritt
es am Beginne des Prologs). Diefes aus 1010 Verfen be- in der Erkenntnifs des Chriftenthums im abendländifchen
flehende Gedicht lag dem Herausgeber in zwei Hand- Katholicismus vor allem darin, dafs er das Bedürfnifs
fchriften, einer aus Troyes und einer aus Gotha, vor. hat, ein concretes Bild vom jenfeitigen Leben zu ge-
Der Gothaer Handfchrift entnahm der Herausgeber dann winnen. In diefem Streben theilt fich ihm das Jenfeits
noch drei andere Dichtungen desfelben Verfaffers und in Himmel und Hölle, und die entfeheidende Lebensfrage
eine Abhandlung über die Frage: utrunt anima primo des Chriften lautet nun dahin, wie man den erfteren ge-
homini data de niclälo facta sit an de praeiacenti materia. winne und der letzteren entfliehe. Die Frage nach den
Der Verfaffer diefer Abhandlung wird zwar Hugo Ribo- fittlichen Bedingungen der Erlangung des ewigen feli-
montenfis, nicht wie der der Gedichte Hugo Ambianenfis igen Lebens tritt auf. Das ift der weitere Fortfehritt,
genannt; aber da von alter Hand fchon über dem Worte j den der römifche Katholicismus repräfentirt (p. 13—21).
Ribomentensis gefchrieben ift: sive Ambianensis, fo hält 1 Aber nur angebahnt wird dort das fittliche Verftänd-
Huemer dafür, dafs mit beiden Bezeichnungen derfelbe nifs des Chriftenthums. Erreicht hat es erft der Proteftan-
Autor gemeint fei, und zwar fei diefer nicht der auch tismus. Ihm ift das Jenfeits das Reich der fittlichen
fonft bekannte Hugo von Amiens, der zuletzt Erzbifchof Zwecke, die innerhalb der diesfeitigen Welt bereits an-
von Rouen war und in der erften Hälfte des 12. Jahr- , geftrebt werden, ja nach welchen die diesfeitige Welt
hunderts lebte, fondern ein anderer gleichzeitiger des- 1 bereits organifirt werden foll, die aber ihre volle Reali-
felben Namens, weil unter den zahlreichen Schriften des firung am Einzelnen und an der Gattung erft im jenfei-
erfteren fich kein einziges poetifches Werk finde. Wir tigen Gottesreiche finden.

vermögen nicht, über diefe Begründung ein Urtheil ab- i Im Uebrigen begründet der Proteftantismus diefe
zugeben; was Huemer hinfichtlich der Identität des Am- vollkommene Erkenntnifs des Chriftenthums, welche fich
bianenfis und Ribomontenfis fagt, dafs nämlich der Beweis in feiner Idee vom Jenfeits fpiegelt, auf diefelbe Weife,
für die Richtigkeit diefer Vermuthung einer fpätern Zeit wie der Katholicismus feine untergeordnete Einficht —
überlaffen werden müffe, mag auch von diefer Ausein- ; durch den Verweis auf den gekreuzigten und auferftan-
anderhaltung zweier Hugo von Amiens gelten. Der denen Gottesfohn. ,Der Proteftantismus kommt auch
Tractat war unter dem Namen Hugo's von Ribemont t nicht darüber hinaus, zu bekennen, dafs Chriftus Anfang
fchon von Martenc nach einer weniger genauen Hand- 1 und Ende feiner Gedanken ift. Wenn wir in Chriftus
fchrift herausgegeben; die Gedichte erfcheinen hier, fo- nicht Gott erkennen dürften, wenn Chriftus, indem er
viel dem Herausgeber bekannt, zum erften Male; unter das Gottesreich unter den Seinen in der Kraft leiner
ihnen ift die Bearbeitung des Pentateuchs durch die naive Liebe ftiftete, nicht die Kraft göttlicher Liebe erwiefen
Art der Wiedergabe der biblifchen Gefchichte von be- hätte, wenn Chriftus, indem er für fein Werk in den Tod
deutendem Intereffe, zumal wenn wir nach der Vermuth- ging, nicht die Welt bezwungen hätte, fondern der Welt
ung des Herausgebers annehmen dürften, dafs fie für verfallen wäre, wenn Chriftus nicht auferftanden wäre, fo
Schulzwecke beftimmt gewefen fei. 1 wäre unfer Glaube eitel' (p. 21—31).

Hamburg. Carl Berthe au Die Ausführung diefer Gedanken möge man bei dem

; Verf. felbft nachlefen. Man wird dabei gewifs mannigfache
Belehrung und Befriedigung finden. Am beften
Kattenbusch. Prof. Dr. Ferd., Der christliche Unsterblich- ift demfelben m. E. die Zeichnung des griechifchen Ka-
keitsglaube. Vortrag, gehalten in Darmftadt am 24. tholicismus gelungen. Bei der Darftellung des römifchen
Nov. 188©. Darmftadt 1881, Würtz. (31 S. gr. 8.) : KatMicismus ift mir aufgefallen dafs der Verf. fo

w ö ' grofsen Nachdruck darauf legt, dafs man überhaupt ein
M- • °°- concretes Bild vom Jenfeits fucht. Der eigentliche Fort-

Diefer Vortrag bietet mehr als der Titel erwarten fchritt liegt doch wohl ausfchliefslich darin, dafs die Frage
läfst. Nicht weniger wie eine Ueberficht über ,die ge- ! nach den fittlichen Bedingungen der Erlangung der ewi-
fchichtliche Entwickelung des Verltändnifses der chrift- gen Seligkeit in den Vordergrund geftellt wird. Die Auflichen
Weltanfchauung' vom Standpunkte des Unfterb- zeigung der Schranken in diefer fittlichen Erkenntnifs
lichkeitsglaubens aus wird dem Lefer auf knapp zwei j des Chriftenthums wäre dann auch der Charakteriftik
Druckbogen dargeboten. In der Unfterblichkeitsidee des Proteftantismus zu gut gekommen. — Noch eine Befindet
der Hr. Verf. nämlich das Bindeglied aller chrift- merkung kann ich nicht unterdrücken. Der Hr. Verf.
liehen Confeffionskirchen und den Schlüffel für das Ver- hat im erften Theil fehr richtig auf die Relationen zwi-
ftändnifs der jeweils erreichten Gefammtanfchauung vom fchen der Auffaffung des letzten Zwecks des Chriften-
Chriftenthume. Seine Abficht geht daher darauf, zu | thums und der Gottheit Chrifti verwiefen. Es wäre inzeigen
, ,wie auf jeder der hiftorifch ftabil gewordenen I tereffant gewefen, wenn er die gleichen Relationen im
Stufen, auf denen das Chriftenthum fich zu einer Con- [ römifchen Katholicismus und im Proteftantismus verfolgt
feffion geftaltet hat, die Idee des Jenfeits der charakte- | hätte. Er würde dann auch erklärt haben, wie die me-
riftifche Ausdruck des jeweilen erreichten Gefammtver- taphyfifche Auffaffung der Gottheit Chrifti eigentlich nur
ftändnifses vom Wefen der von Chriftus geftifteten Reli- , in der griechifchen Kirche praktifche Bedeutung gewinnt,
gion ift' (p. 5 f.). 1 während in der römifchen Kirche diefe Idee vorwiegend

Die alte griechifche Kirche findet das Wefen der | in der kirchenpolitifchen, in der proteftantifchen in der
chriftlichen Religion ausfchliefslich darin, dafs fie vom moralifchen Richtung praktifch gemacht wird, wobei
Tode errettet. Der Glaube an ein Jenfeits, wenigftens ; jene griechifch-metaphyfifche Auffaffung unverftanden und
ein Jenfeits, das für die Leiden des Diesfeits wirklich hätte ; wirkungslos im Hintergrunde flehen bleibt. Das Schlufs-
entfehädigen können, war kein Gemeingut der alten | bekenntnifs des Verf.'s entfehädigt doch nicht für das