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Ausgabe:

1881

Spalte:

210-211

Autor/Hrsg.:

Huemer, Joh.

Titel/Untertitel:

Zur Geschichte der mittellateinischen Dichtung 1881

Rezensent:

Bertheau, Carl

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Theologifche Literaturzeitung. 1881. Nr. 9.

210

Julianos, in welchen er allen Menfchen Abfall vom
Chriftenthum und Verehrung der heidnifchen Götter befohlen
, und fie im Falle des Ungehorfams mit Peitfchun-
gen u. dergl. bedrohte, wurden auch im Gebiet von
Ämid von den ,Richtern' verlefen, und Viele verleugneten
Chriftum'. In der Gefchichte der Märtyrer von
Karkhä (S. 47) unter Jezdgerd III. werden Manichäer erwähnt
, die an der Chriftenverfolgung Theil genommen.
Ein gewiffes Intereffe hat auch die Wundergefchichte vom
Feuer bei der Taufe (S. 73 ann. 487). Das Belangreichfte
aber ift die Erwähnung einer ,Sadducäerfekte' in Kur-
diftan (Gefchichte des Säbhä S. 75 f.) und was der Lc-
gendenfchreiber von ihr zu erzählen weifs. Hoffmann
hat ihr einen befonderen, fehr gelehrten Excurs gewidmet
(S. 122—128) und kommt zu dem Refultate, dafs
entweder an Audianer oder an Borborianer zu denken fei.
Ich möchte der erfteren Deutung den Vorzug geben;
denn im Panegyrikus auf Rabulas (f. auch die deutfche
Ueberfetzung von Bickell, Ausgewählte Schriften der
fyr. KKväter. Kempten 1874 S. 197) wird, wie der Verf.
felbft anführt, die audianifche Ketzerei mit der faddu-
cäifchen fo zufammengeftellt, dafs man urtheilen mufs,
die Audianer feien Sadducäer genannt worden. Eine ähn- |
liehe Ueberlieferung befitzen wir aber betreffs der Borborianer
nicht; von diefen wird alfo trotz der Anbetung
des Schweinskopfes (Epiph. h. 26, 10 vergl. mit den
Acten Säbhä's S. 76 n. 700) abzufehen fein. Zur orien-
talifchen Religionsgefchichte, namentlich aber auch zur
kirchlichen Statiftik des Orients bringt das Buch reichhaltige
und werthvolle Beiträge. Ein fehr genaues Wort-
verzeichnifs (S. 298—324) erhöht feine Brauchbarkeit.

Giefsen. Adolf Harnack..

Chosroae Magni, episcopi monophysitici, Explicatio pre-

cum missae. E lingua armeniaca in latinam versa per
Repet. Dr. P. Vetter. Freiburg i/Br. 1880, Herder.
(XI, 64 S. gr. 8.) M. 1. 20.

Die Explicatio precum missae des Bifchofs Chosroas
ann. 950) foll das ältefte Schriftwerk diefer Gattung im
Ärmcnifchen fein. Es ift uns nicht vollfländig überliefert
, denn der Anfang fehlt. Vetter, ein Schüler von
Himpel's, hat dasfelbe nach der Mechithariften-Ausgabe
vom J. 1869 überfetzt. Diefe fufst auf einem MS. Bi-
bliotli. Meckith. ann. 1336; eine zweite, diefer fehr ähnliche
Handfchrift befindet fich zu Paris; aufserdem find noch
zwei jüngere interpolirte Codd. bekannt. Der Ueberfetzer
hat hierüber berichtet und p. X sq. eine kurze dogma-
tifche Beurthcilung der Explicatio folgen laffen. Die-
felbe kann als zutreffend nicht bezeichnet werden, felbft
abgefehen davon, dafs der Verf. die römifche Lehre
zum Mafsffabc nimmt. Was foll es heifsen, wenn Vetter
fagt, Chosroas lehre p. 13. 36. 46 monophyfitifch, p. 28
orthodox? Als ob ein Monophyfit nicht auch einmal ge-
wiffe Formeln brauchen könne, die orthodox erfcheinen,
ohne deshalb feine wahre Meinung verbergen zu müffen!
Vetter fucht auch die römifche Transfubftantiationslehre
bei Chosroas zu conftatiren, mufs aber felbft zugeben,
dafs qnenda locutionis' fich bei ihm finden, wenn auch
nicht ,mendq ßtei'. In Wahrheit fteht es aber bei ihm
nicht anders wie bei den orientalifchen Myftagogcn allen:
fie fühlen keine Aufforderung zu einer fcholaftifchen
Schematiürung der facramentalen Vorgänge. Die Formel
, die auch Chosroas am häufigften braucht (p. 18. 35.
36. 46. 29) ift ,Christum univisse sectim panem et vtnum'.
So etwas hat fchon Juftin vorgefchwebt, und diefe Vor-
ftellung darf als die authentifche in den griechifch-onen-
talifchen Kirchen aller Zeiten gelten. Chriftus affumirt
die Elemente, indem er fie emporrückt und an fich
nimmt, nicht aber tritt er in den Raum der Elemente
ein. Diefe Betrachtungsweife harmonirt mit der ftetigen
Stimmung des Orientalen beim Cultus, die der abend-

ländifch-katholifchen zwar gleichartig, aber auch entgegengefetzt
ift. Denn der Orientale fühlt fich im Gotteshaufe
beim Vollzug der heiligen Riten in den Himmel erhoben
und aus dem Bereiche der Endlichkeit entrückt, der römifche
Katholik feiert den Eintritt des Göttlichen in das
Endliche, das Hinabfteigen der Gnade zum Menfchlichen.
Darum auch hier die Aufforderung, die gegenftändlich
gewordene Gnade mit den Mitteln der Theologie gleich-
fam auszumünzen, dort die Befriedigung im Genuffe der-
felben zu fchwelgen.

Uebrigens fcheint diefe Explicatio in keiner Hinficht
dem Dogmenhiftoriker etwas Neues zu bieten; nur
vermag fie ihm die Beruhigung darüber zu verfchaffen,
dafs im 10. Jahrh. die armenifche Kirche nichts befon
ders Eigenthümliches in ihrer Theologie befeffen hat.
Doch mögen vielleicht gelehrtere Forfcher auf diefem
Gebiete manche Singularität in diefer ,Auslegung' entdecken
; ihnen fei fie daher auch empfohlen.

Giefsen. Adolf Harnack.

1. Huemer, Dr. Joh., Untersuchungen über die ältesten lateinisch
-christlichen Rhythmen. Mit einem Anhange von
Hymnen. Wien 1879, Holder. (75 S. gr. 8.) M. 2. —

2. H u e m e r, Dr.Joh., Zur Geschichte der mittellateinischen Dich
tung. Hugonis Ambianensis sive Ribomontensis opus-
cula. Wien 1880, Holder. (XIX, 40 S. gr. 8.) M. 2. 40.

Der Name des Verfaffers refp. Herausgebers diefer
Schriften ift uns fchon durch Arbeiten zur Gefchichte
der lateinifchen chriftlichen Poefie im Anfange des Mittelalters
bekannt; von Huemer erfchienen im J. 1876
,Unterfuchungen über den jambifchen Dimeter bei den
chriftlich- lateinifchen Hymnendichtern der vorkarolingi-
fchen Zeit' (Programm), und zwei Jahre fpäter Je Sedulii
poetae vita et scriptis'. In der erften der oben genannten
Schriften befchäftigt er fich wieder mit der poetifchen
Form der vorkarolingifchcn lateinifchen Hymnen und
zwar der rhythmifchen. Nachdem er cinleitungsweife
an das frühcfle Vorkommen rhythmifcher oder accen-
tuirender Verfe in der lateinifchen Volkspoefie (versus
satnrnius) erinnert hat, zeigt er, wie gerade die Rückficht
auf das Volk und den Gefang den Rhythmus in
die kirchliche Liederdichtung gebracht. In den älteften
lateinifchen Hymnen, die uns überliefert find, den vier
unzweifelhaft von Ambrofius gedichteten (vgl. Ebert,
Allg. Gefch. der Literatur des Mittelalters I, S. 172), ift
das Metrum forgfältig beobachtet und die Quantität genau
bewahrt; vom fechsten Jahrhundert an kommen neben
quantitirenden auch accentuirende Hymnen vor, bis
diefe letzteren die erfteren immer mehr verdrängen. Hue
mer giebt S. 5 ff. an, wie gleichzeitige Schriftfteller fich
diefes Unterfchiedes allmählich bewufst werden. An
Beifpielen aus 13 jambifchen und 6 trochäifchen rhythmifchen
Hymnen, zu denen dann noch 3 andere rhyth-
mifch-trochäifche Gedichte kommen, die fämmtlich aus
der Zeit vom fechsten bis zum achten Jahrhundert flammen
, die aber nur nach ihren Anfangsworten bezeichnet
werden und deren Text fomit als bekannt vorausgefetzt
wird, wird dann eingehend die Art und Weife befpro-
chen, wie in diefen Liedern die Sprache behandelt wird,
namentlich welche Gewaltfamkeiten fie fich mufs gefallen
laffen im Streite des Versaccentes gegen den Wort-
accent, durch Zufammenziehung und Theilung der Silben
u. dgl. m., Unterfuchungen, die zumeift ein philologifch.es
Intereffe haben und zu dem Refultate führen, dafs diefe
Eigcnthümlichkeiten in der Behandlung der Sprache für
den Rhythmus allein nicht hinreichen, um innerhalb des
genannten Zeitraumes ein Lied einer beftimmten Zeit
oder einem beftimmten Dichter zuzuweifen. Im Anhange
werden fodann drei Hymnen, die wahrfcheinlich bisher
noch nicht gedruckt find, aus einer Handfchrift der Marcusbibliothek
in Venedig, fowie Varianten zu dem bei