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Ausgabe:

1881 Nr. 8

Spalte:

194-196

Autor/Hrsg.:

Nathusius , Martin von

Titel/Untertitel:

Timotheus. Ein Ratgeber für junge Theologen in Bildern aus dem Leben 1881

Rezensent:

Köhler, Karl

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Theologifche Literaturzeitung. 1881. Nr. 8.

194

einen Seite wächft die Herrlichkeit des Chriftenlebens
immer mehr, fchlägt im allgemeinen menfchlichen Leben
immer tiefere Wurzeln; aber daneben wird es auch in
einen immer fchwierigeren Kampf mit den widerchrift-
lichen Mächten hineingezogen ; und der Kampf wird immer
heifser, immer mehr ein Kampf auf Leben und Tod'.
Auf der einen Seite alfo ift es laut vorliegendem Programm
,das Gefetz der Entwicklung' (S. 18), dem wir Belehrungen
verdanken, und wird fich diesen zufolge die
Kirche ,die Refultate der Bildung der vorhergegangenen
Gefchlechter immer vollftändiger und felbftändiger aneignen
, das Leben auch in feiner irdifchen Erfcheinung
immer völliger vom Geifte Chrifti durchdringen laffen
und in ihrem Schoofs die Keime für ein künftig vollendetes
Menfchheitsleben auf religiöfem und fittlichem Gebiete
, in Staat und Gefellfchaft, Wiffenfchaft und Kunft,
Verkehrs- und Erwerbsleben ausbilden' (S. 48). Auf der
anderen Seite liegt der Hebel für die grofse Wendung
zum endlichen Sieg doch ganz in dem ,übcrrafchenden
Wunder' der Wiederkunft, unfafsbar nur für den, welcher
auch in dem erften Kommen Chrifti ins Flcifch ein
wunderbares Eingreifen Gottes nicht fehen will' (S. 51).
Speciellere Führer des Verf.'s auf feinen apokalyptifchen
Wegen find nicht fowohl Hengftenberg und Kliefoth, als
Auberlen (daher S. 49 Apok. 17 auf die verweltlichte
Kirche gedeutet), Rougemont (deffen Werk Les deux
citis S. 57 ,die befte und vollftändigftc Ueberficht über
die bisherigen Verfuche, den inneren Zufammenhang der
Menfchheitsgefchichte darzuftellen' heifst) und Reiff (den
er S. 54 als ,einen der befonnenften neueren Darfteller'
mit der Vertretung des Chiliasmus betraut).

Eins ift gewifs: ,wir warten auf unferes Leibes Er-
löfung' (S. 56,. -Mit diefem Schlufsworte hat der Verf.
eine Lebensarbeit abgefchloffen, um deren concentrirte
Fülle, gcfchloffene Einheit und geradlinige Führung ihn
auch mancher ausgefprochene Gegner beneiden dürfte.
Wie man fich auch zu ihm ftellen und auf welchem
Kampffeldc man ihn finden mochte — und man fand
ihn auf beinahe jedem: ftets hatte man das Bewufstfein,
einen ganzen Mann zur Seite oder fich gegenüber zu
haben, einen Kämpfer von ebenfo umfichtiger Klugheit
und weitem Blick, als entfchloffcncm Muth. Dafs ein
folchcr Mann in einer Weltanfchauung, wie die angedeutete
, feine dauernde Befriedigung, ja die Quelle feiner
Kraft finden und fie auch mit den Anfprüchen eines fehr
entwickelten und kräftigen Verftandes auszugleichen vermochte
, ift immerhin eine Thatfache, die in hohem Mafse
Beachtung verdient. Sollten fich aber auch unvereinbare
Gegenfätze in diefer Gedankenwelt nachweifen laffen,
wahr bleibt es doch auf alle Fälle: ,Die chriftliche
Weltanfchauung allein bietet uns eine Zukunft, die ein
Menfchenherz wirklich befriedigen kann' (S. 19).

Strafsburg i. E. H. Holtzmann.

Mönckeberg, Paft. Dr. C., Das Ende des Kulturkampfes.

Hamburg 1880, Nolte. (126 S. gr. 8.) M. 2. —

Der Culturkampf, fagt der Verf. S. 1, fei ,der Kampf
der modernen Cultur mit der kirchlichen'. Neben einer
halben Wahrheit liegt hier fein nydnov xpevöog. Er fieht
in allen den Erfcheinungen, die man mit jenem unge-
fchickten und verwirrenden Schlagworte bezeichnet,
nichts als die Auflehnung einer hochmüthigen, gott- und
kirchenfeindlichen Aufklärung wider die Kirche: von der
ungeheueren Verfchuldung der römifchen Kirche, welche
den Kampf jedes Staates, welcher es fei, mit ihr zur
weltgefchichtlichen Notwendigkeit macht, weifs er nichts.
Nachdem er auf mehr als 100 Seiten von einer Menge
von Dingen aus der Religions-, Kirchen- und Culturge-
fchichte, deren Zufammenhang mit dem angekündigten
Thema vielfach nur fchwer oder gar nicht erfichtlich ift,
gehandelt hat, kommt er S. 113—126 auf diefes felbft
zu reden. Nach dem Erfchcinen des Syllabus vom 8.

I Dec. 1864, fagt er (S. 114), ,fühlte fich der neu fich bildende
Protcftantenverein in Deutfchland mächtig aufgefordert
, gegen diefes Hauptattentat gegen die Menfch-

i heit feine Stimme zu erheben', während doch die
Centrumspartei ,den Mifsverftand der angefochtenen
Sätze bei den Gegnern nachwies'. Nach der Erklärung

j der Unfehlbarkeit hatte man — völlig überflüffiger Weife
— ,den Eindruck, als ob in Rom eine Verfchwörung

] nicht nur gegen alle Staatsgewalt der Welt, fondern auch

j gegen alle Cultur und Civilifation gemacht werde' (S.

i 116), und brach deshalb die Gelegenheit zu einem Prin-
eipienkampf vom Zaune. Dafs eine kirchliche Erziehung
keine antinationale Gefinnung erzeuge, beweife das Bei-
fpiel M. v. Schenkendorf's (S. 122): war Schenkendorf
ein Jcfuitenzögling? Wie nun aus der gegenwärtigen

: fchweren Verwickelung herauszukommen fei, darüber erwartet
man des Verf.'s Rathfchläge; aber was er zu fa-
gen weifs, klingt orakelhaft genug. Nach Canoffa könne
Bismarck nicht gehen; aber, lieft man S. 125, ,wenn die
(Mai-)Gefetze das Gehäffige verloren hätten, dann könnte
Bismarck nach Rom gehen, und der Papft würde ihm
für die katholifche Kirche in Deutfchland alle Rechte
bewilligen, welche die gallicanifche hat, dem Staate alle,
die der Kaifer von Oeftreich geniefst. und vielleicht noch
mehr'. Aufserdem müfste, da die Maigefetzc nicht blofs
gegen die katholifche, fondern auch gegen die lutherifche
Kirche gerichtet find, die Union, welche ohnehin .immer
mehr an Billigung und Achtung, wo fie eingeführt ift,
verloren hat', in Preufsen für die nächfte Zeit fuspendirt
werden (S. 126). Wir haben nichts hinzuzufügen.

Friedberg. K. Koehler.

Nathusius, Martin v., Timotheus. Ein Rathgeber für
junge Theologen in Bildern aus dem Leben. Leipzig
1881, Hinrichs. (III, 123 S. 8.) M. 1. 50; geb.M. 2. 20.

Diefe Schrift enthält viel Wahres und viel Irreführendes
. Für die Unficherhcit, Unlebendigkeit, Unbeholfenheit
in der Amtsführung vieler Geifthchen macht der

i Verf. die herrfchende Weife der Vorbildung der Theologen
verantwortlich. Er fordert genützt auf eigene Lebenserfahrungen
eine Reform des theologifchen Studiums
im Sinne der Schlufsworte des erften Timotheus
-Briefes. Sein Ausgangspunkt ift der alte Begriff
der Theologie als eines Jiabitus practicus. Es giebt
keine echte Theologie aufser auf dem Grunde perfön-
lichen fittlichen Strebens, daher perfönlichen Sündengefühles
, überhaupt perfönlichen Contactes mit dem
Ewigen, perfönlicher Frömmigkeit. Das find am Ende
keine neuen Wahrheiten, aber die Theologie mag fie fich
immer von neuem gefagt fein laffen, zumal in der Gegenwart
. Wir dürfen uns nicht bergen, dafs das Uebel,
an dem die ganze heutige Bildung krankt, auch unferer
Wiffenfchaft Gefahr droht, der zerftückelnde Intellectua-
lismus, welcher über dem in Maffe zuftrömenden ftoff-
lichen Detail den umfaffenden Zufammenblick des Gan-

, zen, den Einblick in das innere Wefen der Dinge verliert
. So kann es kommen, dafs die exegetifche Theologie
durch die Menge kritifcher Probleme, an welchen
fie fich zerarbeitet, das Eindringen in den religiofen Geift
der Bibel und die Freude daran geradezu hindert, dafs
die Kirchengefchichtc, nach des Verf.'s Ausdruck, zu
einer recht .langweiligen Gefchichte' wird, weil wiederum
die zerftückelnde Kritik es nicht zum Verftändnifs der
Schönheit und Hoheit des chriftlichen Geiftes kommen
läfst, der im Leben der Kirche in allen ihren Phafen zur
Erfcheinung kommt, dafs es endlich beim Studium der
Dogmatik der angehende Theologe nie zu einer für Leben
und Sterben haltbaren Ueberzeugung bringt, weil
das Ganze fchliefslich nur auf einem mit mehr oder weniger
Kunft und Mühe zufammengefügten Gerüfte von
Verftandesbegriffen ruht. Das Schlimmfte ift, dafs auf