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Ausgabe:

1880

Spalte:

146-147

Autor/Hrsg.:

Engelbach, Georg

Titel/Untertitel:

Saronsblumen und Heckenrosen. Gedichte 1880

Rezensent:

Lindenberg, H.

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Theologifche Literaturzeitung. 1880. No. 6.

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können, die als chriftliche Schriftfteller vor Andern
einen Namen haben, Otto Funcke und Nie. Fries.
Wir erkennen vollkommen Funcke's fchriftftellerifches
Talent an, feinen fcharfen, offenen Blick, feine Gabe
geiftreicher Combination, feine warme lebhafte Empfindung
, fein Gefchick gewandter und feffelnder Darfteilung.
Aber es ift in feinen Schriften eine eigenthümliche Mifch-
ung von chriftlicher Frömmigkeit und moderner Geift-
reichigkeit, die fehr nach Feuilleton fchmeckt, und min-
deftens den Schein erweckt, als füllte auf diefe Weife
das Chriftcnthum ,intereffant' gemacht werden. Es fehlt
die nöthige Unbefangenheit; es ift, wie überhaupt in
unterer neueren chriftlichen Literatur, zuviel bewufste
Reflexion dabei, die allen Erfcheinungen des natürlichen
Lebens den chriftlichen Stempel aufdrücken zu
müffen glaubt, um fie dadurch erft zu legitimiren, und die
Alles im Lichte der chriftlichen .Tendenz' anficht, der leidigen
Tendenz, diefes Giftes unterer modernen Kunft
und Poefie! Mehr noch als fonft ift uns dies in der
vorliegenden Arbeit mit der charakteriftifchen Ueber-
fchrift: .Himmlifchc Mufik eines Bremifchen
Kutfchwagens' entgegengetreten. Was der Verf. darin
im Allgemeinen ausführt, hat inhaltlich zum grofsen
Theil untere vollfte Zuftimmung. Vieles ift darin
treffend und geiftreich bemerkt, aber die Art und Weife,
wie vom Verf. ein einzelner liebenswürdiger Zug einer
edelgcfinnten Frau zu einer ganz aufserordentlichen Begebenheit
aufgebaufcht und in einer ganzen Reihe von
Betrachtungen über fociale Uebelftände und Philippica's
nach allen Seiten hin ausgenutzt wird, hat nach unferm
Gefchmack etwas fehr Gefuchtes und Gefpreiztes.

Die Erzählung von N. Fries: .Verborgen in
Gott' hat im Einzelnen viel Anfprechendes. Das Ver-
hältnifs der beiden Alten, die der Verf. darin vorführt, ift
mit feelenvoller Wärme und liebenswürdiger Sinnigkeit
in feinen Strichen, auch ftellenweife nicht ohne einen
gewiffen, wenngleich fehr fchüchternen Humor gezeichnet
; aber es ift zu wenig pfychologifcheEntwicklung in
den Charakteren, zu wenig lebendige Veranfchaulichung
der inneren und äufserenKämpfe, durch die einMenfchen-
herz hindurch den rechten Weg findet, wie fie fo unübertroffen
meifterhaft ein Jeremias Gotthelf verfteht;
an die Stelle der pfychologifchen Entwicklung tritt ein
wunderbarer Eingriff Gottes in einer plötzlichen inneren
Erleuchtung, oder in einem zufälligen äufseren Ereignifs,
wodurch ohne genügende innere Vermittlung eine Bekehrung
zu Stande gebracht wird. Es ift zu wenig
wirkliche Gefchichte und zu viel fromme Herzensergiefsung
geboten, die im Predigtton in Spruch und Lied fich ergeht,
und die auch zum Theil die Leute aus dem Volke in
geftempelten Kanzelworten reden läfst. Die erbauliche
Betrachtung fleht zur Gefchichte in umgekehrtem Ver-
hältnifs, als jenes ift, das der Herr in dem auch für chriftliche
Schriftfteller überaus bedeutfamen Gleichnifse vom
Sauerteig andeutet — ein wenig Mehl von Gefchichte
und viel Sauerteig chriftlicher Betrachtung! Wohl, der
Gefchmack ift verfchieden, und es giebt chriftliche Kreife
im Volke von aufrichtiger Frömmigkeit, die erftaunlich
viel in diefer Richtung vertragen; wer aber bei aller
Gottfeligkeit fich noch ein Stück gefundes Heidenthum
bewahrt hat, ohne das unferm Chriftenthum die Naturwahrheit
fehlt, den macht das viele Predigen herzlich
müde und der will auch in .chriftlichen' Erzählungen
wirkliche Menfchen von Fleifch und Blut, menfehlich
wahre Gehalten und eine menfehliche Gefchichte haben,
die fehr erbaulich fein kann, wenn auch nicht ein einziges
frommes Wort darin vorkommt. Mufs denn immer
die chriftliche Etiquette aufgeheftet fein, oder um an
das obige Bild anzuknüpfen , der Sauerteig oben aufliegen
, der vielmehr von Innen heraus das Ganze durchdringen
foll?

Mit wahrem Genufs und tiefer Rührung haben wir
die biographifche Skizze der Herzogin Helene von

Orleans gelefen, die Max Reichard mit warmer Liebe
und grofsem Gelchick, ohne alle .Salbung', aber mit
der Weihe tiefinniger, verftändnifsvoller Empfindung entworfen
hat. Befonders werthvoll find neben den Mittheilungen
, die der Verf. aus perfönlicher Anfchau-
ung und näherem Verkehr mit der feltenen Frau macht,
die Briefe derfelben an ihren Lehrer Dr. Rennecke, die
hier das erfte Mal veröffentlicht find, und die einen
tiefen Einblick in den hohen Geift und die wahrhaft
grofse, edle Seele einer deutfehen Fürftentochter gewähren
, die zu den Betten ihres Gefchlechts zählt.

Neben Max Frommel, der mit einer finnigen ,Tifch-
rede bei einem Hochzeitmahl' eine Abfchlagszahlung
leiftet, um hoffentlich in den nächften Jahrgängen mehr
zu bringen, hat fein Bruder Emil Frommel eine fehr
dankenswerthe Gabe gefpendet: ,Storchnefter auf
allerhand Häufern'. Der liebenswürdige Humor und
die köftliche Frifche des geift- und gemüthvollen Mannes
mit feiner trotz des märkifchen Sandes unverwüft-
lich guten Laune entfalten fich auch hier ebenfo anziehend
, als wohlthuend.

Möge die neue Chriftoterpe fich bald, wie die alte,
alsein lieber Hausfreund in den Chriftenhäufern, fpeciell
in den Pfarrhäufern, einbürgern, und im bittern Ernft
der Gegenwart Vielen ein Quell gefunder Chriftenfreude
fein! —

Dresden. Meier.

Engelbach, Georg, Saronsblumen und Heckenrosen. Gedichte
. Forft i/L. 1880, Hoene. (VII, 224 S. 8.)
M. 3- —; geb. M. 4. -

Der Name des Verfaffers diefer Gedichtfammlung
I ift den Lefern von Ohly's Vierteljahrsfchrift .Mancherlei
Gaben und Ein Geift' kein Unbekannter mehr. Bereits
im Jahre 1870 erfchienen einige der hier gefammelten
Bearbeitungen biblifcher Stoffe in dem jener Zeitfchrift
beigegebenen Blüthenftraufs chriftlicher Dichtung (das
meff. Reich S. 76, das Todtenfeld S. 82, der See Tibe-
rias S. 138). In dem vorliegenden Bande hat der Verf.
! feine biblifchen Dichtungen, in gefchichtlicher Reihenfolge
geordnet, zufammengeftellt und eine Auswahl
kleinerer lyrifcher Gedichte unter dem Titel .Hecken-
rofen' hinzugefügt. Was die erfteren betrifft, die bei Wei-
j tem den Haupttheil des Buches einnehmen, fo zeichnen
| fich diefelben vor vielen ähnlichen neuerdings hervor-
j getretenen Verfuchen höchft vortheilhaft aus. Es find
1 nicht mehr oder minder gefchickt in Reime gebrachte
j biblifche Gefchichten, fondern felbftändige, mit reicher
I dichterifcher Phantafie belebte Ausgeftaltungen heilsge-
I fchichtlicherSituationen. Als ein charakteriftifchesBeifpiel
[ mag die Bearbeitung des Hohen Liedes hervorgehoben
werden, in der der Verf. den Verfuch macht, mit freier
| Benutzung der Bilder und Wechfelrcden des Originals
1 ein felbftändiges zufammenhängendes Idyll z geftalten,
I das, foviel man auch gegen Einzelheiten vom exegeti-
fchen Standpunkt einwenden möchte, von dem Geift
der altteffamentlichen Dichtung einen lebendigen Eindruck
giebt. Auch wo der Verf. eine biblifche Gefchichte
erzählt, wie in dem Gedicht ,Saul und das
Zauberweib zu Endor' oder ,des Täufers Ende' ift die
Darfteilung Reproduction lebendiger poetifcher Anfchau-
ung. Nicht minder verräth die Form — von einzelnen
Härten und einigen Ueberfchwänglichkeiten des Ausdrucks
abgefehen — den wirklichen Dichter, der ,fchön
fagt, was er dacht' und empfand'. Wenn es die Abficht
des Verf.'s gewefen ift, Anleitung zu geben, .nicht
nur die unwandelbare Wahrheit, fondern auch die heilige
Schönheit aus den einfachen oft wenig vermittelten
Accorden der biblifchen Mufik herauszufühlen', fo wird
! man ihm das Zeugnifs nicht verfagen, dafs feine Dicht-
j ungen zur Erfüllung diefes Zweckes einen fchätzens-
I werthen Beitrag geben. Die beigefügten lyrifchen Ge-