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Ausgabe:

1880

Spalte:

131-133

Autor/Hrsg.:

Friedrich, J.

Titel/Untertitel:

Zur ältesten Geschichte des Primates in der Kirche 1880

Rezensent:

Overbeck, Franz

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Theologifche Literaturzeitung. 1880. Nr. 6.

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Gnofticismus angehört, die Anfpielungen auf das Juden-
chriftenthum aber lediglich Fiction find, um die Paulus-
Maske zu wahren, hat jedenfalls vieles für fich, wird aber
auch vom Verfaffer felbft durch die als Möglichkeit offen
gelaffene Annahme befchränkt, dafs der Brieffchreiber
fich der judaiftifchen Wurzeln der Gnofis noch bewufster
war, als fpätere Schriftfteller. Eine völlige Löfung des Problems
ift wohl erft von einer genaueren Feftftellung der
Urfprünge und der Urgeftalt der Vulgärgnofis zu erwarten.
Sehr gründlich und folid gearbeitet find die Erörterungen
über den Lehrbegriff der Briefe, wobei nur Einzelheiten
zu beanftanden fein werden und über die .kirchliche Or-
ganifation', ein befonders intereffanter Abfchnitt, der auch
die neuerdings vielverhandelte Frage nach den jüdifchen
oder heidnifchen Vorbildern der heidenchriftlichen Ge-
meindeverfaffung in Erwägung zieht. Etwas buntfcheckig
ift der Schlufsabfchnitt ausgefallen, der unter der Rubrik
,Uebrige Zeitfpuren' nicht blofs die Reihenfolge der Briefe,
ihre äufsere Bezeugung, Abfaffungszeit und Ort, fondern
auch ,Vergängliches und Bleibendes' befpricht.

Auf eine eingehende Befprechung des ,excgetifchen
'Iheils' d. h. des vom Verf. gegebenen vollfländigen
Commentars zu den Briefen mufs Ref. hier verzichten.
Doch darf es diefem Commentare nachgerühmt werden,
dafs er gegenüber den bisherigen Arbeiten, auch die
treffliche Leiflung de Wette's nicht ausgefchloffen, einen
nicht unerheblichen Fortfehritt im Verftändnifse des
Textes bezeichnet. Ueber Einzelheiten, z. B. über die
S. 499 (vgl. S. 174) vorgetragene Auslegung des ö/xai-
ivdtvitg Tit. 3, 7, mit welcher Ref. feinerfeits nicht ftim-
men kann, wird wohl noch lange geftritten werden.

Jena. Lipfius.

Friedrich, J., Zur ältesten Geschichte des Primates in der
Kirche. Bonn 1879, Neuffer. (VIII, 207 S. gr. 8.) M. 5. —

Der Verf. geht bei feiner Unterfuchung vom 7. Kanon
des Nicaenifchen Concils und der befchränkten Anerkennung
, welche darin auf Grund von ,alter Sitte' und ,Tradition
' die Rechte Jerufalems als apoftolifche Kirche gefunden
haben, aus. Die Grundlage diefes Kanons findet
der Verf. unmittelbar in der Tradition über den einftigen
.Primat' des Jakobus als Bifchofs von Jerufalem. Diefen
.Primat' ftellt denn der Verfaffer nach den bei Eufebius
befonders aus Hegefipp und Clemens von Alexandrien
erhaltenen Zeugnifsen und nach dem N. T. dar
(S. 7 — 45), wobei fich ihm die Kirche von Jerufalem als
die einzige Kirche ergiebt, die einen Apoftel zum Bifchof
gehabt und darum Anspruch auf den Titel einer apofto-
lifchen hat (S. 26 f.). Hiernach!! geht der Verfaffer zur
Kirchenverfaffung der Clementinen über (S. 46 ff.), welche
ihm als die Grundlage des Primats der römifchen Kirche
gilt, fofern diefe Kirche zunächft theils durch unmittelbare
Verwendung der Petrusfage diefer ebionitifchen
Literatur S. 54 ff.), theils durch Schaffung einer anticle-
mentinifchen Petrusfage ihre Anfprüche zu begründen
fucht. Dann werden die Schickfale diefer Anfprüche im
Ketzertaufftreit des Stephanus und in den nächftfolgen-
den Jahrzehnten bis zum nieänifchen Concil dargeftellt,
alfo ihre Beftreitung durch Cyprian und Phrmilian (S. 87 fr.),
dann die immer deutlicher hervortretende Erhebung der
drei petrinifchen Stühle Rom, Alexandrien und Antiochien
über alle übrigen Kirchen (S. 124 ff.), der Vorrang
, der dabei Rom eingeräumt wird und auch in der
häufigen Einholung des Gutachtens der römifchen Kirche
hervortritt, ohne dafs jedoch dabei an einen Primat
diefer Kirche fchon damals gedacht werde, wie das mit
dem Vorgehen der antiochenifchen Synode gegen Paulus
von Samofata (S. 120 f.) und der Synode von Arles von
314 (S. 128 f.), auch mit der Kirchenverfaffung der in
diefes Zeitalter gehörenden apoftolifchen Conftitutionen
bewiefen wird (S. 130 ff.). In dem folgenden Abfchnitte '
über das Concil von Nicaeä geht der Verf. zunächft auf

die bekannten curialiftifchen Controverfen über dem An-
theil des Papftes an Berufung, Leitung und Beftätigung
diefes Concils ein, die er durchgängig gegen Rom ent-
fcheidet (S. 114 ff.), und erklärt dann den 6. Kanon der
Synode, der die Patriarchalrechte der fechs gröfsten Pro-
vincialkirchen des Römifchen Reichs mit Voranftellung
von Rom fcftfct/.t, und den fchon erwähnten fiebenten,
welcher die Kirche von Jerufalem abfindet (S. 150 ff.).
Ein ,Blick auf die nachnikänifche Entwickelung'(S. 158 ff),
fchildert dann noch ,in einigen Zügen die Rührigkeif,
welche man in Rom entfaltete, um die Stellung der römifchen
Kirche zu fichern und ihr eine noch hervorragendere
Bedeutung zu erobern', wobei befonders das
Verhalten des Papftes Julius I in der Angelegenheit des
Athanafius(S. 160 ff.), die Befchlüffe von Sardica (S. 172 ff. ,
das neue Hervortreten der Clementinen (S. 180 ff.), die
! Bemühungen des Damafus und Gelafius um die Theorie
1 über den Primat (S. 182 ff.) und die daneben hergehen-
J den Verbuche, zu Gunften des römifchen Primats die alte
Tradition über den von Jerufalem zu befeitigen (S. 187 fr.),
zur Sprache kommen.

Man hat es bei diefem Buche mit einer altkatholifchen
Tendenzfchrift zu thun. Dafür ift fchon der Grundgedanke
desfelben, Jerufalem in Hinficht auf Anfprüche
auf einen Primat in der Kirche als im Vergleich zu Rom
beffer berechtigt zu achten, charaktcriftifch. Der Satz,
welchen der Verf. unter den Ergebnifsen feiner Unterfuchung
aufftellt, ,dafs allerdings nach der Auffaffung
der alten Kirche fchon von Anfang ein Primat in der
Kirche vorhanden war, dafs ihn aber nicht Petrus und
feine Nachfolger in Rom, fondern Jakobus der Gerechte
in Jerufalem und deffen Nachfolger inne hatten' (S. 204),
ift nur auf dem Boden antipäpftlicher Polemik gewachfen,
aber hiftorifch nicht zu begründen. Denn welches auch
die Anfprüche des Jakobus und feiner nächften Nachfolger
als Vorfteher der jerufalemifchen Kirche gewefen
fein mögen, ganz vergebens bemüht fich der Verf. gegen
Ritfehl, ihm ein in der .alten Kirche' überhaupt anerkannte
amtliche Primatialftellung zu vindiciren (S. 35 f.).
Mögen jene Anfprüche über Jerufalem noch fo weit
hinausgegangen fein, die ganze Entwickelung der alten
Kirche in ihren Anfängen beweift, dafs fie nie zu einer
Inftitution von katholifcher Bedeutung geführt haben,
und das umzuftofsen find die Zeugnifse des Hegefipp
(bei Euf. KG. II, 23, 4) und Clemens von Alexandrien
(ebend. 1, 3) nicht angethan. Die harmoniftifche Flxegefe,
deren fich aber der Verf. bedient, um auch das N. T.
zum Zeugen deffen, was ihm als die .urfprüngliche Pri-
matialverfaffung der Kirche' gilt, zu machen (befonders
S. 38 f.), nimmt ihm alles Recht auf den Anfpruch ,nur
hiftorifch zu verfahren', den er gelegentlich gegen katho-
lifclie Theologen erhebt, die, wie er, zu ihrer Erholung
wohl auch einmal eines Spaziergangs im Reiche der
Kritik bedürfen, aber fich dabei mit Wenigerem begnügen.
Auch kann nur eine Gefchichtsforfchung, wie fie der
Verfaffer ebendafelbft (Vorr. S. VI) perhorrescirt und
welche über die Formen der alterten Kirchenverfaffung
rtarre Vorurtheile hat, A. G. 6, 1 ff. ohne Weiteres und
aller längft gegebenen befferen Belehrung zum Trotz von
.Diaconen' reden (S. 31). Unbillig und zum Theil fchief
ift daher auch die Polemik des Verfaffers gegen die Um-
rtände, welche Hefele bei der Interpretation des 7.
Kanons von Nicaea macht (S. 57). Durch die Gefchichte
der jerufalemifchen Gemeinde ift nach Euf. KG. IV,
5. 6. V, 12, 1 ein Rifs gegangen, welcher ihre Conti-
nuität und insbefondere die ihres Epifkopats aufgehoben
hat. Es giebt denn auch aus einer über ein Jahrhundert
langen Periode keine Spur davon, dafs der katholifche
(heidenchriftliche) Epifkopat von Jerufalem Sonderrechte
aus der Stellung des Jakobus abgeleitet hätte, und wenn
er es um die Zeit des Concils von Nicaea gethan hat,
fo hat er nur, etwa wie feit dem 4. Jahrh. der römifche
Epifkopat es mit den Clementinen that, auf eine unver-

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