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Ausgabe:

1880

Spalte:

109-111

Autor/Hrsg.:

Frick, Otto

Titel/Untertitel:

Mythus und Evangelium 1880

Rezensent:

Thoenes, Karl

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icx)

Theologifche Literaturzeitung. 1880. Nr. 5.

110

gewefenes und Bekanntes hinausgehen und (ich meift 1 im Leben Jefu für das deutfche Volk rede er von ab-
zum Voraus erwarten laffen, fobald man fich des con- 1 fichtlicher Tendenzdichtung.

feffionellen Standpunktes der Exegefe erinnert. Indem Aber auch jetzt noch fei es nicht möglich, den Be-

wir alfo der reichen Literatur und dem Quellennach- griff des Mythus auf die Evangelien zu übertragen, weil
weife, wie fie befonders in den Anmerkungen ganz nach j die Unklarheit über das Wefen des Mythus felbft unter
dem Vorbilde von Keim's ,Gefchichte Jefu' zufammen- den Gelehrten zu grofs fei. Um dies nachzuweifen,
geftellt find, alle Anerkennung zu Theil werden laffen, j werden die Anflehten K. O. Müller's, L. Preller's, Wel-
befchränken wir uns auf eine kurze Skizzirung der kri- j cker's, Max Müller's u. A. kurz befprochen.
tifchen Refultate, zu welchen den Verf. fein Studium Nur gewiffe übereinftimmende Eigenfchaften alles

gelangen läfst. ' Mythifchen liefsen fich als fichere Ergebnifse wiffen-

Die patrifiifchen ,Zeugnifse' verlegen die Abfaffung 1 fchaftlicher Betrachtung zufammenftellen ; auf diefe hin
des Evangeliums des' Matthäus in der Regel noch vor | muffe alfo der Inhalt der Evangelien geprüft werden,
die Abreite diefes Apoftels aus Paläflina, und demgemäfs Diefe ubereinftimmenden Eigenfchaften werden nun

haben die meiden katholifchen Exegeten es wo möglich ; zunachft in den hactoren gefunden, die in der menfeh-
bis in die dreifsiger oder vierziger Jahre hinauf verlegt. | liehen Seele an der Erzeugung der Mythen arbeiteten.
,Dem widerfpricht aber eine Nachricht des Irenaus' i Als folche werden genannt: das religiöfe Gefühl (der
(S. 47. und das fetzt den Verf. glücklicher Weife in den , angeborene ,Gottesfinn'), das Naturgefühl, ein künftler-
Stand, mit Feilmofer, Hug, Maier, Haneberg für 1 ifcher und ein wiffenfchaftlicher Trieb. In den aller-
die fechziger Jahre zu votiren, während noch Bisping j älteften Zeiten feien Gottes- und Naturgefühl in der Art
bezeichnender Weife den hebräifchen Matthäus 42, den ; innig verbunden, dafs das Gottesgefühl das Naturgefühl
griechifchen 67 anfetzt, womit der Tradition erft die , zu fich emporziehe; hernach gehe das erftere durch den
volle Ehre angethan feinen. Näher erinnert unfer Verf. | Einflufs der dichtenfehen Anfchauung mehr und mehr
an die Lage der paläftinifchen Chriftcnheit zur Zeit des ' im Naturgefühl unter. Vermitteln des Triebes, das
Todes des gerechten Jakobus. ,Wie die nationalen Be- j Höchfte zu perfonificiren, entftehe dann aus dem urfprüng-
ftrebungen und die Feindfchaft gegen Rom dem Höhe- liehen Monotheismus, den der Verf. mit Welcker an-

punkt zufteuerten, fo mufste alles, was nicht mitging,
dem Hafs der Juden verfallen' (S. 44). Damit ift immerhin
ein dankbareres apologetifch-polemifches Motiv namhaft
gemacht, als das Synedrialfchreiben Aberle's war.
Indem er letzteres fallen läfst, formulirt daher der Verf.

nimmt, der Polytheismus.

An diefen fchliefse fich die Vermenfchlichung der
Götter an und zugleich ihr Herabgezogenwerden in
menfehliche Gebrechen und Fehler.

Der erwähnte wiffenfehaftliche Trieb der menfchlichen

feine früheren, von Weifs zu vage befundenen, Aufftcll- 1 Seele, das philofophifche Bedürfnifs derfelbcn, komme zu
ungen hinfichtlich des Zweckes jetzt näher dahin, ,dafs ; .Tage z. B. im Trimurti der Inder, in den Kosmogonien der
Matthäus fein Evangelium fchrieb, um die bedrängten i Hellenen, den eschatologifchen Mythen der nordifchen
und der Gefahr des Abfalls ausgefetzten Judenchnften ; Völker und in den überall fich findenden vom entfehwun

Palälbna's zu tröften und zu beflärken' (S. 46), d. h. er
überträgt eine, von proteflantifchen Theologen früher
vielfach und mit Unrecht dem Hebräerbrief untergelegte

denen goldenen Zeitalter. Eben diefer philofophifche Trieb
aber zerftöre im weiteren Fortgange der Entwickelung die
Mythendichtung. Durch ihn lerne man allmählich die

Zweckbeftimmung auf das Matthäusevangelium," darauf' Götter als fittliche Mächte begreifen und komme weiter

fie noch viel weniger pafst. Dabei berührt er fich we
nigftens theilweife auch mit Henri Lutteroth, deffen

Essai d'Interpretation de quelques parties de F evangile
selon S. Mattliieu 4 Theile, Paris, 1860—76) den Zweck
des Werkes in die Hervorhebung des geiftigen und fitt-
lichen Charakters des Meffiasreiches verlegt hatte, und

auch zur monotheiftifchen Auffaffung des Göttlichen; fo
in Griechenland feit den Tagen des Sokrates. In einem
Kreislaufe gelange man fo zum Anfange der Entwickelung
zurück.

Ganz anders verlaufe die rel. Entwickelung beim
jüdifchen Volke. Diefes habe nie eine Mythologie ge-

mit J. Grimm, welcher (die Einheit der Evangelien, l habt. Im jüdifchen Volke ftehe nicht ein dunkles Got
Regensburg 1868 und Leben Jefu, 2 Bde., ebend. 1876 tesgefühl, fondern die lebendigfte Gottesgewifsheit im
—78) den Gegenfatz gegen das Judenthum noch mehr ab- j Centrum des ganzen geiftigen Lebens, und diefe dränge
fchwächt, weil er dem Evangelium eine Adreffe geradezu j Naturgefühl, Phantafie, dichterifchen Sinn fo fehr zurück,
an die Juden geben will. Ich erwähne beide Werke, ; dafs Mythenbildung unmöglich werde. — Ein diametraler
weil fie mir erft aus vorliegendem Commentar bekannt ! Gegenfatz gegen die mythenbildenden heidnifchenVölker
geworden find. I decke ferner auch darin fich auf, dafs das jüdifche Volk

Cj. - , . ,T u i. das Göttliche nicht vermenfehliche, fondern in der Meffias-

i idee fich felbft als fchuldbcladen bekenne, den ewigen
Gott aber als heilig. — Ferner würde es unbegreiflich
fein, wenn das jüdifche Volk zu Mythenbildung gekommen
wäre, als es im letzten Stadium feiner Entwicklung
war, d. h. mit der Erfcheinung Chrifti. — Endlich fchliefse
der Inhalt der evang. Gefchichte mythifche Auffaffung
aus. In den Evangelien redeten Augen- und Ohrenzeugen
, nicht dichterifche Phantafie; die heil. Gefchichte
habe fich vollzogen unter nachdrücklichem Proteft gegen
jede Mythenbildung — Chriftus fei ja wie ein Verbrecher

Frick, Rect. Dr. Otto, Mythus und Evangelium. (Zeitfragen
des chriftlichen Volkslebens. 23. Hft.) Heilbronn
1879, Henninger. (44 S. gr. 8.) M. 1. —

Der religiöfe und theologifche Standpunkt, den die
Zeitfragen vertreten, ift bekannt. Der Verf. will nachweifen
, dafs die evangelifche Gefchichte keinen mythifchen
Stoff in fich enthalte.

Zu diefem Zwecke geht er aber nicht ein in das I geftorben! —; in derfelben fei kerne Spur von Natur

Einzelne der kritifchen Arbeiten, welche fich mit der Vergötterung zu finden; es fehle ihr fpeeififeh nationales
Evangelienfrage befchäftigen — was ja auch den Rah- I und landfehaftliches Gepräge; die Idealgeftalt derfelben
men eines Vortrages weit überfchreiten würde — fon- j werde nicht vermenfehlicht, fondern über das Menfch-
dern begnügt fich damit, allgemein orientirende Gefichts- liehe erhoben, und diefe Gefchichte habe endlich lehrpunkte
über den Begriff des Mythus zu geben. ! haft dogmatifchen Gehalt, was bei dem Mythus nicht

Die Straufs'fche Auffaffung vom Mythus ftehe nicht ! der Fall fei.
auf der Höhe der wiffenfehaftlichen Forfchung. Im j So fei es im Grunde nur das Wunderbare in diefer
erften Leben Jefu habe er die neuteftamentlichen Mythen ■ Gefchichte, welches Straufs u. A. veranlaffe, diefelbe für
definirt als gefchichtartige Einkleidungen urchriftlicher j mythifch zu erklären. In der That aber halte diefelbe
Ideen, gedichtet von der abfichtslos dichtenden Sage, | einer rein hiftorifchen Kritik völlig Stand. Und in Be-