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Ausgabe:

1880 Nr. 4

Spalte:

97

Autor/Hrsg.:

Scherer, Rud. Ritter v.

Titel/Untertitel:

Ueber das Eherecht bei Benedict Levita und Pseudo-Isidor 1880

Rezensent:

Köhler, Karl

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97

Theologifche Literaturzeitung. 1880. No. 4.

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fagt fehr richtig: ,Von einem chriftlichen Staate kann I lieh entfremdeten Kinder ausübt. ,Was jetzt noch die
heute nur mehr in dem Sinne die Rede fein, als unfer Menfchheit zufammenhält', ift nach ihm ,nur der kathol.
heutiges Culturleben wefentlich auf der Baüs chriftlicher j Glaube. Gegen diefen dürfen felbft die Gegner nicht
Grundprincipien ruht' (S. 12). Darin liegt aber ein Zu- j einmal reden, wenn fie nicht das Ganze und fich felbft

geftändnifs von fehr bedeutender Tragweite, wenn doch
der Staat nicht blofs Rechtsanftalt, fondern Culturftaat
fein foll. Die volle individuelle Gewiffensfreiheit und

ftürzen und vernichten wollen' (S. 34). Insbefondere
wird nur durch die kath. Kirche noch das Autoritäts-
prineip, felbft zum Vortheil der Staaten, auch im Ge-

die Unabhängigkeit der bürgerlichen Rechte der Ein- biete des Proteftantismus aufrecht erhalten (S. 46). Da-
zelnen vom Glaubensbekenntnifs fchliefst nicht aus, dafs bei empfindet aber der Verf. fchmerzlich den Zwiefpalt
der Staat als Gefammtorganismus auf chriftlichen Grund- j zwifchen der religiöfen Lebensanficht und der modernen,
lagen ruhe, und er wird es, fofern das Volksbewufstfein auf den Naturwiffenfchaften fufsenden Cultur (S. 51. 82).
noch vom Chriftenthum erfüllt ift, vgl. Luth. S. 6. — j Der letzteren ihre Berechtigung ftreitig zu machen liegt

Eine kirchliche Lebensfrage wird bei der Erörterung der
Zuftändigkeit der Generalfynode berührt, freilich von
beiden Seiten nur flüchtig, die nämlich, ob das kirchliche
Gefetzgebungsrecht fich auch auf das Bekenntnifs
erftrecke. Zorn tritt, u. E. mit vollem Rechte, denen
bei, welche die Frage bejahen, wogegen bei Luthardt
das Bekenntnifs als die unwandelbar gegebene Grundlage
der Kirche erfcheint.

Friedberg. K. Koehler.

Scherer, Prof. Dr. Rud. Ritter v., Ueber das Eherecht
bei Benedict Levita und Pseudo-Isidor. Feftfchrift der
k. k. Karl Franzens-Univcrfität Graz aus Anlafs der

Jahresfeier am 15. Novbr. 1879. Graz 1879, Leufch- Moral, bereits pofittv gegeben, müffra

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ihm ganz fern; nimmt er es doch als orthodoxer Natur-
forfcher als ausgemacht hin, dafs durch die moderne
Wiffenfchaft der Zweckbegriff aus der Naturbetrachtung
ausgefchloffen fei (S. 53). Er ringt nach Verhöhnung,
Verftändigung zwifchen der Wiffenfchaft einerfeits und
der ,Religion und Moral', d. h. in feinem Sinn dem
Katholicismusandererfeits; dieheutige Menfchheitverlange
nach , begreifendem Erkennen' (S. 64). Diefe Verftändigung
und dadurch auch die mit dem Staate (S. 66)
hält er für möglich und allein für möglich auf dem Wege
der Wiffenfchaft, d. h. im modernen Sinne der induetiven.
Vorausfetzung ift ihm in echt fcholaftifcher Weife, dafs
fich von dem, was die Kirche lehrt, ,das richtige Ver-
ftändnifs müffe gewinnen laffen' (S. 35;: Religion und

ner & Lubensky. (50 S. gr. 4.) M. 2.

Der vorgefchriebene Umfang diefer Feftfchrift ver-
urfachte eine unliebfame Befchränkung des Stoffes und
dadurch eine gewiffe Ungleichmäfsigkeit der Behandlung
; von den 50 Seiten des Ganzen find 42 dem Leviten
zugefallen, während Pfeudo-Ifidor nur noch S. 43

Wege aufbauen laffen (S. 55), d. h. die Induction mufs
zu dem durch die Kirche von vorn herein feftgeftellten
Ziele hinleiten. Nur müffe dabei die ,Denkweife' vom
,Glauben' unterfchieden (S. 77), auch das Recht der Individualität
im religiöfen Leben geachtet werden; denn
— heifst es (S. 45) und hier fieht ein bedenkliches Stück
proteftantifcher Denkweife hervor — Jeder Menfch hat

—SO zur Sprache kommen konnte. Das Intereffe des feine eigenen Heiligungsbedürfnifse und feine eigene
the ologifchen Lefers fällt vorzugsweife auf die Paragra- j Geiftesweife, ift etwas Originales und Selbftftändiges

phen, welche das Recht der Ehefchliefsung behandeln, j Der Weg aber, der zu dem gewünfehten Ziele führen

mufs, ift nach dem Verf. die Pfychologie. Die Notwendigkeit
einer Neubegründung der Religion und Moral auf pfy-
chologifchen Grundlagen zu erweifen, ift ihm das grofse
Hauptanliegen, ohne dafs man jedoch über die Befchaffen-

Der Verf. bietet hier manche Rcfultate, welche von
denen andererForfcher, die in jüngfter Zeit die Gefchichte
der Ehefchliefsung behandelt haben, erheblich abwei
chen. So findet er bei Benedict Levita die Verlobung

fcharf von der nachfolgenden Ehefchliefsung gefchieden; heit der von ihm gewünfehten Pfychologie mehr erfährt
als juriftifcher Kern der Trauung, d. h. nach ihm der j als dies, dafs fie auf induetivem Wege verfahren, eine
Entlaffung der Braut aus dem feitherigen Familienver- : Naturwiffenfchaft fein müffe. Der Gebildete werde mit

bände, erkennt er den gleichviel ob ausgefprochenen
oder ftillfchweigenden Confens der Brautleute; er weift
eine zweifache priefterliche Segnung, eine folche des

neuer Luft an dem kirchlichen Leben Theil nehmen, wenn
ihm der pfychologifche Werth der Kirchengebräuche
wiffenfehaftlich klar geworden fei (S. 49). Der Verf. giebt

Verlöbnifses und eine der Ehe, nach, findet jedoch ' felbft zu verftehen, dafs es gelingen werde, die Berech
nichts von einer ehefchliefsenden Wirkung der letzteren, ügung der Index-Congregation induetiv auf pfycholo-
So weit dem juriftifchen Laien hier ein Urtheil zukommt, j gifchem Wege zu erweifen (S. 75). Er überfieht, dafs es
mufs Ref. fagen, dafs die Nachweifungen des Verf.'s fall ! heb nicht fowohl darum handelt, die Religion als pfycho-
durchweg einen überzeugenden Eindruck machen und fich '. logifche, felbft pfychologifch nothwendige Erfcheinung

durch Klarheit und Objectivität vortheilhaft auszeichnen.
Auch fonft findet man, abgefehen von dem eigentlich
rechtsgefchichtlichen Stoff, eine Anzahl guter Bemerkungen
über die damalige Stellung der Kirche zu Volks-
fitte und Recht u. A. Die Arbeit ift der Beachtung
Aller, die fich mit der Gefchichte des Eherechts be-
fchäftigen, angelegentlich zu empfehlen.

FYicdbcrg. K. Koehler.

Hoppe, Prof. Dr. J. I., Sociale Uebelstände zweier Con-
fessionen. Ein pfychologifch-religiöfes Zeitbild. Leipzig
1879, Schlicke. (VII, 97 S. gr. 8.) M. 2. 80.

Der Titel diefer Schrift ftimmt nicht recht zum Inhalt
; fie redet nicht eigentlich von den focialen Uebel-
ftänden zweier Confeffioncn, fondern nur einer, der katho-
lifchen, nur beiläufig erfcheinen daneben bisweilen die
,orthodoxen Proteftanten' auf der Bildfläche. Der Verf.
ift Katholik und giebt ein intereffantes Beifpiel der geifti-
gen Macht, welche die kath. Kirche auch über ihre innerbegreiflich
zu machen, als vielmehr die objective Wirklichkeit
der Gegenftände, auf die fie fich richtet, nach-
zuweifen. Sonft kommt man nicht weiter als zu einer,
immerhin für das ideale Leben der Menfchheit noth-
wendigen, aber doch vor dem Lichte der Wiffenfchaft
endlich zerrinnenden Täufchung, man denke an A. Lange,
nicht zu reden von dem famofen Verfuch, die Nothwen-
digkeit der Religion auf darwiniftifchem Wege zu erweifen
, weil fie nämlich eine höchft brauchbare Waffe im
Kampf ums Dafein fei. Für den Verf. und feine Geiftes-
genoffen wird jener objective Nachweis fchliefslich durch
die Autorität der Kirche erfetzt werden. Ob aber diefe
ihrerfeits geneigt fein würde, die angetragene Bundesge-
noffenfehaftanzu nehmen, bleibt dahingeftellt. Der Verf.
klagt fchmerzlich über die mifsliche Stellung, in welche
fich Diejenigen verfetzt fehen, die es unternehmen, neue
Wege zur Begründung alter Wahrheiten einzufchlagen,
wie fie von den eigenen Geiftesgenoffen mit Mifstrauen
und Abneigung behandelt, geradezu hinausgedrängt würden
(S. 43 f. 83 f.), er redet offenbar aus eigener Erfahrung.
Die Index-Congregation würde ihm fchliefslich kein ande-