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Ausgabe:

1880 Nr. 4

Spalte:

92-95

Autor/Hrsg.:

Schleiermacher, Frdr.

Titel/Untertitel:

Schleiermacher‘s Reden über die Religion. Kritische Ausgabe. Mit Zugrundelegung des Textes der 1. Aufl. besorgt von G. Ch. Bernh. Pünjer 1880

Rezensent:

Nitzsch, Friedrich August Berthold

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Theologifche Literaturzeitung. 1880. Nr. 4.

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müthsftimmung unferes Freundes gegönnt werden durfte. !
Der Mann, welcher als Pfarrer von der Anhänglichkeit
und dem Vertrauen einer aufdrehenden Kirchengemeinde
getragen worden war, konnte fich natürlich nicht gut
in die Wechfelfälle der akadcmifchen Freiheit feiner
Zuhörer finden, welche ein von der Pike auf gedienter
Docent zu den übrigen Leiden diefer Zeit fchlägt, mit welchen
man, wenn man feine Schuldigkeit thut, beehrt wird.
Der Mann aber, der um grofse Aufgaben hatte kämpfen
dürfen, follte in diefen kleinen Aergernifsen nicht lange fich
herabgedrückt fühlen! — Der Herr Verf. berührt S. 198
einen Fall von Widerftand, welchen Wolters in Bonn
durch einen ,bedeutenden aber in feinen Sympathieen
und Antipathieen wunderlichen Mann' und deffen Anhang
erfahren hat. Ich glaube nicht, dafs hiemit der Profeffor
der Rechte Clemens Theodor Perthes richtig charak- 1
terifirt wird. Ich erinnere mich nicht genau der Um-
Hände , unter denen die weiterhin erzählte Collifion
zwifchen den Beftrebungen beider Männer verlaufen ift;
aber ich habe Perthes genau genug gekannt, um zu bezeugen
, dafs er fich nicht durch blinde Affecte, fondern
durch genaue Beobachtung und überlegtes Urtheil über
Andere beftimmen liefs, für das er freilich feinen Affect
einzufetzen pflegte. Ich möchte vermuthen, der Widerftand
, welchen er in gewiffen Gemeindeangelegenheiten
gegen Wolters übte, ging daraus hervor, dafs er den
Gegenfatz der Gemüthsart, der zwifchen beiden beftand,
als das Hindernifs des Vertrauens zu dem gleich ihm
thatkräftigen und unternehmenden Wolters empfunden und
erkannt hat. Was die Schranke bei dem einen bildete,
war gerade das Gegentheil der Schranke, welche doch
auch dem andern anhaftete. Der Herr Verf. wird in
diefen Bemerkungen, wie ich hoffe, mein Beftreben erkennen
, beiden Verftorbenen gerecht zu werden, und
zugleich die Discretion zu üben, welche mir meine
dankbare Erinnerung an beide auferlegt.

Göttingen. A. Ritfchl.

Anna Elisabeth v. Droste-Hülshoff. Ein Denkmal ihres
Lebens und Dichtens und eine Auswahl ihrer Dichtungen
. Mit dem Bildnifs der Dichterin und mehreren
Landfchaftsbildern. Gütersloh 1879, Bertelsmann.
(VI, 470 S. 8.) M. 4. —

Der weftfälifchen Dichterin Annette von Drofte-Hüls-
hoff gebührt ein Platz nicht blofs in derLiteraturgefchichte,
fondern auch in der Kirchengefchichte. Denn fic gehört j
zu der Wolke von Zeugen, dafs aufrichtiges Herzens-
chriftenthum unter allen Confeflionen und zu allen Zeiten j
feine Bekenner gehabt hat. Line Hinweifung auf die |
oben genannte Darfteilung ihres Lebens und Dichtens
in einer theol. Zeitfchrift wird daher nicht befremden, 1
um fo weniger, da der ungenannte, wenn auch nicht mehr 1
unbekannte Verf. in feinem ,Denkmal', das er der Dichterin
fetzt, mit befonderem Nachdruck hervorhebt, wie j
die alle Confeffionsunterfchiede überbrückende Glaubensund
Liebesvereinigung mit Chrillo der eigentliche Puls-
fchlag ihres Lebens und Schaffens fei. Das Buch zerfällt
in zwei Theile. Im erften, ,dem Denkmal' erzählt
der Verf. in anziehender, durch Mittheilungen aus Briefen
belebter Darftellung, ohne durch übermäfsiges Detail zu
ermüden, den im Grunde einfachen Lebensgang der
Dichterin und giebt am Schluffe eine zufammenfaffende
Charakteriftik der Perfönlichkeit, fowie eine eingehende
Beurtheilung ihrer Dichtungen. Als Grundzüge ihres
Charakters bezeichnet er Wahrhaftigkeit, Einfalt, aufrichtige
Herzensgüte und Pietät und ein unermüdliches Ringen
nach chriftlicher Vollkommenheit. Sein Urtheil
über die Dichtungen trifft im Wefcntlichen mit dem von
W. Herbft zufammen, deffen Ausführungen vielfach
citirt werden, und hebt fowohl die befondere Begabung
der im edelflen Sinne des Worts ,romantifchen' Dichterin
, wie auch die Grenzen ihres Talents hervor, neben
dem unerfchöpflichen Reichthum an Phantafie, der Fülle
an Bildern und Gedanken, der Tiefe und Innigkeit der
Empfindung den hie und da hervortretenden Mangel an
Mafs und an Fähigkeit, die im Uebermafs eindringenden
Bilder klärend zu gehalten. Der zweite Theil des Buches
,die Dichtungen' enthält eine nach den Rubriken: ,Natur
, Gemüth, Leben, Lehre, Geift' geordnete Auswahl
aus der Dichterin Werken. Auch wenn man in diefer
Auswahl Einzelnes ungerne vermifst und Anderes lieber
entbehren würde, fo mufs doch zugegeben werden, dafs
alle wefentliche Töne berückfichtigt find. Jeder Familienbibliothek
, in der nicht der Dichterin Werke bereits
flehen, wird diefes .Denkmal' zur Zier gereichen.

Nuffe. H. Lindenberg.

1. Pünjer, Doc. Lic. Dr. G. Ch. Bernh., Geschichte der
christlichen Religionsphilosophie seit der Reformation.

(In 2 Bdn.) 1. Bd. Bis auf Kant. Braunfchweig 1880,
Schwetfchke & Sohn. (IX, 491 S. gr. 8.) M. 10. —

2. Schleiermachers, Frdr., Reden über die Religion.

Kritifche Ausgabe. Mit Zugrundelegung des Textes
der 1. Auflage beforgt von Doc. Lic. Dr. G. Ch.
Bernh. Pünjer. Braunfchweig 1879, Schwetfchke &
Sohn. (XVI, 306 S. gr. 8.) M. 4. 80.

Der Verfuch, eine Gefchichte der chriftlichen Religionsphilofophie
feit der Reformation zu fchreiben,
kann nicht umhin uns einigermafsen zu uberrafchen.
Denn vor Kant und Leffing ift nach der herrfchenden und
nicht unbegründeten Annahme über die Religion wenig
philofophirt worden. Deffenungeachtet werden uns in
dem vorliegenden Bande nicht nur alle eigentlichen Phi-
lofophen, die feit der Reformation bis auf Kant aufgetreten
find, mit ihren Syltemen vorgeführt, fondern
aufserdem die Popularphilofophen, die häretifchen Theologen
und fogar die Reformatoren, welche (icherüch
nicht als Religionsphilofophen gelten können. Daraus
folgt freilich nicht, dafs man nicht auch die Ausfagen
der letzteren von einem dreihundert Jahre fpäter gewonnenen
Standpunkte aus auf ihre religionsphilolophi-
fchen Confequenzen hin anfehen kann. Man kann ja
feftltellen, was fie unter Religion verftanden haben und
welche Aufgabe fie durch ihr oder ihrer Grundanlchau-
ungen blofses Dafein der Religionsphilofophie geftellt
haben. Ihre Zufammenflellung mit Religionsphilofophen
ex professo deutet jedoch fchon an fich auf einen etwas
vagen Begriff vom Wefen der fraglichen Disciplin.
Wenden wir uns aber zu den wirklichen Philofophen, fo
ftofsen wir fofort auf Cartefius, der gar nicht über die
Religion philofophirt hat, man müfste denn Verfuche,
das Dafein Gottes zu beweifen, als Bethätigung religions-
philofophifcher Beftrebungen betrachten. Erwägen wir
vollends, in wie weitem Umfang der Verf. auf dogmen-
gefchichtliche und wiederum auf rein metaphyfifche und
moralphilofophifche Materien eingegangen ift, fo werden
wir geneigt fein, daran zu zweifeln, dafs derfelbe einen
beftimmten Begriff von dem Gegenftande, deffen Gefchichte
er fchreiben wollte, vor Augen gehabt. In der
That hat er nun zwar in der Einleitung (S. 2, vor dem
zweiten Abfatz) das Wefen der Religionsphilofophie zum
Theil richtig befchrieben, aber, wie fchon aus denSchlufs-
worten ,und dergleichen mehr' hervorgeht, nicht fcharf
definirt, und er gelangt (im zweiten Abfatz) trotz jener
theilweife zutreffenden Befchreibung zu dem ganz unbe-
ftimmten Ergebnifs: denkende Betrachtung der Religion
ift ,alfo' die Aufgabe der Religionsphilofophie.
Allein felbft diefe vage Erklärung, welche wenigltens
verräth, dafs es fich eben um die Religion als folche
handelt, nicht um concrete Grunddogmen einer beftimmten
Religion, deckt nicht eine Zufammenftellung von