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Ausgabe:

1880 Nr. 4

Spalte:

90-91

Autor/Hrsg.:

Beyschlag, Willibald

Titel/Untertitel:

Erinnerungen an Albrecht Wolters 1880

Rezensent:

Ritschl, Albrecht

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Theologifche Literaturzeitung. 1880. Nr. 4.

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klar, wiefern bei ihm die Abendmahlslehre der Punkt
war, von welchem aus er auf die reformirte Seite
geführt wurde. Ohne fich genauere Rechenfchaft
zu geben, hatte er die Formeln Melanchthon's angenommen
, in denen er denjenigen bestimmten Gegenfatz zur
katholifchen Lehre gefunden, den er fuchte, und die fich
doch fern hielten von der zwinglifchen .Entleerung' des
Sacraments. Diefen Formeln gegenüber erfchienen ihm
die Specialitäten der Flacianer ohne Intereffe und religiös
werthlos. Auf der Disputation in Heidelberg 1560, die
er zuliefs, um feine Theologen, deren ,calvinifche' Abendmahlslehre
ihm der feinigen, lange gehegten, durchaus
verwandt fchien, fich meffen zu laffen mit den Jenaer
Theologen, überzeugte er fich nun, dafs die Flacianer auch
nicht im Stande feien, ihre Theorie biblifch zu rechtfertigen.
Dabei blieb er nach wie vor überzeugt, dennoch den luthe-
rifchen Standpunkt innezuhalten, infofern feine Anfchauung
durch die Auguftana in ihrer abgeänderten Geftalt — die
aufserhalb der theologifchen Kreife ja noch faft allgemein
als übereinftimmend mit der urfprünglichen galt — ebenfalls
vertreten war. Eine Abwendung von Luther trat
für ihn mit Bewufstfein erft ein auf dem Naumburger
Fürftentage 1561, wo er die Beobachtung machte, dafs
die erfte Form des Art. X befonders in der Apologie
noch ganz ,papiftifch' gewefen fei. Von da ab
datirt diejenige Selbftändigkeit gegen die Autorität der
Reformatoren als Perfonen bei ihm, die ihn auch den
Einwurf, dafs er nicht mehr .lutherifch' fei, ferner nicht
fcheuen liefs. Freilich hat er auch fortan nie zugegeben,
dafs er .Calvinift' fei. Er hat es fich redlich Mühe koften
laffen, aus der Bibel felbft die richtige Lehre zu erfor-
fchen. Calvin's Schriften hat er eigens nie gelefen, um
fefthalten zu können, dafs er feine Anfchauungen nicht
von dem Genfer Reformator bezogen habe, dafs die-
felben vielmehr lediglich biblifch feien. Entfcheidend
für fein immer wachfendes Zutrauen zum Calvinismus wird
nun nachweislich auch die Beobachtung, die ihm nicht
entgeht, dafs im Gebiete des letzteren viel urengere Sitte
und Zucht herrfchte, als im Gebiete des deutfehen
Lutherthums. Es kann nicht gefchehen, dafs ich weiter
die Entwicklung Friedrich's hier verfolge und die einzelnen
Mafsnahmen vorführe, die er als Regent zum
Zwecke der Sicherung der Reformation nach dem Vorbilde
des Calvinismus ergriff, wobei fich doch auch
Punkte bezeichnen laffen, wo lutherifche Anfchauungen
fich unbewufst behaupten (V erhältnifs der Kirche
zum Staat). Auch davon will ich nicht reden, wie er
in feiner Politik feinen Standpunkt zur Geltung brachte.
Er hatte einerfeits darauf zu dringen, um des Religionsfriedens
theilhaftig zu bleiben, dafs fein Standpunkt als
nicht unverträglich mit der Auguftana anerkannt werde.
Andererfeits wird es immer fein Ruhm bleiben, dafs er
falb allein unter den proteftantifchen Fürften feiner Zeit
einen klaren Blick behielt für die Gefahren der fich anbahnenden
Gegenreformation. Wie er immer der Anwalt
der Einigkeit der evangelifchen Stände war, fo
wird er der eifrige Verfechter der Solidarität der deutfeh-
proteftantifchen Intereffen mit den Intereffen der be- |
drängten franzöfifchen und niederländifchen Proteftanten.

Ohne Frage ift Friedrich kein Mann gewefen, dem
man das Prädicat .bedeutend' beilegen könnte. Seine
hervorragendsten Eigenschaften find Sittlicher Art: fein
frommer Sinn, feine Gewiffenhaftigkeit, feine Güte. Von
Haus aus ift fein Gefichtskreis kaum ein weiterer, als
derjenige der anderen Fürften. Er ift nicht minder ,dog-
matifch' wie fie. Für feine Theologumena tritt er mit
derfelbcn Hartnäckigkeit, fpäter auch Einfeitigkeit ein,
wie fie für die ihrigen. Nur dafs bei ihm die Schroffheit
gemildert wird durch die erwähnten Charaktereigenschaften
. Von melanchthonifchen Formeln über
das Abendmahl ausgehend, wie die meiften Fürften, aber
auch zunächft ebensowenig wie fie die abfichtliche Weit«
fchichtigkeit derfelben bemerkend, wäre er unter anderen

Verhältnissen wohl, wie die anderen, immer .Lutheraner'
geblieben. Dafs bei ihm die der gnefiolutherifchen
Theorie abgewendete Auffaffung durchbricht, ift, wenn
man will, Zufall. Man bemerke, in welch günftiger
Stellung er war. Ohne beftimmende Traditionen hat er
feine Regierung übernehmen können; wie er keine Feind-
fchaften oder Freundfchaftcn erbte, fo auch keine feften,
eingebürgerten Maximen. Das gab ihm die Unbefangenheit
, mit welcher er auf die neuen calvinifchen Eindrücke
eingehen konnte. Dafs er hernach in feiner Politik
einen foviel freieren, weiteren Blick beweift, als die
anderen evangelifchen Fürften, ift doch mit eine natürliche
Folge feiner Oppofitionsftellung. Es follen feine
hohen Verdienste nicht gefchmälert werden. Der Muth,
mit dem er für feineUeberzeugungen eintritt unter den ge-
fährlichften Verhältnissen , als es fehr nahe daran fchien,
dafs er um feines .Calvinismus' willen vom Religions-
frieden werde ausgefchloffen werden, wird ihm immer
die höchfte Sympathie Sichern. Freilich fpielt hier, wie
mich dünkt, auch ein wenig feine Naturelleigenthümlich-
keit, die doch auf eine gewiffe Vertrauensfeligkeit hinaus
kommt, mit hinein! Es ift ferner höchlich zu preifen
wie fern er bleibt von jenem Egoismus in der Politik,
der z. B. den fächfifchen Kurfürften nur zu offenkundig
leitet. Es ift wirklich religiöfes Intereffe, wenn er den
franzöfifchen und niederländifchen Proteftanten feine
Hülfe zu Theil werden lälst. K. hat befondere Aufmerksamkeit
darauf gerichtet, Friedrich's perfönliche Art hervortreten
zu laffen. Er Schildert mit Vorliebe feine Beziehungen
zu feiner ausgezeichneten erften Gemahlin,
feinen Kindern, feinen Schwiegerföhnen, den hart-
lutherifchen fächfifchen Herzogen. Eben hier tritt uns
Friedrich in der ganzen Güte und Treue feines Gcmüths
entgegen, eben hier auch in feiner fchlichten Männlichkeit
und aufrichtigen tiefen Frömmigkeit. Dankenswerth
ift die Zugabe eines Porträts, welches dem Eindruck,
den die Schilderung von Friedrich erweckt, wie mich
dünkt, fehr wohl entspricht. Es ift und bleibt ein anziehendes
Bild, welches dieler pfälzifche Kurfürft gewährt
. Möchte Kluckhohn's Werk diejenige Verbreitung
finden, die es reichlich verdient!

Gicfsen. F. Kattenbufch.

Beyschlag, Willibald, Erinnerungen an Albrecht Wolters.

Mit dem (phototyp.) Bildnifs des Verewigten und
einer Auswahl feiner Gedichte. Halle 1880, Strien.
(XVI, 351 S. 8.) JVI. 5. So; geb. M. 6. 75.

Ein Buch, wie diefe Erinnerungen an einen jüngft
Verstorbenen aus der Feder feines intimften Freundes,
legt der öffentlichen Befprechung eigenthümlichc Schranken
auf. Niemand kann auch bereitwilliger fein, diefel-
ben zu achten, als der Unterzeichnete, welcher Zeuge
der ausgezeichneten und verdienstvollen Amtsführung
von Wolters gewefen ift, feinen befcheidenen Antheil
an der Freundlchaft desfelben gehabt, und deshalb mit
wehmüthiger Dankbarkeit die Lebensfchilderung des fo
früh dahingefchiedenen Altersgenoffen verfolgt hat. Die
Dankbarkeit bezieht fich auf die Darstellung der viel-
feitigen und aufopfernden Thätigkeit, welche Wolters
in Wefel und in Bonn entfaltet hat, auf die Zeichnung
des Charakters, in welchem fich künftlerifche Gaben,
Sowie Fülle und Elafticität des Gemüthes mit Sicherheit
und Zähigkeit des organifirenden Handelns durchdrangen.
Und dabei darf nicht vergeffen werden, dafs der Mann,
der für feine Gemeindeleitung und Seelforge jede Stunde
auszukaufen hatte, noch die Zeit fand, forgfältige und
werthvolle kirchenhiftorifche Forfchungen zu unternehmen
. Die Wehmuth gilt vorwiegend der letzten Epoche
des Lebens, in welcher der Wechfel zwifchen dem Pfarramt
und der theologifchen Profeffur nicht von der Befriedigung
begleitet war, welche der melancholischen Ge-