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Ausgabe:

1880

Spalte:

73-75

Autor/Hrsg.:

Vilmar, Aug. Fr. Chr.

Titel/Untertitel:

Collegium biblicum. Praktische Erklärung der heiligen Schrift Alten und Neuen Testaments. Des Neuen Testaments 1. Teil 1880

Rezensent:

Holtzmann, Heinrich Julius

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Theologische Literaturzeitung

Herausgegeben von Prof. Dr. E. SchÜrer in Giefsen.
Erfcheint Preis
alle 14 Tage. Leipzig. J. C. Hinrichs'fche Büchhandlung. jährlich 16 Mark.

N°- 4. 14. Februar 1880. 5. Jahrgang.

Harnack, Die Zeit des Ignatius und die Chronologie
der antiochenifchen liifchöfe bis Tyran-
nus (Gutfchmid).

Littre, Comment dans deux situations histori-
ques les Semites entrerent en competition
avec les Aryens pour l'hegemonie du monde
et comment ils y faillirent (Baudiffin).

Ney, Gefchichte des Reichstages zu Speier im
Jahre 1529. Mit einem Anhange ungedruckter
Akten und Briefe (Plitt).

Vilmar, Collegium biblicum. Praktifche Er- | Kluckhohn, Friedrich der Fromme, Kurfürft , Zorn, Die Reform der evangelifchen Kirchenklärung
der heiligen Schrift etc. Des Neuen
Teftaments 1. Thl. (Holtzmann),

(R'Üchl). faflungs-G rundfätze (Derf.)

Anna Elifabeth v. Drofte-Hulshoff, ein Denkmal
ihres Lebens und Dichtens und eine Auswahl
ihrer Dichtungen (Lindenberg)
Pünjer, Gefchichte der chriftlichen Religions-
philofophie feit der Reformation. 1. Bd. Bis
auf Kant (Nitzfeh).
Schleier mache r's Reden über die Religion.
Kritifche Ausg. beforgt von Pünjer (Derf.)

Scherer, Ueber das Eherecht bei Benedict
Levita und Pfeudo-Ifidor (Koehler).

Hoppe, Sociale Uebelftände zweier Confeffionen
(Koehler).

Reden des Staatsminifters Dr. Falk, gehalten
in den Jahren 1872 — 79. Heft 1 u. 2
(Koehler).

Vilmar. weil. Prof. Dr. Aug. Fr. Chr., Collegium biblicum.

Praktifche Erklärung der heiligen Schrift Alten und
Neuen Teftaments. Aus dem handfehriftlichen Nach-
lafs der akademifchen Vorlefungen. Hrsg. von Pfr.
Chrn. Müller. Des Neuen Teftaments 1. Teil. Gütersloh
1879, Bertelsmann. (VIII, 458 S. gr. 8.) M. 7.—

Das Buch ift dem Freunde Israel in Hanau und ,mit
ihm vereint dem Andenken unterer feiigen Väter in
Chrifto Dr. Vilmar und Dr. Piderit in Treuen gewidmet',
auch mit einer lateinifchen Approbation verfehen von der
Hand des Carolus Bingmann, ecelesiae evang. hitlicranae in
Hassia Dannstadina sno jure utentis p. t. siipa intendens,
worin derfelbe die Vorlefungen, deren erftcr Band hiermit
an die Oeffentlichkeit tritt, als rationi fidei prorsus
convenüntts et eruditissimas utilissiniasqice pro pastorum
popitlicpie cliristiani instruetione warm empfiehlt und den
Lefern Friede wünfeht.

So fremdartig wie die Ankündigung ift der Inhalt.
Wiefen Papier und Typen nicht auf die Jetztzeit, fo
würde man über lange Seiten hinlefen und fich dabei
der Illufion hingeben können, man habe es mit einem
Erzeugnifs des fiebenzehnten Jahrhunderts zu thun,
wenngleich felbft der damaligen Lutherkirche nicht gerade
Alles wohlklingend zu Ohren gedrungen wäre, was wir
in die fem Buche lefen. Citirt werden aufser Luther
Mathefius und gleichgerichtete Theologen, überhaupt
,die Alten'. Nur darin find diefe ,wohl zu weit gegangen',
dafs fie meinten, wenn Chriftus es unterlaffen hätte, das
aufzuerweckende Töchterlein fpeciell zu bezeichnen,
wären fofort alle Todte aufgeftanden (S. 193). Doch
müffe etwas in dem perfönlichen Aufrufe liegen; denn
er wiederholt fich auch bei Lazarus. Sehr mifsfällt es
dem Verfaffer freilich, dafs man ftatt ,Lazare' jetzt vielfach
lefe .Lazarus, komm heraus' (S. 432). In Bezug
auf Gefpenfterglauben empfiehlt er Accomodation an die
Vorftellungsweife, wie fie ,feit der Mitte des 17. bis
zum Anfang des 18. Jahrhunderts' im Volke herrfchte
und auch jetzt noch fo verbreitet ift, dafs Pfarrer, die
fie bekämpften, ,fich um allen Credit in der Gemeinde
brachten'. ,Der Pfarrer hüte fich alfo ja, mit einer unbedingten
Leugnung der Gefpenfter hervorzutreten'
(S. 201).

Wie fachlich fo huldigt das Werk auch formell den

net, welche an die Zeit, da man mit dem Kirchenlatein
noch vertrauter war, erinnern; aber auch griechifche
und hebräifche Wörter, bald mit griechifchen und
hebräifchen, bald mit lateinifchen und deutfehen Lettern
gedruckt, gothifche und altdeutfche Brocken, abgeriffene
Bruchftücke aus Litanei, Kirchenlied und Katechismus
tragen dazu bei, das jedenfalls ganz fremdartige und
barbarifche Ausfehen diefer akademifchen Leiftung zu
erhöhen. Die Polemik, die geübt wird, dient nirgends
dazu, uns aus dem Traum an vergangene Zeiten zu wecken,
zu welchem die Leetüre uns fonft einlädt. Ein Beifpiel nur 1
Die Schweine von Gerafa follen nach einer gewöhnlichen
Erklärung' vom Wahnfinnigen ins Meer gejagt worden fein.
,Die honünes umbrattei, die dies fagen, mögen nur einmal
fo gut fein und als ftockvernünftige Menfchen unter
eine Schweineheerde laufen, die etwa in den Eckern
geht; fie werden es an ihren armen Gebeinen wohl
fühlen, wie fie vor ihnen laufen' (S. 186). Man hat,
wenn man fich in diefes Buch hinein lieft, das Gefühl,
über endlofes Steingeröll fich zu bewegen , das unter
den Füfsen knirfcht und kracht. Nirgends auch nur ein
Fufspfad, gefchweige denn eine Strafse. Dagegen zuweilen
mitten im Graus eine Tabelle! Regelmäfsig zur
Einrahmung einer Spielerei dienend, wie mit dem Apoftel-
katalog (S.141), den pfychologifchen Synonymen (S. 281),
den fieben Worten am Kreuz (S. 351), dem Herrngebet
, in deffen Schema eine Ueberficht der Kirchenge-
fchichte eingegliedert wird; die zweite Bitte fpeciell ent-
fpricht der Verkündigung des Evangeliums unter den
Germanen (S. 105); der ganze Körper der Bergpredigt
Matth. 5, 20 — 7, 12 wird als ein chriftlicher Dekalog
organifirt, deffen achtes Gebot heifst ,du follft fallen',
das neunte ,du follft für diefes Leben forgen', das zehnte
,du follft Göttliches und Menfchliches unterfcheidfen'
'S. 92 f.). An einer anderen Stelle zeigt fich der Verf.
geneigt, auch die Praxis der Flagellanten diefer von
ihm im N. T. wahrgenommenen Ethik einzugliedern.
,Mag folche Caftigation auch als Werkgerechtigkeit er-
fcheinen, fo darf fie dennoch nicht ohne Weiteres als
unnütz angefehen werden. Es liegt darin eine praktifche,
thätige, das eigene Ich in Anfpruch nehmende Nachfolge
Chrifti' (S. 344). Solches heifst laut S. VII die Schrift
lefen .nicht als Theologe, der Hengftenberg und Giefeler,
der Harlefs und Tholuck, Julius Müller und Nitzfeh mit
Nutzen gehört hat, fondern als armer Sünder'

Grundfätzen desfclben Archaismus. Denn es foll doch | In diefem Sinne — lefen wir dort weiter — ,mufs
wohl vertrauenerweckend altmodifch wirken, wenn uns i verfucht werden, ob es nicht möglich ift, eine Lefung
im Text ein buntes Gemifch von Fremdwörtern begeg- I der ganzen heiligen Schrift, ohne Ausfchlufs eines einzi-

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