Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1880 Nr. 26

Spalte:

639

Autor/Hrsg.:

Link, Th.

Titel/Untertitel:

Ueber natürliche Religion. Ein Vortrag 1880

Rezensent:

Kattenbusch, Ferdinand

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

639

Theologifche Literaturzeitung. 1880. Nr. 26.

640

mittelalterlicher Religiofität der Hinweis auf deren Quelle
im römifchen Begriff von der Gnade. — Gerade der ge-
waltigftenReformationsverfucheim Mittelalter, Gregor VII.
und des Franciscus, wird als folcher nicht gedacht.
Mit Recht ift dagegen die beliebte Methode verladen,
die Zeit unmittelbar vor der Reformation möglichft
fchwarz zu malen.

Aus dem Gefagten erhellt, dafs Referent ein gröfseres
Hervortreten der bewegenden Ideen gewünfcht hätte.
Da er faft nur feinen differirenden Anflehten Raum gegeben
, will er es nochmals ausfprechen, dafs er im fiebrigen
dies Werk als eine tüchtige und glückliche Leiftung
begrüfst und von deffen Erfolg überzeugt ift.

Dorpat. Bonwetfch.

Link, Pfr. Th., Ueber natürliche Religion. Ein Vortrag.
M. Gladbach 1879, Schellmann's Verl. (37 S. gr. 8.)
M. —. 75.

Ein zum Theil etwas umftändlicher, aber lesbarer,
auf einen weiteren Kreis berechneter, doch auch dem
Theologen nicht unintereffanter Vortrag. Ohne die
Prätenfion Neues zu bieten verfolgt der Verf. in ge-
fchickter Stoffauswahl die gefchichtliche Entwickclung
des Intereffes an der .natürlichen Religion'. Die Erzählung
ift lebendig und berührt die Hauptdifferenzen zwi-
fchen der englifchen, franzöfifchen, deutfehen Aufklärung
mit Bemerkungen, an denen nicht zu mäkeln ift, wenn
man die einem Vortrage geftattetc Gründlichkeit be-
rückfichtigt. Man wird in der Kürze wohl orientirt. Mit
der Kritik, die wefentlich herausftellt, wie die ganze
,natürliche Religion' nur eine Fiction fei und wie die angeblichen
Ideen derfelben lediglich verblafste chriftliche
Ideen feien, Ideen auch, die nur in dem beftimmten re-
ligiöfen, an der Perfon Jefu orientirten Zufammenhang
des chriftlichen Gemeindeglaubens fich behauptenkönnten,
werden die Meiften einverftanden fein. Der Verf. ift frei
von Unbilligkeit in der Würdigung der Aufklärung und
wird doch mit Recht faft bewegt in der Aufdeckung
der Schäden, welche diefelbe befonders für Deutfchland
und die lutherifche Kirche zur Folge gehabt. Er weifs
übrigens richtig zu reden von der Schuld des orthodoxen
lutherilchen Syftems an dem Umfichgreifen der
Aufklärung. Für die Gegenwart wird an der verbreiteten
Unkirchlichkeit wohl die Aufklärung nicht mehr fo viel
Schuld haben, als die nachfolgende, noch keineswegs
zu dem Ende ihrer Wirkungen gediehene Romantik in
der Theologie.

Giefscn. F. Kattenbufch.

Warneck, Dr. Guft., Warum hat unsere Predigt nicht mehr

Erfolg? Praktifch-theologifche Aphorismen. Gütersloh
1880, Bertelsmann. (59 S. 8.) M. —. 80.

So alt die Predigt ift, fo alt ift auch die Frage, die
das Thema diefes Schriftchens, eines erweiterten Con-
ferenzvortrags, bildet. Ob gerade in unferer Zeit vor
anderen Zeiten befonderer Grund ift, diefe Frage aufzuwerten
, möchten wir bezweifeln. Dafs fie fo viel ven-
tilirt wird und feit Jahrzehnten auf den Tagesordnungen
der Paftoralconferenzen fteht, hat zum Theil feinen Grund
in der Ungeduld, die in Dampfwagengefchwindigkeit die
Welt bekehren möchte, und in einem Mangel an idealer
Auffaffung, demzufolge man vielmehr auf augenblickliche
Effecte und handgreifliche Erfolge der Predigt, als auf
ihre ftille verborgene Wirkung achtet.

Gleichwohl ift's gut, wenn die Frage immer wieder
erhoben und wenn fie von dem Standpunkt aus ange-
fafst wird, von dem aus der Verf. es thut, der mit Recht
die praktifchfte Behandlung des Thema darin findet, dafs
die Prediger die Schuld an dem Nichterfolg der Predigt
zunächft bei fich felber fuchen. In feiner frifchen und

refoluten Art giebt er auf Grund reicher Beobachtung
und Erfahrung eine ganze Reihe gewiffenfehärfender
und beherzigenswerther Winke und Mahnungen, die zum
Theil, wie es in der Natur der Sache liegt, manches bereits
I öfter Gefagte wiederholen, aber in neuer Geftalt und
Begründung. Mit Recht wendet er fich namentlich gegen
drei Hauptgebrechen unferer Durchfchnittspredigt. Das
eine ift die Phrafe, die ihren tieferen Grund hat in innerer
Unwahrheit (im Unterfchiede von Heuchelei); wir
finden fie, um dies ergänzend hinzuzufügen, insbefon-
dere in der ungefunden Neigung, das geiftliche Leben
zu überfpannen, für welche unfere nüchterne Zeit eine
fehr lebhafte Empfindung hat, und in der Sucht nach
nervenerregenden Geifteswürzen. Sehr treffend geifselt
der Verf. bei diefem Punkte auch ebenfo das Canonifiren
an den Gräbern, als das polternde Schelten und übertreibende
Schwarzfärben in den allgemeinen Jeremiaden
j über die Zeit. Das andere Gebrechen, das er rügt, ift
| die Abftraction. Unfere Predigt fchmeckt ftark nach
| Katheder und Akademie; daher auch ihre cinfeitige
i Richtung gegen die falfche Gnofis! Wie viel ohnmächtiger
Kanzeldonner in Philippica's gegen die falfche Bil-
1 dung auch in fchlichten Landgemeinden, die keineswegs
; an einem Uebermafs von Bildung leiden! Unfere Pre
digt mufs viel concreter und viel individueller werdenanknüpfend
an die befonderen Bedürfnifse der Zuhörer.
I und, was der Verf. mit Recht betont, ihre Sprache be-
i darf einer viel gröfseren Einfachheit und Klarheit. ,Der
I Abhandlungsffil macht eine Predigt langweilig und un-
j fruchtbar nicht blofs für Handwerker und Landleute,
fondern auch für Geheimräthe u. Profefforen. Die Sprache
des Heiligthums ift eine Univerfalfprache.' Den
dritten Hauptgrund für die Unfruchtbarkeit unferer Predigt
findet der Verf. im Dogmatifiren. Die gefunde
Lehrhaftigkeit ift ein Vorzug der guten lutherifchen Predigt
, aber mit Recht ftraft der Verf. die theologifirendc
und doctrinäre Art, welche die Lehre vom Leben, die
Dogmatik von der Ethik trennt. Statt durch Ueber-
führung cinzelnerbeftimmt er Sünden das Sündenbcwufst-
fein zu wecken, behandelt fie den Artikel de peccato in
trockener Allgemeinheit und ftatt Chriftum vor die Augen
zu malen treibt fie Chriftologie.

Mit Recht dringt der Verf. darauf, fich eine tiefe und
gründliche Kenntnifs des menfehlichen Herzens zu ver-
fchaffen durch pfychologifchesSchriftftudium,Durchforfch-
ung des eigenen Herzens und Umgang mit den Menfchen,
für welche man predigt. Wir möchten zu diefem Be-
hufe auch das eingehende Studium der grofsen Dramatiker
, inbefondere Shakefpeare's, und echter Volksfchrift-
fteller empfehlen; unter diefen nennen wir befonders
Jerem. Gotthclf, von dem der Prediger unendlich viel
lernen kann und der fpeciell fehr geeignet ift, junge, zu
Zelotismus geneigte Heifsfporne abzukühlen. Die Hauptfache
ift freilich die tüchtige fittliche und intellectuelle
Selbfterziehung des Predigers; auf den gereiften chriftlichen
Charakter, auf den Mann, der hinter der Predigt
ficht, kommt's an.

Vergehen darf freilich fchliefslich nicht werden, dafs
der Erfolg ein fehr einfeitiger Mafsfiab der Predigt ift;
denn von welchen Zufälligkeiten und Aeufserlichkeiten
hängt derfelbe oft ab! Was müfste man nach diefem
Mafsfiab über manche grofse Propheten urtheilen! Aber
felbftverftändlich dispenfirt dies nicht von der Pflicht
gröfseftcr Treue in der Predigt, diefem Einen grofsen
llauptftückunferes Amtes. Sie nachdrücklich eingefchärft
zu haben ift das Verdienft diefer Arbeit.

Dresden. Meier.