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Ausgabe:

1880

Spalte:

638-639

Autor/Hrsg.:

Baum, Friedr.

Titel/Untertitel:

Kirchengeschichte für Haus und Schule 1880

Rezensent:

Bonwetsch, Gottlieb Nathanael

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Theologifchc Literaturzeitung. 1880. Nr. 26.

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hiftorifchen Tact. Halbwahre Trivialitäten zu fagen hat
der Verf. vermieden. Da feine Gefammtcharakteriftiken
fchlicht und zutreffend find, fo ftechen die Schlufsfätze
in den Vorträgen über Luther und Calvin nicht zu
ihrem Vortheil von dem übrigen ab. .Luther ift der
Vater des deutfehen Idealismus', ,Calvin ift einer der
gröfsten Vertreter des Gedankens der fittlichen Weltordnung
'. Das hätte wohl füglich wegbleiben können.

Noch feien einige Bemerkungen zu den Vorträgen
über Luther und Calvin geftattet. Ref. würde fie nicht
machen, wenn er die Darfteilung des Verf.'s nicht als
wefentlich richtig anerkennte. Mit Recht hat der Verf.
nicht in die Betrachtung der Wittenberger Reformation
einlenken wollen, welche, irren wir nicht, durch Kamp-
fchulte begründet, bei den nicht theologifchen Hifto-
rikern fich einzubürgern droht. Sie droht — denn wie
fie fich im einzelnen gehalten wird, das vermag noch
Niemand aus den geheimnifsvollen Mienen ihrer Vertreter
, die fich zur Zeit noch damit begnügen, fie anzukündigen
, zu enträthfeln. Von den katholifchen Hifto-
rikern, felbft von Höfler, hätte der Verf. aber etwas
mehr lernen können. Die Begegnung Luther's mit Cajetan
in Augsburg und das Leipziger Gefpräch hätten nicht
mehr fo dargeftellt werden dürfen, wie der Verf. das
S. 138 f. gethan hat. Es geht auch nicht mehr, Eck
lediglich einen .erprobten Klopffechter' zu nennen, und
es ift andererfeits unerläfslich, von dem peinlichen
Schwanken von damals zu fprechen — es gereicht ja
Luther nicht einmal zur Unehre — durch welches er auch
den Wohlgefinnteftcn Anftofs geben mufste. Dafs
Melanthon ,mit ficherem Griff in feinen loci die
Grundlinien einer neuen theologifchen Methode feft-
geftcllt habe (S. 142), läfst fich angefichts der erften und
der folgenden Auflagen der loci fchwerlich behaupten
(f. übrigens die Selbftcorrectur des Verf.'s S. 171), und
das Begleitfchreiben zur Schrift de libertate Christiana
erfcheint mindeftens nur zur Hälfte richtig charakterifirt,
wenn man in ihm nur .diefelbe Hoheit des Gedankens'
wie in dem Tractat felbft conftatirt (S. 147). Sehr richtig
macht der Verf. zum Verbrennen der Bannbulle durch
L. die Bemerkung, dafs fein Handeln das Mafs, dafs
dem Einzelnen geftellt ift, überfchritten habe und doch
berechtigt fei; aber leider ift es zuviel behauptet, wenn
er hinzufügt: ,das Feuerzeichen von Wittenberg hat dem
Papftthum in Deutfchland zu Grabe geleuchtet' (S. 149).
Es ift fehr zu billigen, dafs der Verf. fich gefcheut hat,
mit den Neueren, Katholiken und Protcftanten, über die
Bedeutung eines Bundes Luther's mit den revolutionären
Reichsrittern zu orakeln; indeffen hätte er bei dem Bericht
über Luther's Wormfer Reife und Aufenthalt doch

ftatt .verbrannt' zu lefen ift. Richtig ift S. 264 hervorgehoben
, dafs Calvin der zweiten Generation reforma-
torifcher Männer angehört, ,die bereits im Kampf der
Gegenfätze herangewachfen, an Frieden und Verhöhnung
nicht mehr denken, fondern nur noch an den Sieg der
Wahrheit, fo wie fie fie faffen'. .Gregor VII und Inno-
cenz III find die einzigen gefchichtlichcn Geftalten, mit
deren er fich vergleichen läfst' (etwa noch Cromwell).
Der Verf. nennt Calvin's Schöpfung einen Verfuch, mit
den Mitteln römifcher Strenge ein chriftlich.es Reich
Gottes auf Erden zu gründen. Dies mit Recht; denn
die grofsen Errungenfchaften der englifchen Indepen-
denten und Puritaner dürfen nicht auf Calvin zurück-
datirt werden: diefer Ruhm gebührt nicht ihm.

Giefsen. Ad. Harnack.

Baum, Friedr., Kirchengeschichte für Haus und Schule. Mit

zahlreichen authentifchen Abbildungen, Beilagen und
zwei Karten. (In 3 Lfgn.) 1. Lfg. Nördlingen 1880,
Beck. (128 S. gr. 8.) M. 1. 80.

Vorliegendes Werk fucht durch bildliche Wiedergabc
erhaltener Denkmäler die gefchichtliche Darfteilung
zu unterftützen. Bereits vorausgegangen ift ihm darin
das fehr billige Büchlein von Hottinger, Jefus Chriftus
und feine Kirche' (Strafsb. i. E. 1877, 1 M.). Doch ift
bei diefem der Text nur Zugabe zu den Bildern. Dagegen
liegt in dem Werke Baum's eine recht gelungene
populäre Kirchengefchichte vor. Gründliches Studium
und gefchickte Verwcrthung der Quellen ift zu conftatiren,
auch die mitunter wörtliche Anlehnung an Secundär-
quellen nicht zu tadeln. — Unter Vorausfetzung diefer
vollen Anerkennung find die folgenden Bemerkungen
gemeint. Nur im Vorbeigehen fei gefagt, dafs die Diakonen
nicht Almofenpfleger (S. 36) waren, dafs die Bafi-
likenform der Kirchen nicht auf die röm. Bafiliken
(S. 59), fondern das Pcriftylium des antiken Wohnhaufes
zurückzuführen ift, dafs wir nicht wifien, ob der Montanismus
in finnlichen Vorftellungen vom Millennium
fchwelgte fS. 50), dafs der Vorwurf der Verrätherei gegen
den Kaifer Manuel (S. 84) zufolge den gricch. Quellen
ungerechtfertigt ift. Befremden aber mufs die eingehende
Auseinanderfetzung über den cod. Sin. S. 21, während
die wichtige Frage nach der Entftehung des Kanons
hier wie S. 41 mit ein paar wenig befagenden Worten
abgethan wird. Mehr ein Ungefchick des Ausdrucks
läfst S. 38 die chriftlichen Apologieen erft durch heidn.
Schmähfchriften hervorgerufen erfcheinen, zu vermiffen
ift jedoch ein Hinweis auf den Einflufs, welchen ihre
erfte Bearbeitung gerade in apologetifcher Form auf die
etwas ausführlicher fein dürfen. Endlich ift es fchief, | ganze Geftaltung der chriftl. Theologie gewann. Elm
mit dem Verf. zu fagen .einzelne Anläffe, wie z. B. die j Verftändnifs der gnoftifchen Härefie nach Herkunft und
Abendmahlslehre, führten L. dazu, die grofsartigen Bedeutung wird nicht vermittelt. Zu beftreiten ift, dafs
Speculationen, zu denen er beanlagt war, auch gewiffen ; den Gnoftikern gegenüber das apoftol. Symbol fich gekirchlichen
Lehren zu Gute kommen zu laffen' (S. 170); | bildet habe; der Werth diefer feften Formel für die
denn bei Luther's Abendmahlslehre handelt es fich nicht Kirche wird nicht erörtert. Sehr treffend ift das Citat
um ihm eigenthümliche Speculationen , fondern um no- S. 39 aus Juftin, aber nur ein fchon orientirter Lefer wird
minaliftifche Theologumena, von denen er fich nicht hat ohne Anleitung daraus eine Einficht in fein Chriftenthum
befreien können. — Vortrefflich find die Schlufsbemerk- 1 gewinnen können. Wie die oriental. Kirche fortan fich
ungen über Zwingli S. 220—223. Uer Verf. hat auch wefentlich in den Bahnen Juftin's bewegt, wäre hervor*
fchon die lehrreichen Abhandlungen von Lenz ver- zuheben gewefen, ebenfo wie die ungleich tieferen An-
werthen können, allerdings die neueften über Zwingli's fchauungen des Irenäus in der abendländ. Kirche zum

Verhältnifs zu Bern noch nicht, die den Politiker in
einem neuen Lichte zeigen. — In Bezug auf Calvin wiederholt
der Verf. den Satz, dafs ihm die Prädeftination
Mittelpunkt feines ganzen Syftems und Fundament feines

Theil fortwirkten. Was heifst es, dafs der Streit über
die Perfon Chrifti fich aus dem gegen die Gnoftiker erhoben
habe? Die Bedeutung der trinitar. und chriftolog.
Kämpfe und das allgemeine Intereffe daran wird nicht

ganzen Denkens geworden fei (S. 241). Beides ift be- i dargethan, ebenfo nicht wie jene hernach vom Bilder-
kanntlich jüngft beftritten worden und mindeftens erfteres ftreit abgelöft werden. So findet fich auch S. 45 keine
mit Recht; denn in der Institutio tritt die Prädcftinations- ! Andeutung darüber, wie es zum pelag. Streit kam. —
lehre durchaus nicht als Mittelpunkt hervor. S. 249 f. Die Wurzeln der asketifchen Beftrebungen in der alten
hat der Verf. es überfehen, einige wörtlich aus Kamp- Kirche und der Unterfcheidung einer doppelten Sittlich-
fchulte herübergenommene Sätze als folche zu be- ! keit in der Auffaffung des Chriftenthums find nicht nachzeichnen
. S. 252 Z. 7 v. u. vermuthe ich, dafs .verbannt' | gewiefen. Ebenfo fehlt bei Darlegung der Gebrechen