Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1880

Spalte:

42-45

Autor/Hrsg.:

Krause, Albrecht

Titel/Untertitel:

Die Gesetze des menschlichen Herzens wissenschaftlich dargestellt als die formale Logik des reinen Gefühles 1880

Rezensent:

Pünjer, Bernhard

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

42

Iphigenie, ein pädagogifches Muflerbild für die weibliche
Jugend.

In Nr. 2: I) Ucber die Pflege des Patriotismus in
der deutfehen Schule. 2) Der Idealismus Schiller's in
feiner Bedeutung für die Jugend. 3) Die pädagogifche
Bedeutung der Kunft. 4) Ucber Lob und Lohn als Erziehungsmittel
. 5) Ueber individualifirende Ivrziehungs-
weife befonders der weiblichen Jugend.

Wir fehen, dafs der Verf. befonders das äfthetifche
.Moment bei der Erziehung hervorhebt, indem diefem
Gegenftande die meiften Abhandlungen gewidmet find.
Auch ift nicht zu leugnen, dafs in diefer Beziehung
mehr gefchehen könnte und follte, als gefchieht. Auch
von der Volksfchule gilt dies. Wir erinnern uns daran,
wie wenig äftht.tifch gewöhnlich unfere Schulftuben möb-
lirt und ausgefchmückt find, wie Tifche und Bänke fich
in fchlechtem Zufland befinden, wie ,der Anftrich der
Wände fchadhaft und befleckt ift u. f. w. Dazu kommt
nicht feiten die wenig äfthetifche Haltung, Kleidung und
Sprache des Lehrers. Die vom Verf. hierüber gemachten
Bemerkungen verdienen alle Beachtung. Ebenfo was
derfelbe über die ,Poefie in der Schult' fagt. Es ift in
diefem Auffatz nicht von der Behandlung poetifcher
Lefcftücke die Rede, fondern wie jedem Untcrrichts-
gegenftand eine poctifche Seite abgewonnen werden kann
und auf welche Weife dies gefchehen follte. Den päda-
gogifchen, das heifst hier veredelnden Einflufs der Kunft
ftellt der Verf. in II. 3 fehr hoch, wir glauben hier hinzufügen
zu müffen, in etwas zu idealifirender Weife.
Namentlich fcheint uns der Verf. den pädag. Einflufs der
Plaftik, auch der antiken mit ihren Nuditäten, einlcitig
aufgefafst zu haben, ohne den verderblichen Einflufs
auf die 'Phantafie mit den weiteren Folgen recht gewürdigt
zu haben. Doch müffen wir auch diefem Auffatz
das Zeugnifs geben, dafs er von Eltern und Lehrern
beherzigt zu werden verdient. Ucber dem begeifterten
PYcund der Kunft ift der Pädagog nicht ganz in den
Hintergrund getreten. Als folchen hat fich der Verf.
in andern Auffätzen noch mehr bewährt. Zu wünfehen
wäre es, dafs unfere deutfehe Jugend in der Weife, wie
hier vorgefchlagen wird, zum Patriotismus erzogen würde,
dafs die Liebe zu den Schülern alle Lehrerherzen und
Lehrerthätigkcit regierte, wie in dem Auffatz II. 4 gefordert
wird. Ganz befonders möchten wir noch der
Beachtung empfehlen, was der Verf. in II. 5 über die
individualifirende Erziehungsweife, befonders der weiblichen
Jugend, fagt. Einiges Bedenken erregte anfangs
die Ueberfchrift von I. 4: ,Die Bedeutung des Studiums
der Alten für die weibliche Jugend'. Schon jetzt leiden
unfere Töchterfchulen an Ueberbürdung; darum mufs
man fich hüten, eine neue Disciplin zu empfehlen. Doch
will der Verf. keineswegs das Studium der klaffifchen
Sprachen den Mädchen aufladen, fondern er empfiehlt
nur die Leetüre folcher Dichtungen, befonders der Griechen
, in welchen edele weibliche Charaktere dargeftellt
werden, in guten Ueberfetzungen und fucht nachzuweifen,
dafs hieran kein Mangel ift, und, dafs in diefer Beziehung
die griech. Literatur felbft vor der modernen den Vorzug
verdient. Aus diefer hebt er Goethe's Iphigenie als
ein padag. Muflerbild für die weibliche Jugend hervor.

Noch fei bemerkt, dafs der Verf. nicht zu den pädag.
Theoretikern gehört, welche nur in der Studirflube
ihre Anflehten gewonnen haben. Er hat neben feinem
geiftlichen Amt eine Reihe von Jahren an öffentlichen
und Privatfchulen unterrichtet und felbft eine Zeitlang
in Coblenz eine höhere ftädtifche Schule, mit welcher
ein Seminar für Lehrerinnen höherer Töchterfchulen verbunden
war, geleitet.

Langgöns bei Giefsen. K. Strack.

Vilmar, Dr. Otto, Zum Verständnisse Goethes. Vorträge,
vor einem Kreifs chriftlicher FYeunde gehalten. 4.
Aufl. Marburg 1879, Elwert's Verl. (VIII, 303 S.
gr. 8.) M. 2. 40.

Wenn ein Buch, das in Folge des frühen Hinfchei-
dens des Verfaffers leider nur ein Bruchflück geblieben
ift, trotzdem die vierte Auflage erlebt, fo ift diefe That-
fache allein Beweis genug, dafs mehr als Gewöhnliches
in demfelben geboten wird. Sowohl der Vortrag über
Goethe's Lyrik, in welchem ,kindliche Unmittelbarkeit,
äufsere Anfpruchslofigkeit, Sangbarkeit und tiefes N'aturge-
fühl' als Hauptvorzüge derGoethc'fchen Lieder hingeftellt
und an Beifpielen nachgewiefen werden, wie auch die
zufammenhängenden Betrachtungen über Goethe's Fault
zeugen von feinem Verftändnifs und gründlichem Einleben
in die Gedankenwelt des Dichters und geben vielfach
neue überrafchende Gefichtspunkte. Der Nachweis,
dafs das Grundthema des Fault, ,der Kampf zwifchen
Himmel und Hölle auf dem engen Raum eines Men-
fehenherzens' nicht blofs da hervortritt, wo ausdrücklich
auf die unfichtbaren Mächte hingewiefen wird, wie in
der Ofterfcene, der Hexenküche, der Blocksbergfcene,
fondern dafs diefer Kampf die Grundlage jeder einzelnen
Scene und das feite Band bilde, das alle die fcheinbar fo
lofe an einander gereihten Bilder mit einander verknüpft,
ift, fovveit das Buch reicht, mit grofsem Gefchick geführt.
Leider bricht die Darftellung mit der Gartenfcene ab,
und der Lefer, der mit Spannung erwartet, wie der Verf.
feine intereffante pfychologifche Analyfe vor dem Schlufs
des zweiten Theils rechtfertigen werde, bleibt über diefe
Frage im Unklaren. In Erinnerung daran, dafs es das
Vermächtnifs eines Verdorbenen ift, das hier uns geboten
wird, verzichtet Ref. darauf, auf Einzelheiten, die
zum Widcrfpruch auffordern, näher einzugehen. Wer
aber mit dem Verfaffer darin einverftanden ift, ,dafs wir
Chriften von dem „Weltkind" Goethe noch Vieles lernen
können und weit entfernt find, ihn ausgelernt zu haben',
der wird das Buch nicht ohne reiche Anregung und För-
derung aus der Hand legen.

Nuffc. H. Lindenberg.

Krause, Albrecht, Die Gesetze des menschlichen Herzens

wiffenfehaftlich dargeftellt als die formale Logik des
reinen Gefühles. Lahr 1876, Schauenburg. (XVI, 407
S. Lex.-8.) M. 15. —

Durch verfchiedene Umftände verzögert, kommt
diefe Anzeige fo verfpätet, dafs fie ihr Erfcheinen nur
dadurch rechtfertigen kann, dafs wir es hier in der That
mit einem Werk von hervorragender Bedeutung zu thun
haben, deffen Ueberfehenvvcrden zu verhindern Jedermanns
Pflicht ift, um fo mehr, als der wenig Vertrauen
erweckende Titel und die häufig fchwer verftändliche
Darftellung diefe Gefahr nur zu nahe legen.

Dafs die Pfychologie die nothwendige Grundlage
aller philolophifchen F"orfchung bildet, wird faft allgemein
anerkannt. Aber wie fleht es um die Pfychologie?
Auch wenn wir abfehen von denen, die noch immer
grofse Erwartungen knüpfen an die böchft fchätzens-
werthen Untcrfuchungcn der phyfiologifchen Pfychologie,
fo herrfcht kaum in einer andern wiffenfchaftlichen Frage
folche Verwirrung, wie in der FYage nach Aufgabe und
Methode der Pfychologie. Und faffen wir die Anwendung
der Pfychologie auf die einzelnen Wiffenfchaften
ins Auge! In der Erkenntnifstheorie wird fleifsig und im
Anfchlufs an Kant nicht ohne Erfolg gearbeitet. Sehen
wir aber z. B. die Religionsphilofophic an! Noch immer
dasfelbe Schema: Gefühl der Abhängigkeit von Gott,
Gefühl der Freiheit von der Welt, nur bald in diefer,
bald in jener etwas veränderten Iftirbung und Zufammen-
ftellung. Damals, zur Zeit Schleiermacher's und Hegel's