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Ausgabe:

1880 Nr. 24

Spalte:

590-594

Autor/Hrsg.:

Hettinger, Frz.

Titel/Untertitel:

Lehrbuch der Fundamental-Theologie oder Apologetik. 2 Thle 1880

Rezensent:

Wetzel, Paul

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589 Theologifche Literaturzeitung. 1880. Nr. 24. 590

Biel einer Art liberaler Richtung gehuldigt habe. Das
allgemeine Intereffe, welches Plitt im Auge hat, ift, eine
charakteriflifche Probe zu gewinnen von der Art der
Predigtim ^.Jahrhundert. Seit Geffcken's grundlegender
Arbeit ift es ja jedenfalls nicht mehr möglich, die
in proteftantifchen Krcifen beliebte Vorftellung von jener
Zeit als einer Zeit abfoluter Verwilderung des kirchlichen
Lebens aufrecht zu erhalten. Plitt meint nun aber Grund
zu haben, Geffcken's Darfteilung des Hinüberfchwankens
in das entgegengefetzte, ebenfalls unhaltbare Extrem
zeihen zu muffen. Die katholifche Gelchichtsfchreibung
hat fchon feit längerer Zeit begonnen, von Geffcken's
Nachweifen in ,erftaunlicher' Weife, wie Plitt fich ausdrückt
, Gebrauch zu machen und ift dermalen in eine
Art Begeifterung für jene Epoche gerathen, natürlich um
die Leichtfertigkeit und Grundlofigkeit des Unternehmens
Luther's, der ,logen. Reformation', um fo draftifcher zu
fchildern. Plitt gehörte zu denjenigen Proteftanten, die
von diefer Manier moderner katholifcher Hiftoriker, z. B.
Janffen's, nicht fowohl zum Lachen, als zum Zorne gereizt
wurden. Ich begreife die letztere Empfindung auch,
halte es aber doch nicht für das Richtige, in der ge-
fchichtlichen Darftellung nun ftetig den Finger darauf
zu legen, wie unchriftlich die katholifche Anfchauung fei,
aus deren Sinn heraus, wie ja auch Plitt willig zugiebt,
in jener Endzeit des Mittelalters viel mehr zur religiös-
(ittlichen Bildung des Volkes .gefchehen ift, als man
durchweg fich vorftellt. Plitt's eingeftreute polemifche
Bemerkungen haben mich gelegentlich, wie ich nicht j
leugne, faft ein wenig peinlich berührt (z. B. S. 22). Die j
Reproduction der theologifchen Vorausfetzungen in Biel's
Predigten ift nicht eben kunftmäfsig, fondern im Gegen- |
theil wohl zumTheil zu ungezwungen: es gehört doch nicht j
zur Verdeutlichung fcholaftifcher Ausführungen, dafs man
vulgär werde. Die Charakteriftik der Predigten des
,tüchtigen' Biel, dem Plitt offenbar eine gewiffe Sympathie
nicht vorenthält, ift wohl im Wefentlichen erfchö-
pfend. Ein hervorragendes Hülfsmittel für das richtige j
Verllandnifs der Predigtkunft Biel's, welches Plitt fich
nicht entgehen läfst, ift natürlich das manualc atratorum
des Bafeler Pfarrers Joh. Ulr. Surgant, des jüngeren Zeit-
genoffen Biel's. Ein Mangel an Plitt's Darfteilung der
Biel'fchen Predigtweife ift die gelegentlich etwas fubjec- |
tive Kritik: mit Redewendungen, wie dafs Biel's Aus- j
führungen gewiffer Themata .äufserlich' oder ,ledern' j
feien, ift nicht viel gedient, zumal dann nicht, wenn die
Ledernheit etc. fich gefchichtlich fehr intereffant machen
liefse durch den Nachweis ihres Zufammenhangs mit den
fpeeififeh katholifchen Anfchauungen z. B. von Chriftus
oder vom h. Geifte. Was wir ledern finden, ift doch
für den Katholiken oft gerade erbaulich. — Indefs mit
folchen Ausfüllungen foll dem verewigten verdienten
Theologen nicht der Dank gefchmälert werden, auf den
er auch für diefe Arbeit allen Anfpruch hat. Wer Biel's
Predigten in der Hand gehabt hat, wird mit Refpect
fchon vor der Energie anhalten, die den leidenden Mann
die mühfelige, langweilige Arbeit verrichten liefs, welche
die Herftcllung diefes kleinen Büchleins ficher gekoftet
hat. Es wird auch diefe letzte Arbeit von Plitt die For-
fcher auf dem Gebiete der Reformationsgefchichte es
fchmerzlich bedauern laffen, einen fo gewiffenhaften Mitarbeiter
vor der Zeit verloren zu haben.

Giefsen. F. Kattenbufch.

Wir fügen dem Obigen auch noch unfererfeits den Ausdruck herzlichen
Dankes hinzu, den auch die Literaturzeitung dem Heimgegangenen
als einem ihrer treueften und eifrigften Mitarbeiter fchuldet. Wie Wenige
war er ftets auch in folchen h üllen zur Hülfe bereit, wo die Aufgabe des
Kecenfenten viel Selbftverleugnung erforderte. Mochte die Aufgabe grofs
oder gering fein, nie hat er es verfchmäht, feine reichen und gründlichen
Kenntnifse, vor allem auf dem Gebiete der Reformationsgefchichte, in den
Dienft unferer gemeinfamen Sache zu ftellen, fo dafs fein frühzeitiger
Heimgang auch an diefer Stelle als ein fchwerer Verluft fchmerzlich empfunden
werden wird. Die Red.

Wen dt, Privatdoc. Lic. Dr. H. H., Ueber das sittlich Erlaubte
. Sammlung gemeinverftändlicher wiffenfehaft-
licher Vorträge, hrsg. von R. Virchow und Fr. v.
Holtzendorff. 345. Heft.] Berlin 1S80, Habel. (32 S.
gr. 8.) M. —. 60.

Der Ort, an welchem diefe Abhandlung veröffentlicht
ift, könnte die Folge haben, dafs fie gerade unter
den Fachleuten wenig bemerkt würde. Es wäre das zu
bedauern. Denn in fchlichter, aber durchaus gefchmack-
voller Form hat Wendt fein Thema zugleich mit foviel
Umficht und Gründlichkeit durchgeführt, dafs er auch
einem, der fich mit der theologifchen Ethik fchon lange
von Berufs wegen befafst hat, noch zu Danke gearbeitet
haben dürfte. Wendt tritt für die Berechtigung des Gedankens
ein, dafs es ein Erlaubtes in der fittlichen Welt
gebe. Er macht den nach meiner Anfchauung in der
That überzeugenden Gedanken geltend, dafs fchon die
Thatfache der Erholungsbedürftigkeit uns die Erkcnnt-
nifs aufnöthige, dafs unmöglich unfer ganzes Leben,
d. h. continuirlich jeder einzelne Augenblick dcsfelben
der Arbeit und der Pflicht, die der Arbeit ihre Ziele
fteckt, gehöre. Ohne Frage ift der Begriff des Erlaubten
im praktifchen Leben vielfach nur ein Nothbegriff, der
die Unficherheit des Pflichturtheiles ausdrückt und einen
Mangel an derjenigen Tugendbildung verräth, welche die
Pflichterkenntnifs erft ermöglicht. Indefs wird auch die
fchärffte Selbftprüfung jedem die Empfindung übrig
laffen, dafs er Situationen kenne oder fich vorzuftellen
vermöge, in denen er von einer Pflicht nicht mehr reden
könnte, wo es willkürlich und alfo eine Verkehrung des
Pflichtbegriffs wäre, von Pflichten zu reden. Das Gebiet
der Erholung ift ein folches, wo normaler Weife
die Pflicht nicht mehr entfeheiden kann, ob einfach geruht
oder nur eine andere Befchäftigung als die regel-
mäfsige vorgenommen werden foll, wo im Falle der Ent-
fcheidung für Letzteres der Pflichtbegriff auch keine Anwendung
finden kann auf die Wahl des befonderen Ge-
genftandes. Es giebt ja Umftände, wo man von einer
pflichtmäfsigen Form der Flrholung reden kann. Das ift
die Zeit der Krankheit, wo aber die normalen Bedingungen
des Lebens eben nicht vorliegen. Man kann ja
auch von der Pflicht reden, fich überhaupt Erholung zu
gönnen. Aber letzterer Gedanke verräth nur, dafs das
Gebiet des Erlaubten nicht fittlich unfruchtbar ift, fondern
indirect ebenfalls fruchtbar wird für die Realifir-
ung der fittlichen Aufgabe. Wendt zeigt auch fehr gut,
wie die Tugend den Willen in der erlaubten Thätigkeit
beräth und bewahrt, dafs er nicht über die Grenzen des
Erlaubten hinaus zu dem Verbotenen fich wende. Aber
ich will nicht weiter über Einzelnes referiren, fondern
nur noch einmal auf den hübfehen Vortrag hinweifen,
wo die einfchlagenden Fragen im Wefentlichen vollftändig
und mit erwogenem Urtheil zur Sprache gebracht find.

Giefsen. F. Kattenbufch.

Hettinger, Prof. Dr. Frz., Lehrbuch der Fundamental-
Theologie oder Apologetik. 2 Thle. Freiburg i. Br.
1879, Herder. (X, 435 u. X, 484 S. gr. 8.) M. 12. —

Der Name des Verf.'s als chriftlichen Apologeten
hat bisher einen guten Klang gehabt auch unter Proteftanten
. Luthardt (Apologetifche Vorträge, Vorwort
zur 5. Aufl.) bekennt, dafs ihm die Apologie des Chriften-
thums von Hettinger 1. Band (2. Aufl. 1865) wefentliche
Dienfte geleiftet habe, und rühmt diefes Buch als eine
vorzügliche Arbeit. Und diefes Lob ift ein wohlverdientes
. Der Verf. hat fich in feiner Apologie des Chriften-
thums die Aufgabe geftellt, den chriftlichen Glauben mit
dem Ideenkreis der intelligenten Welt zu vermitteln,
irrige Anfchauungen zu berichtigen und, wo das geiftige
Leben bereits zwiefpaltig geworden, heilend und verhöhnend
einzuwirken. Und er zeigt (ich diefer Aufgabe