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Ausgabe:

1880

Spalte:

556-558

Autor/Hrsg.:

Thoma, Albrecht

Titel/Untertitel:

Geschichte der christlichen Sittenlehre in der Zeit des Neuen Testamentes 1880

Rezensent:

Schürer, Emil

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5?5

Theologifche Literaturzeitung. 1880. No. 23.

ten vorhanden ift. Es finden fich nur verhältnifsmäfsig
kleine Lücken und der Text mit all feinen kritifchen
Zeichen ift gröfstentheils ganz vorzüglich erhalten; ift
doch das den Exodus enthaltende Londoner Manufcript
im Jahr 697, d. h. gerade 80 Jahre nach Entftehung der !
Verfion gefchrieben; die drei andern Londoner Haml-
fchriften und die eine aus Paris gehören ins achte Jahrhundert
. Letztere, das zweite Buch der Könige enthal- !
tend, ift diefelbe, die Middeldorpf fchon im Jahr 1835 j
veröffentlichte; die neue Herausgabe derfelben war fo
wenig überflüffig, wie Ceriani's photolithographifche Re-
production der Mailänder Hexaplahandfchrift nach den
Arbeiten von Bugati, Norberg, Middeldorpf: dafs die
Zeit, die Lagarde auf diefe Arbeit verwenden mufste,
keine genufsreiche war, können wir uns denken. Die
ganze Bedeutung der fyrifch-hexaplarifchen Verfion hat
Lagarde kurz und treffend in den von ihm gewählten
Titel feines Buchs zufammengefafst: fie repräfentirt uns
das Alte Teftament, wie Origenes es gelefen, und zwar
hebräifch und griechifch; was das heifsen will, veran-
fchauliche man fich am Neuen Teftament. Was gäben
wir, wenn wir das letztere noch ganz fo hätten, wie Origenes
es gelefen! Da Lagarde die Verfion für feine
Septuaginta-Ausgabe, deren zweiter Band bald in den
Druck kommen foll, fyftematifch verarbeiten will,
ift hier jede weitere Bemerkung unnöthig. Dafs man
fich auf die Genauigkeit des hier Gebotenen verlaffen
kann, habe ich an den acht erften Capiteln des Epipha-
nius erprobt, die ich felber vor einigen Jahren in London
abgefchrieben.

Münfingen. E. Neftle.

Schmidt, Prof. Lic. Dr. Paul Wilh., Neutestamentliche

Hyperkritik an dem jüngften Angriff gegen die Echtheit
des Philipperbriefes auf ihre Methode hin unter-
fucht. Nebft einer Erklärung des Briefes. Berlin 1880,
G. Reimer. (102 S. gr. 8.) M. 2. —

Dafs die Verwerfung der Echtheit des Philipperbriefes
ein entfchiedener Mifsgriff der Baur'fchen Kritik
war, wird heutzutage faft allgemein anerkannt. Nur
wenige Getreue find auch in diefem Punkte in dem
Glauben an das Baur'fche Evangelium feft geblieben.
Und unter diefen Wenigen hat Holften am meiften
Eleifs und Mühe auf die Erwcifung feiner Thefis verwendet
(Jahrbb. f. proteftant. Theol. 1875—1876). Aber
auch durch alle von ihm aufgebotenen Beweismittel ift
die Sache fchwerlich überzeugender geworden. Ja zuweilen
find die Argumente der Art, dafs man gerne einen lap-
sus calami annehmen möchte. Wenn z. B. in der ,Kritik
des Sprachftoffes' allen Ernftes conftatirt wird, dafs «oyi; j
in der Bedeutung ,Anfang' unpaulinifch fei, weil es bei [
Paulus nur als Bezeichnung einer Engelclalfe vorkomme
(Jahrbb. 1876, 290 -, oder dafs das Adverbium anovöaioztQiog
nicht paulinifch fei, indem nämlich bei Paulus nur das j
Adjectiv onoväaiözsQog vorkommt (Jahrbb. 1876, 294),
ofler dafs der Philipperbrief das Zahladverb Öig ,eigentümlich
habe' (Ebendaf. 295), — wenn man folche und
ähnliche Gründe lieft, fo hält es fchwer, an die Ernft- !
haftigkeit derfelben zu glauben.

Gegen diefe Unterfuchung von Holften ift nun die
obige Schrift von Schmidt gerichtet. Sie ift ja infofern
eine erfreuliche Erfcheinung, als hiermit von einer Seite, i
die doch gewifs als ,liberal' wird anerkannt werden,
gegen diefe Methode Proteft erhoben wird. Aber damit j
ift auch ihre Bedeutung, wie mir fcheint, erfchöpft. Das
Bedürfnifs einer eingehenden Widerlegung Holften's hat
offenbar auch Schmidt nicht gefühlt. Denn es find ver- I
hältnifsmäfsig nur kurze, allerdings auch zutreffende Be- 1
merkungen, die ihm hier entgegengehalten werden. Sie
haben, wie auch der Titel andeutet, eben nur den Zweck,
im Allgemeinen die angewandte Methode zu charakteri- I

firen. — Aufser den direct gegen Holften gerichteten Bemerkungen
über die Echtheit und die Entftehungsverhält-
nifse des Briefes (S. 7—31) giebt der Verf. auch noch
eine zufammenhängende ,Erklärung des Briefes' (S. 31 —
88), in welcher wiederum das Hauptaugenmerk auf die
Widerlegung der hauptfächlichften Aufftellungen Holften's
gerichtet ift. Die Erklärung hält fich aber ganz im Allgemeinen
und befchränkt fich im Grunde auf eine kurze
Reproduction des Inhaltes mit gelegentlicher Polemik
gegen Holften. So fehr dabei auch in allen Hauptpunkten
das gefunde Urtheil des Verf.'s anzuerkennen
ift, fo wird er doch felbft nicht beanfpruchen, für das
gefchichtliche Verltändnifs des Briefes wefentlich Neues
beigebracht zu haben. — In einem Punkte hätte Ref.
eine etwas gröfsere Zurückhaltung des Verf.'s gewünfeht.
Er trägt mit Beftimmtheit die Anficht vor, dafs der herbe
Ausfall des Apoftels in C. 3, 2 (ßlsneze zovg xvvag,
ßksnezs zovg xentovg sgyettag, ßkiizeze zijv xazazoitrr) fich
auf die feindlichen Juden (nicht Judaiften) beziehe, und
dafs Paulus dabei namentlich die Hinrichtung des Jakobus
des Gerechten durch die Juden im J. 62 im Auge
habe. Nun ift aber fchon die Beziehung auf die Juden
nichts weniger als ficher. Und die Combinatioo mit
der Hinrichtung des Jakobus hätte um fo mehr mit
gröfserer Referve vorgetragen werden müffen, als die
chronologifche Anfetzung diefes Factums auf das J. 62
von der Echtheit der Jofephusftelle (Antt. XX, 9, 1) abhängt
, die doch nicht über allen Zweifel erhaben ift
(wie der Verf. felbft S. 25 Anm. 1 andeutet).

Giefsen. E. Schürer.

Thoma, Albrecht, Geschichte der christlichen Sittenlehre
in der Zeit des Neuen Testamentes. Von der Teyler'-
fchen Gefellfchaft gekrönte Preisfchrift. Haarlem
1879, de Erven F. Bohn. [Leipzig, Harraffowitz.]
(380, III S. gr. 8.) M. 6. —

In drei Hauptabfchnitten behandelt der Verf. die
Sittenlehre des Neuen Teftamentes. I: Die Sittenlehre
Jefu (S. 9—142), II: Die Sittenlehre des Paulus (S. 143—
244), III: Die Sittenlehre der Gemeinde (S. 245—369).
Die kritifchen Vorausfetzungen und überhaupt die hiltori-
fchen Anfchauungen in Betreff des N.T.'s, von welchen
der Verf. ausgeht, find im Wefentlichen diejenigen Baur's.
Doch find für die Darfteilung der Lehre Pauli als echte
Quellen aufser den vier grofsen Streitbriefen auch noch
der I. Theffalonicher- und der Philipper- und Philemon-
brief verwendet. Im dritten Hauptabschnitt werden die
nachapoftolifchen Lehrbegriffe nach dem Baur'fchen
Schema in folgender Reihenfolge behandelt: 1. Die
judenchriftlichen Lehrbegriffe: Apokalypfe, Evangelium
Matthäi und Marci, 2. Die vermittelnden: Jakobusbrief,
Hebräerbrief, Lucasfchriften, I. Petrusbrief, 3. Die katholi-
firenden: Clemensbrief, Barnabasbrief, Ephefer- und
Kolofferbrief, Johannes-Evangelium und Briefe, Paftoral-
briefe.

Die Darftellung ift frifch und gewandt, zuweilen etwas
leger. Der gelehrte Apparat fehlt fo gut wie ganz.
Auf Befprechung einzelner Punkte oder controverfer
Fragen wird nirgends eingegangen. Ja man erfährt überhaupt
kaum, dafs es hier noch Fragen giebt: der Verf.
fetzt einfach feine Auffaffung als die richtige voraus.
Die Reproduction der biblifchen Ideen ift auch eine fehr
freie, fich ziemlich im Allgemeinen haltende und fich
nicht ftreng an das Wort bindende, wie denn ein Zurückgehen
auf den griechifchen Wortlaut durchgängig
vermieden wird. Das Buch ift mit einem Worte mehr
ein populäres als ein wiffenfehaftliches: es giebt eine
angenehm lesbare Ueberficht der ethifchen Anfchauungen
des N. T.'s nach dem Schema und den Vorausfetzungen
der Baur'fchen Gefchichtsbetrachtung. In dem erften
Hauptabfchnitt (Lehre Jefu) könnte man die Darfteilung