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Ausgabe:

1880

Spalte:

481-485

Autor/Hrsg.:

Heinrici, C. F. Georg

Titel/Untertitel:

Erklärung der Korintherbriefe in 2 Bdn. 1. Bd.: Das erste Sendschreiben des Apostels Paulus an die Korinthier, erklärt 1880

Rezensent:

Schürer, Emil

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Theologifche Literaturzeitung. 1880. Nr. 20.

482

[auch an der Ruth, fofern fie Moabitin war], durch die Verherrlichung
etc.). Die gleiche Tendenz verräth der Verf.
S. 2, Z. 22, wo er die Notiz bei Meyer charakteriftifch
verändert, S. 13 u. 14, wo er zu Matth. I, 25 die Jung-
fraufchaft Maria's ante partum, in partu et post partum
vertheidigt und zwar auch dies mit Benutzung von
Meyer's Argumentation. Wo irgend möglich zieht er
die Vulgata herbei auch an Stellen, wo ihre Erwähnung
geradezu lächerlich ift, wie in der oben angeführten: ,fo
fehreiben Lachm. u. Tifchend. nach B, D u. Vulg.'.

Endlich hat der Verf. das Beftreben, fich möglich!!
kurz zu faffen. Zwar hält er öfters eine ausführlichere
Erklärung für nothwendig, wo Meyer etwa nur einen
grammatifchen Terminus gebraucht (fo z. 24, 44 S. 312
cf. M. S. 522). Dafür ftreicht er bei Meyer nicht nur
Alles ihm anftöfsig Erfcheinende — und dahin gehören
z. B. auch deffen häufige Hinweifungen auf Differenzen
unter den Evangeliften —, fondern er läfst fich auch
faft nie darauf ein, die Darlegung verfchiedener möglicher
Erklärungsweifen bei Meyer wiederzugeben. Er
hält fich in der Regel an Eine der von Meyer aufgeführten
. Auch wo er da von Meyer abweicht, zeigt fich
feine Abhängigkeit von ihm. So erklärt Pölzl III, II
die Worte v.cd nvqL nicht vom Feuer der ewigen Strafe,
fondern vom hl. Geifte, aber wohl nur, weil er bei Meyer
gelefen, dafs dies die Auffaffung der meiften katholifchen
Ausleger ift. Einige Male indefs fchwingt fich Pölzl
wirklich zu einer eigenen Auslegung auf. Eine derfelben
foll der Curiofität wegen aufgeführt werden. S. 31 fagt
er zu III, io: ,Axt ift das einfehneidende Wort und
Werk des Evangeliums; fie ift angefetzt an die Bäume,
d. i. an das gefchichtlich hervorgewachfene Judenthum,
angelegt bis an die Wurzel, i. e. bis auf Abraham (!), fo
dafs das Volk gänzlich von feinem Stammvater getrennt
und damit feiner Verheifsungen verluftig gehen wird'.
Eine Kritik folcher Auslegung darf fich Ref. erfparen.
Sie dient nur zur Beftätigung feines oben abgegebenen
Urtheils.

Taucha. Dr. Paul Wctzel, Diaconus.

Heinrici, Dr. C. F. Georg, Das erste Sendschreiben des
Apostels Paulus an die Korinthier erklärt. Berlin 1880,
Hertz. (XI, 574 S. gr. 8.) M. 10. —

Wenn man unfere zahllofen Commentare zum N. T.
mit einander vergleicht und dabei beobachtet, wie ftark
fie oft im Material mit einander übereinftimmen, fo
könnte man leicht zu der Meinung veranlafst werden,
dafs hier eben alles gethan fei, was überhaupt gethan
werden kann. Dafs dem nun freilich nicht fo ift, dafs
fich vielmehr fov/ohl für die fachliche als für die fprach-
liche Erklärung noch recht viel Neues fagen und beibringen
läfst, ift durch den obigen Commentar Hein-
rici's wieder einmal recht deutlich ad oculos demonftrirt
worden. Er tritt als eine durchaus felbftändige, ihren
eigenen Werth behauptende Eeiftung neben die bisherigen
Commentare ; und er hat namentlich durch die That
bewiefen, dafs fich auch in der Sammlung des zur fachlichen
und fprachlichen Erläuterung dienenden Mate-
riales noch recht vieles thun läfst.

Sein Hauptaugenmerk hat der Verf. darauf gerichtet
, das geschichtliche Verftändnifs des Briefes zu fördern
, ihn im Ganzen und Einzelnen aus den Verhält-
nifsen, unter welchen er entftanden ift, heraus zu erklären.
Er verzichtet daher auch auf eine vollftändige ,Ein-
leitung', und fchickt als folche nur eine fehr forgfältige
und anfehauliche Gefchichte der korinthifchen Gemeinde
und ihrer Beziehungen zu Paulus bis zur Abfaffung un-
feres erften Briefes voraus (S. 1—69). Schon hier geht
der Verf. zuweilen feine eigenen Wege, namentlich in
der Charakteriftik des Apollos, der nach H., bei wefent-
licher fachlicher und perfönlicher Harmonie mit Paulus,
nicht nur die alexandrinifche Weishcitslehre in die Predigt
des Evangeliums eingeführt, fondern fpeciell noch
ein befonderes Gewicht auf den Taufact gelegt haben
foll, beides in Annäherung an das heidnifche Myfterien-
wefen. Wie diefes auf die höhere Weisheit der Eingeweihten
, und im Zufammenhang damit auch auf den
Einweihungsact als folchen grofses Gewicht legte, fo
verkündigte auch Apollos das Evangelium als eine höhere
Weisheit, und fo ,erhöhte er die Bedeutung der Taufe,
deren Vollziehung er zu einem Hauptftück feiner Thä-
tigkeit machte, um ihren facramentalen Charakter durch
erhöhte Feierlichkeit zu fichern' (S. 44). Letzteres fcheint
mir allerdings durch C. 1, 13 ff. nicht bewiefen werden
zu können. Auch fcheint es mir fehr fraglich, ob der
Verf. Recht hat, wenn er einen Befuch des Paulus in
Korinth zwifchen der Gründung der Gemeinde und der
Abfaffung unferes Briefes in Abrede ■ Hellt (S. 55), und
wenn er die Beziehung von II Kor. 10, 7 auf die Chri-
ftuspartei und damit die Identität diefer mit den juda-
iftifchen Gegnern des zweiten Briefes ablehnt (S. 156 f.).
Im Ganzen aber wird man dem höchft anfehaulichen und
lebendigen Bilde, welches der Verf. von der korinthifchen
Gemeinde entwirft, die Zuftimmung nicht verfagen
können.

Der Commentar weicht fchon in der äufseren
Form fehr wefentlich von der herkömmlichen ab. Der
Verf. gloffirt nicht Wort für Wort und Satz für Satz,
fondern er reproducirt den Text in zufammenhängender
Darftellung, indem durch die freie Umfchreibung des
Inhaltes doch zugleich auch alle Einzelheiten des Gedankens
ihre Erklärung finden follen. Die textkritifchen
und fprachlichen Erläuterungen dagegen find in die Anmerkungen
verwiefen. So fehr nun die grofsen Vorzüge
diefer Methode ohne Weiteres anzuerkennen find, fo
habe ich doch gerade hier, was die Ausführung anlangt,
mein hauptfächlichftes Bedenken gegen Heinrici's Arbeit
geltend zu machen. Bei diefem reproducirenden Verfahren
wird immer die Gefahr nahe liegen, dafs man in
der freien Wiedergabe des Inhaltes und in der Weiterverfolgung
der im Text angedeuteten Gedanken fich
vom Text weiter entfernt, als es im Intereffe der näch-
ften Aufgabe, der Auslegung des gefchriebenen Wortes
, nützlich und wünfehenswerth ift. Diefer Gefahr ift
Heinrici, wie mir fcheint, nicht entgangen. Es ift ein
etwas weites und faltenreiches Gewand, in das hier die
Textgedanken gekleidet werden. Ja hie und da haben die
Ausführungen mehr den Charakter von freien Variationen
über ein gegebenes Thema, als den einer knappen Auslegung
des Textwortes. Gerade weil die Verfuchung
I zu freien Ausblicken nach rechts und links bei diefer
Methode fo überaus grofs ift, follte es fich der Ausleger
um fo unerbittlicher zum Gcfetz machen, auch nicht ein
einziges Wort mehr zu fagen, als was unbedingt zur Erklärung
des Textes erforderlich ift. Bei der freieren
Weife, die H. einfehlägt, wird namentlich der Anfänger
nicht ftreng genug angeleitet, fich über alle Einzelheiten
der Gedankenverbindung Rechenfchaft zu geben, wenn
auch der Kundige leicht fieht, dafs der Verf. feinerfeits
I fich diefe Rechenfchaft auf das Gewiffenhaftefte gegeben
| hat, ehe er die Feder anfetzte. Aber aus pädagogifchen
I Gründen möchte ich keinem Anfänger den Genufs diefes
Commentares geftatten, ehe er nicht die ftrenge Zucht
der Meyer'fchen Pedanterie durchgemacht hat.

Bei der Feftftellung des Textes weicht Heinrici
nicht ganz feiten von Tifchendorf ab. Er legt namentlich
ein gröfseres Gewicht auf die alten Verfionen, be-
fonders wenn die alte lateinifche und die alte fyrifche
Ueberfetzung mit einander übereinftimmen. So einleuchtend
diefer Grundsatz nun auch im Principe ift, fo hat
er doch in der Anwendung zu manchen Refultaten geführt
, die ich nicht für richtig zu halten vermag. Und
gerade diefe Refultate liefern den Beweis, dafs man den
textkritifchen Werth jener Zeugen nicht zu hoch an-
I fchlagen darf. Wer kennt denn das Alter der uns vor-