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Ausgabe: | 1880 |
Spalte: | 460-464 |
Autor/Hrsg.: | Segesser, A. Ph. v. |
Titel/Untertitel: | Ludwig Phyffer und seine Zeit. Ein Stück französischer und schweizerischer Geschichte im 16. Jahrhundert. Bd. 1. Die Schweizer in den drei ersten französischen Religionskriegen 1562 - 1570 1880 |
Rezensent: | Schott, Theodor |
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Theologifche Literaturzeitung. 1880. Nr. ig.
460
gen Marfch bis Konftantinopel nach einer einfachen
Schablone gefchaffen hat. Das zweite Factum aber gehört
zu jenen petrocentrifchen Dichtungen, die eine Reihe
von factifchen Vorkommnifsen auf den Eremiten übertragen
. Ich kann dies auch nicht anders anfehen, nachdem
B. Kugler in feiner Studie über Peter den Eremiten und
Albert von Aachen (v. Sybel's hiftor. Zeitfchr. Bd. 44,
22—46) die Verwendung des letzteren als Quelle für
den erften Kreuzzug in ein neues Licht zu ftellen ver-
fucht hat durch Besprechung des Verhältnifses zwifchen
Albert und den in den letzten Jahrzehnten publicirten
Kreuzzugsliedern. Kugler will offenbar unterfcheiden
zwifchen den Partien in Albert's Werk, welche diefer
volksthümlichenPoefie entnommen find, und denen, welche
auf anderweitigen Mittheilungen und Quellen beruhen.
Was v. Sybel im Nachwort zu diefer Studie hiegegen
bemerkt hat, fcheint mir durchaus zutreffend. Wer vermöchte
überall diefe Scheidung durchzuführen und aus
den Maffen des Legenden- und Sagenhaften die etwa darin
verfteckten wahren hiftorifchen Reminiscenzen
zu erkennen, welche uns anderweitig gar nicht
bezeugt find? Ich denke, hier kann man auch mit der
fchärfften Secirmethode doch nicht über blofs fubjective
Gefichtspunkte, über die unnütze Aufftellung von Möglichem
hinauskommen.
Das Leben Peters fällt nun überhaupt recht
dürftig aus. Bis zu feiner erftmaligen Pilgerfahrt in das
heilige Land wiffen wir gar nichts von ihm. Der Name
feiner Familie ift unbekannt. Darin hat Hagenmeyer
v. Sybel gegenüber entfchieden Recht; das ,Acheriensis'
kann nicht eine Familie ,d'Achery' bedeuten, fondern
nur entweder den Geburtsort, der dann in der Diöcefe
Amiens liegen müfste, oder aber, was viel für fich hat,
ein Schreibfehler für Amianensis fein. — Hagenmeyer
erweift ferner, dafs Peter feine erftmalige Pilgerfahrt
nicht vollendet, dafs er Jerufalem nicht gefehen hat.
Auch von hier aus fallen alle jenen berühmten Sagen
von der Vifion Peters in Jerufalem und allem, was üch
daran anfchliefst. Mit Recht hat er fchliefslich auch
hervorgehoben, dafs wir nicht einmal darüber fichere
Kunde haben, ob Peter wieder aus dem Orient zurückgekommen
ift.
Ich kann aber an einer Eigenfchaft des Buchs nicht mit
Stillfchweigen vorübergehen. Das ift die entfetzliche
Weitfchweifigkeit, in der es angelegt ift und verläuft.
Man kann getroft behaupten, die ganze Unterfuchung und
Darftcllung hätte ftatt auf 372 ganz bequem auf circa
100 Seiten abgemacht werden können, auch wenn der
luxuriöfe Druck beibehalten worden wäre. An Voll-
ftändigkeit wäre gar nichts verloren gegangen, wohl aber
wäre dem Lefer erfpart geblieben, dafs er, wenn ihm
feine Zeit lieb ift, in jedem Capitel einigemale eine ganze
Reihe von Seiten überfchlagen mufs. Es ift nicht das
Uebermafs in Herbeiziehung des Details, was ich damit
meine: das wäre gerade bei einer Arbeit, die einen bisher
nur zerftreut behandelten Gegenftand zufammenfaf-
fend darfteilen will, ebenfo begreiflich, wie bei einer andern
, welche zum erftenmal einen Gegenftand überhaupt
anfafst und fich dabei in Bezug auf das Stoffliche nicht
auf andere Arbeiten berufen kann. Aber man kann
dem Buch in diefer Beziehung nicht den leifeften Vorwurf
machen; die Quellen an fich fchon bewahren hier
vor einem Zuviel: trotz aller Gründlichkeit hat Hagenmeyer
wenig Einzelheiten mehr beizubringen gewufst,
als man bisher gekannt hat. Die Weitfchweifigkeit be-
fteht vielmehr in der angewandten Methode. Bei jeder
neuen Frage werden die Quellen einzeln zur Sprache
gebracht, unter Umftänden ihrem ganzen Wortlaut nach
im Text abgedruckt und fo und fo oft die Grundfätze
entwickelt, nach welchen die Kritik bei der Auswahl verfahren
mufs. Noch ermüdender wirkt es aber, wenn
nicht allein die fagenhaften Ausfchmückungen der Petruslegende
bei den nächftfolgenden Schriftftellern, fondern
auch noch diejenigen, welche fich in den Biographien
von d'Oultreman (1645), Vion (1853), Paulet
(1856) finden, in aller Ausführlichkeit beigebracht werden
. Es ift ein unzweifelhaftes Verdienft Hagenmeyer's,
dafs er die Literatur über Peter fo vollftändig gefam-
melt hat, wie man fie bisher bei uns in Deutfchland
nicht gekannt hatte (vgl. insbef. die Zufammenftellung
S. 3 in der Anm.). Aber darum hätten die thörichten
Phantaftereien und zügellofen Erfindungen doch nicht
die Berückfichtigung zu erfahren brauchen, dafs feiten-
weife aus ihnen abgedruckt wird. Ein Beifpiel hätte genügt
, um die allbekannte Thatfache auch hier wieder zu
erhärten, dafs der zeitlich am weiteften abftehende Darfteller
ftets am meiften zu erzählen weifs, namentlich
wenn ihm eine franzöfifche Phantafie zur Verfügung fteht.
So kommt es, dafs uns z. B. allein über die Vifion Peters
— 22 Seiten geboten werden, ebenfoviele über die
Sage, dafs Peter der eigentliche Urheber der Kreuzzugsbewegung
im Abendland gewefen fei, eine Sage, die feit
v. Sybel's kurzer und fchlagender Kritik meines Wiffens
niemand in Deutfchland ernftlich hat retten wollen. —
Zu diefer Verfchwendungsmethode mufs ich es auch
zählen, wenn in den Beilagen, welche S. 303—371 füllen,
zwar manches aus neu oder zum erftenmale verglichenen
Handfchriften beigebracht wird, im übrigen aber auf der
Mehrzahl der Seiten die Quellen für Peters Leben in
extenso nach den Ausgaben derfelben abgedruckt werden
. Die wenn auch zahlreichen Notizen, welche in den
Anmerkungen beigefetzt werden, motiviren ein folches
Verfahren, das nur das Buch unnöthig vertheuern mufs,
in der That nicht, zumal fchon in der Darfteilung felbft
zahlreiche und umfangreiche Mittheilungen aus den Quellen
erfolgt find. Wohin follte man gelangen, wenn jeder
Gefchichtsfchreiber in folcher Weife verfahren wollte!
Es ift zu bedauern, dafs der Arbeit diefer Fehler in
fo exorbitanter Weife anklebt. — Ein chronologifches
Regifter von 8, und ein alphabetifches von 21 Seiten
bilden den Schlufs des Buchs. —
Die Ausftattung ift, wie fchon angedeutet, in Druck
und Papier luxuriös: wem fie auch fo noch nicht genügt,
für den find nach Anzeige des Verlegers noch 10 Exemplare
in einer Prachtausgabe ,auf fchwerem holländifchem
Papier aus der "berühmten Fabrik der Herren van Gelder
in Amfterdam in fplendidefter Ausftattung hergeftellt'
(Preis 25 M.).
Berlin. Karl Müller.
Segesser, Dr. A. Ph. v., Ludwig Pfyffer und seine Zeit.
Ein Stück franzöfifcher und fchweizerifcher Gefchichte
im 16. Jahrhundert. Bd. I. Die Schweizer in den drei
erften franzöfifchen Religionskriegen 1562 —1570.
Bern 1880, Wyfs. (VIII, 676 S. gr. 8). M. 10. -
Meaux, Vicomte de, Les luttes religieuses en France au
seizieme sieclc. Paris 1879, E. Plön & Cie. (LXVII,
415 S. gr. 8.)
Zu den hervorragenderen Werken über die franzöfifche
Gefchichte während der Religionskriege im 16.
Jahrhundert gehören diefe beiden Publicationen; beide
find das Refultat langer, oft recht eingehender Special-
ftudien, bei beiden tritt das Intercffe, welches fie ihrem
Gegenftand entgegentragen, fehr lebhaft hervor, durch
beide klingt derfelbe warme patriotifcheHauch hindurch;
der franzöfifche Vicomte freut fich, dafs in feiner Heimath
durch das Edict von Nantes zuerft das Princip der
religiöfen Toleranz ftaatlich anerkannt und durchgeführt
worden fei, und mit echt nationalem Stolz erzählt der
fchweizerifche Hiftoriker die Heldenthaten feiner tapferen
Landsleute. Das Werk von Segeffer ift wichtig durch
die Menge archivalifchen Stoffes, welchen es verwerthet,
das franzöfifche Gefchichtswerk, welches einen weiteren