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Ausgabe:

1880

Spalte:

437-438

Autor/Hrsg.:

Müller, Geo.

Titel/Untertitel:

Paul Lindenau, der erste evangelische Hofprediger in Dresden. Ein Beitrag zur reformationsgeschichte Sachsens nach meistens ungedruckten Acten und Briefen 1880

Rezensent:

Kawerau, Gustav

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung. 1880. Nr. 18.

438

wirft: ,Betrachtungen und ratfchlag, wie dem hochmuot,
muotwillen . . . ., fo uns und den unfern täglichs ange-
ftattet werdent . . . zuo begegnend wäre'; es enthält den
von Zwingli felbft fpäter fo lebhaft bekämpften Vor-
fchlag zu einer Proviantfperre, da man zur Zeit eine
kriegerifche Action nicht verfuchen dürfe und doch ,etwas
Tapferes' unternommen werden müffe. Für die
Abendmahls Verhandlungen find von Intercffe Nr. 189,
236, 244 (vom Februar und März): der Weigerung
Zwingli's, aus deffen Feder augcnfcheinlich auch die
Schreiben Nr. 189 und 244 ftammen, fich der zweideutigen
Erklärung der Strafsburger anzufchliefsen (— ,dann
fo der lichnam Chrifti fclbs, und obglich geiftlich, an-
gebotten oder gereicht wurde, fo brächte das uffer effen
das inner, und dörft keines bewärens fin felbs vorhin,
funder wer nit gloubte, der wurd mit dem geiftlichen
darbieten glöubig, welches alles das bapstum und lutcr-
tum wurd ufrichten' — Nr. 189), fteht die mehr entgegenkommende
Haltung Bafels gegenüber (236), zu der
indeffen Zwingli auch in feiner zweiten Antwort (244)
fich nicht verftehen kann : durch das, wenn auch noch
fo geiftig ausgelegte Bekenntnifs, dafs Chrifti Leib im
heiligen Abendmahl gegeben werde, würde ,die felig-
keit wiederumb uff den darbietenden pfaffen, obfehon
nit jetz, doch folgenden zyt geftellt'; ,dann vor und ee
das brot oder der wyn dargebotten wirt, muofs der
gloub fchon uff Chriftum, dafs der für uns gelitten und
geftorben, verfichert fin, dafs Pölichs uns zuo erlöfung
und zuo erlangung ewigs lebens befchechen fig' — zugleich
ein Beweis, wie wenig Zwingli auch in diefer letzten
Zeit feines Lebens feinem urfprünglichen Standpunkt
untreu geworden ift. Am ausführlichften wird die Be-
richterftattung gegen den Schlufs bei der Schlacht von
Cappel; die vier Tage vom 8. bis zum II. Oktober um-
faffen nicht weniger als vierzig Seiten; aber je tiefer
diefe gleichzeitigen Documente in die äufsere Situation
hineinfehauen und die Offenkundigkeit der drohenden
Kriegsgefahr hervortreten laffen, um fo räthfelhafter wird
angefichts derfelbcn die Haltung Zürichs, und um fo berechtigter
der — leider auch hier nicht erfüllte —
Wunfeh, dicfclbe durch einen entfprechenden Einblick
in die innern Verhältnifse Zürichs und feiner Bürgerfchaft
unmittelbar vor jener Entfcheidungszeit erklärt zu
fehen.

Bafel. B. Staehelin.

Müller, Obcrlehr. Dr. Geo., Paul Lindenau, der erfte
evangelifche Hofprediger in Dresden. Ein Beitrag
zur Reformationsgefchichtc Sachfens nach meiftens
ungedruckten Acten und Briefen. Leipzig 1880, Hin-
richs. (64 S. gr. 8.) M. 1. 20.

Es war eine nicht ganz leichte, aber dankbare und
intereffante Aufgabe, die fich der Verf. geftellt hatte,
die Lebensgefchichte Paul Lindenau's, eines Mannes,
deffen Wirksamkeit befonders mit der Reformationsgc-
fchichte der Städte Zwickau, Freiberg und Dresden eng
verflochten ift, in monographifcher Forfchung zu entwirren
. Denn es lag in dem biographifchen Material,
das frühere Bearbeiter zufammengetragen hatten, eine
arge Verwirrung vor. Theils hatte man aus dem einen
Manne zwei verfchiedene Perfonen gemacht, indem man
den Zwickauer Lindenau von dem Freiberg-Dresdener
hatte unterfcheiden wollen, theils hatte man ihn wieder
mit einem Johann Lindemann, mit welchem er zeitweilig
an gleichem Orte zu gleicher Zeit gearbeitet hatte, zu-
fammengeworfen und Data aus der Lebensgefchichte
diefes mit der feinigen verfchmolzen. Zu diefer Verwirrung
kam noch hinzu, dafs ein früherer Biograph
(Hildebrand) in feltcner Leichtfertigkeit eigene Behauptungen
als angeblich aus urkundlichen Quellen gefchöpft
in die Biographie Lindenau's eingefchmuggelt hatte. Nur

j ein Zurückgehen auf handfehriftliche, Archiven oder dem
noch unedirten Brieffchatz der Reformationszeit entnom-
I mene Nachrichten konnte in diefes Wirrfal Licht und
Klarheit bringen. Mit forgfältigem Fleifse und mit überzeugendem
Beweisverfahren hat der Verfaffer fich feiner
Aufgabe entledigt; er ift dabei vom Glücke foweit begünstigt
gewefen, dafs er an den entfeheidenden Punkten
durch Auffindung ficherer urkundlicher Nachrichten (aus
dem Zwickauer Rathsarchiv und der Rathsfchulbibliothek
dafelbft, dem Dresdener Hauptftaatsarchiv und dem Ge-
meinfchaftl. Haupt-Archiv zu Weimar) eine Entfcheidung
hat herbeiführen können. In ihrer Vertrautheit mit der
weitfehichtigen und weit zerftreuten Literatur zur fäch-
fifchen Reformationsgefchichte bekundet feine Arbeit den
fördernden und anregenden Einflufs, der von dem verewigten
D. Seidemann auf eine jüngere Generation ausgegangen
ift, an deren Studien der Entfchiafene in felbft-
lofer Liebe zur Wiffenfchaft berathend und mittheilend
freudigen Antheil nahm. Wie wir hören, ift dem Verf.
die Publication eines wichtigen Stückes des Seidemann-
fchen Nachlaffes anvertraut worden; durch vorliegende
Arbeit legitimirt er fich hierzu aufs Befte.

Da ich an anderem Orte Müller's Paul Lindenau
ausführlicher zur Anzeige bringe, fo unterlaffe ich es
hier, fowohl die Refultate feiner biographifchen Nach-
forfchungen zufammenzuftellen, als auch an Einzelnheiten
näher anzuknüpfen. Nur darauf möchte ich hinweifen,
dafs uns die Müller'fche Arbeit wieder daran erinnert
, dafs fich in Zwickau in dem Handfchriften-
befitz des dortigen Magiftrats, befonders in dem reichhaltigen
Nachlafs des ehemaligen Stadtfchreibers Stephan
Roth eine reiche, bisher durchaus nicht ausge-
fchöpfte Fundgrube für die Gefchichte namentlich fäch-
fifcher Reformatoren zweiten und dritten Ranges befindet.
Wohl verdanken die ,Unfchuldigen Nachrichten' einen
guten Theil ihrer wcrthvollen Publicationen von Briefen
i zur Reformationsgefchichte Zwickauer Abfchriften, wohl
hat Weller in feinem ,Altes und Neues' vorwiegend aus
jenen Zwickauer Sammlungen gefchöpft und in unferem
j Jahrhundert Herzog, der Zwickauer Chronift, damit fortgefahren
, aber noch immer wird es fich lohnen, in Stephan
Roth's Brieffchaften weiter nachzuforfchen. Ein
,Roth'fchcs Briefbuch' würde unferes Erachtens für die
Reformatorengefchichte viel reichhaltigere Ausbeute ge-
; währen, als die fo dankenswerthe Publication des Scheurl'-
fchen Briefbuches.

Wenn in unferen Tagen gerade in theologifchen
Kreifen der Sinn für die kirchliche Vergangenheit der
I engeren Heimath ziemlich rege, es alfo auch manchem
, Geiftlichen nahe gelegt ift, fich mit der Biographie eines
j feiner Amtsvorgänger zu befchäftigen, fo wird es er-
wünfeht fein, auf gute Mufter für derartige kleinere
Monographien hinweifen zu können. In voller Ueber-
zeugung fei hierfür die vorliegende Arbeit beftens empfohlen
. —

Klemzig. Kawerau.

Brosch, Mor., Geschichte des Kirchenstaates. 1. Bd.: .Das
16. und 17. Jahrhundert. Gotha 1880, F.A.Perthes.
(XIII, 489 S. gr. 8.) M. 8. 40.

Das dem Verfaffer geftcllte Thema — ich fage ,ge-
ftcllte', weil das vorliegende Werk einen Theil der
Heeren-Uckert'fchen Sammlung bildet — ift ein für den
Hiftoriker auf der einen Seite anziehendes, auf der andern
Seite abftofsendes. Anziehend, weil die Entwickel-
ung, welche er feit ihrem Entliehen darfteilen foll, unter
unfern Augen ihren Abfchlufs erreicht, fich ausgelaufen
hat, wie ein Uhrwerk, deffen Feder abgenutzt ift und
deffen Räder nun den Widerftand, den fie felbft hervorbringen
, nicht mehr zu bewältigen vermögen _ ab-

ftofsend zugleich, weil nicht ein grofses moralifches,