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Ausgabe:

1880 Nr. 18

Spalte:

433-436

Autor/Hrsg.:

Friedländer, M. H.

Titel/Untertitel:

Geschichtsbilder aus der Zeit der Tanaiten und Amoräer. Ein Beitrag zur Geschichte des Talmuds 1880

Rezensent:

Strack, Hermann L.

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Theologifche Literaturzeitung. 1880. Nr. 18.

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Meyer, D. H., Le Christ des Evangiles. Etüde religieuse.
Paris 1880, Sandoz & Fischbacher. (101 S. 8.)

Ein wohlgemeintes Schriftchen, welches den chrifto-
logifchen Streit dadurch auf die einfachfte Weife zur
Löfung zu bringen gedenkt, dafs es auf die alte Frage
,Wer bift du?' Job.. 8, 25 nur die Evangelien felbft antworten
läfst. Sic, welche Jefus den Chrift fo wenig erfunden
haben, als Gutenberg die Bibel darum, dafs er
fie druckte, erfunden hat (S. 100), werden alfo in aus-
giebigfter Weife citirt; von andern Stimmen vernimmt
man nur ganz ausnahmsweife zwei- oder dreimal diejenigen
von Pascal und Vinet (S. 58, 76), beziehungs-
weife von Spinoza (S. 68). Die Antwort lautet: er ift 1)
des Menfchen Sohn, d. h. nicht blofs ein ächter, fondern
der ächte Menfch (S. 10), Vkomme normal, 1'komme ideal,
Pkomme parfait (S. 57), 2) der Sohn Gottes (S. 58 f.),
d. h. /'Image parfaite du pere Celeste (S. 76), 3) geftorben
den Sühnetod, auferweckt durch die Kraft Gottes, fitzend
zu deffen rechter Hand, wiederkommend in Herrlichkeit
(S. 78 f.). Die wunderbare Geburt fcheint der Verfaffcr
in den authentifchen Reden Jefu nicht bezeugt gefunden
zu haben. Um fo gewiffer aber die Präexiftenz (S. 62 f.).
Dals für letztere nur johanneifche Stellen — diefe allerdings
mit vollem Rechte — aufgeboten werden, konnte
für den Verfaffcr keinen Anftofs begründen. Denn er
citirt mit vollem Bewufstfein fynoptifche und johanneifche
Stellen, ohne irgendwelchen Unterfchied ihrer Beweiskraft
zu ftatuiren (S. 98); nur gründet er auf die Prologe
des dritten und des vierten Evangeliften die Annahme,
die fynoptifchen Evangelien feien verfafst ad narrandum,
das johanneifche ad probandum (S. 99). Vielleicht ver-
fchmäht er im Fortgange feiner weiteren Studien nicht,
die Commentare von Weifs zu Matthäus und Johannes
zur Hand zu nehmen und daraus zu lernen, dafs der hier
ftatuirte Gegenfatz fich fo wenig halten läfst, wie dort
die Leugnung alles Unterfchiedes. Dafs er fchon bisher
manche Studien nicht ohne Erfolg gemacht hat, wird
man aus feinem Hinweife auf das retardirende Element
in der meffianifchen Laufbahn Jefu entnehmen (S. 18 f.),
welcher beim Einzug in Jerufalem öffentliche Huldigungen
zum erften und letzten mal entgegennahm'
(S. 21). Die Bedeutung, welche in einer fo gearteten
Entfaltung des meffianifchen Programmes dem Petrus-
Bekenntnifsc zukommt, hat der Verfaffer fich bis jetzt
noch nicht klar zu machen gewufst. Ebenfo ift ihm noch
entgangen das entfeheidende Gewicht, welches für feine
ganze Frageftellung den authentifchen Ausfprüchen Marc.
10, 28 = Luc. 18, 19 und Marc. 13, 32 = Matth. 24, 36
zukommt, fofern fie in fittlicher und intellectueller Beziehung
eine Grenzlinie ziehen, die der Verfaffer nicht
anerkennen will und darf. Gleichwohl wird letztere Stelle
S. 96 nur gelegentlich citirt, als ob Alles in Ordnung
wäre, erftere aber S. 51 in zwar altherkömmlicher, aber
doch immerhin in einer Weife umgangen, über deren
völlige Unzuläffigkeit der Verfaffer fich gern aus dem
Marcus-Commentar und der biblifchen Theologie von
Weifs Belehrung holen wird. Mit Recht übrigens findet
S. 54 f. 76 f. als Gewinn aus vorläufigen Studien die
Freude darüber Ausdruck, dafs noch kein ernfter Forfcher
Jefu fchwere Täufchungen über feinen eigenen fittlichen
Stand beigemeffen habe.

Strafsburg i/E. H. Holtzmann.

Friedländer, Dr. M. II., Geschichtsbilder aus der Zeit der
Tanaiten und Amoräer. Fun Beitrag zur Gefchichte des
Talmuds. Brünn 1879, Epftein. (VIII, 148 S. gr. 8.)
M. 3. -

Bacher's treffliche Schrift ,Dic Agada der babyloni-
fchen Amoräer' (f. Theol. Lit.-Ztg. 1879, No- 3) fetzt die
Kenntnifs des Lebens und der perfönlichen Verhältnifse J
der babyl. Amoräer im Wefentlichen voraus, und in den I

weiteren Theilen feiner Arbeit — wir freuen uns mittheilen
zu können, dafs ,die Agada der Tannaiten' fich
der Vollendung im Manufcripte nähert — wird der genannte
Gelehrte fchon des Raumes halber hinfichtlich
der Perfonalien nicht viel ausführlicher fein können. Da
nun Graetz' bändereiche Gefchichte der Juden nicht im
Befitz vieler chriftlichen Gelehrten fein dürfte, da ferner
die kürzeren Darftellungen der jüdifchen Gefchichte eben
wegen ihres geringeren Umfanges charakteriftifche und
abgerundete Lebensbilder aus der talmudifchen Zeit
höchftens in kleiner Zahl bieten können, factifch fo gut
wie gar nicht bieten, und wir nur über wenige einzelne
bedeutende Perfönlichkeiten brauchbare Monographieen
befitzen, aber zur richtigen Würdigung der für Chriften
mehr als die Halacha intereffanten haggadifchen Be-
ftandtheile der Literatur aus talmudifcher Zeit die Kenntnifs
der in ihnen vorkommenden Perfonen unerläfslich
ift, wird die Abfaffung von allgemein verftändlich gehaltenen
und anfehaulichen, aber wiffenfehaftlich correc-
ten Lebensbildern aus den Zeiten der Tannaiten und der
Amoräer als ein fehr dankenswerthes Unternehmen bezeichnet
werden müffen.

Auf Grund folcher Erwägungen begann Ref. die
Leetüre des Friedländer'fchen Buches in der Hoffnung,
eine wirkliche Lücke in der Literatur ausgefüllt zu fehen
und daher uneingefchränkt loben zu können. Er wurde
aber arg enttäufcht; denn je weiter er las, defto mehr
entftand in ihm Unwille darüber, dass eine fo liederliche
Schreiberei in Buchform einem gebildeten Publicum angeboten
werden konnte (dem Vorkommen von Ge-
fchmier unter dem Strich felbft in angefehenen politi-
fchen Zeitungen abzuhelfen, entbehren die Abonnenten
leider eines wirkfamen Mittels), und dafs der Urheber
diefer Schreiberei einen Titel führt, deffen Befitz untrügliches
Zeichen des Vorhandenfeins wiffenfehaftlicher, wo
nicht gelehrter Bildung fein follte.

Ein fo hartes Urtheil als nicht zu ftreng zu erweifen,
fühlt Ref. fich verpflichtet, obwohl er den Lefern der
Theol. Lit.-Ztg. als ein Recenfent bekannt ift, welcher
gern mm rpb, nach der Seite des Verdienftes hin, ur-
theilt; denn erftens ift laut der Vorrede einigen fchon
früher veröffentlichten Theilen diefes Buches ,von dem
rühmlichft bekannten Gelehrten, Herrn Director Szanto
in Wien' und ,dem gelehrten Redacteur des Hame-
chaker' fPeft) Lob gefpendet worden, und war letzterer
der Anficht, Hr. Fr. liefere ,nicht nur einen fchönen
Spiegel für chriftliche Lefer [diefe Worte fchon
a. a. O. gefperrt] zur Klärung fonft getrübter Anfchau-
ungen von den Autoren des Talmud, fondern auch eine
durch fyftematifche Ordnung und präcife Darfteilung nützliche
Gefchichtsftudie für kritifches Talmudftudium', zweitens
wird das Buch fchon feiner in den vorftehenden
Worten angedeuteten Tendenz wegen von jüdifchen Re-
cenfenten auch ferner gelobt werden, drittens hegt der
Verf. die Hoffnung, dafs fein Machwerk ,von vorurtheils-
freien Sachkennern als nützliches Familienbuch wie als
belehrende Leetüre für die reifere Jugend anerkannt und
gewürdigt werde'.

Wir beginnen unfere Ausftellungen mit einer fchein-
bar ganz äufserlichen, welche jedoch für die Liederlich-
lichkeit der Arbeit charakteriftifch ift. Faft jede Seite
ift durch mehrere, zum Theil böfe Druckfehler entftellt.
Einige Beifpiele: S. 2 Nafirär, Epytheton, Tohra (auch
S. 87), Epiphanos; S. 3 Boetho's ft. Boethos', Zoreda ft.
Zer. (a. S. 4;, Jofua ben Joefer ft. Jofe b. J.; S. 4 Sotha,
Chawar ft. Chawer, Hirkan (fo ftets); S. 7 Jehuda ben
Tobbai ft. b. Tabbai oder b. Tabai (a. S. .II. 12. 13);
S. 9 eilinifeh ft. eilieifeh; S. 11 Zebium ft. Zebu'in pyiaa;
S. 12 heifst die Quaderhalle Lilchehat hagofit; S. 14,
Z. 13 das ft. dafs; S. 15 hasmoniäfchen, Herodos; S. 16
Galliläa (fo faft ftets), Ezekin ft. Ezechias; S. 17, Z. 9
v. u. den ft. denn; S. 26 hasakan, der Bart, ft. hasaken,
I der Alte (a. S. 29); S. 49 u. 81 Joachfin ft. Juchaffin;

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