Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1880 Nr. 17

Spalte:

412-413

Autor/Hrsg.:

Eucken, Rudolf

Titel/Untertitel:

Ueber Bilder und Gleichnisse in der Philosophie. Eine Festschrift 1880

Rezensent:

Gottschick, Johannes

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

4ii

Theologifche Literaturzeitung. 1880. Nr. 17.

412

tige Unterftützung der Geiftlichen des linken proteftan-
tilchen Flügels, die unbewufst für die Religion des Gewiffens
arbeiten, es anzubahnen, dafs das ftaats- und
culturfeindliche Chriftenthum durch die Religion des Gewiffens
erfetzt werde. Ohnehin hat fich das Chriftenthum
überlebt: Alles drängt jetzt dahin, die transfcenden-
ten Idole, die fich die Menfchheit nach ihrem Hilde
machte, zu zerftören und an ihre Stelle die Herrfchaft
des immanenten Gottes zu fetzen. Die Erfcheinungsform
des letzteren ift die von ihm nach ewig unveränderlichen
Gefetzen geleitete Welt, eine feiner Offenbarungen das
durch die Culturarbeit von Jahrtaufenden fich bildende
Sittengefetz, er wird durch keinen Gottesdienft geehrt
als durch den in fittlicher Liebe beftehenden: aus dem
Schoofse des All Einen taucht der Einzelne auf, um über
kurz oder lang in ihn zurückzufinken. Durch gefchicht-
liche und philofophifche Erörterungen wird die unzweifelhafte
Wahrheit diefer Ueberzeugungen von dem Ver-
fafser erwiefen, welcher Kant im Sinne Schopenhauers
metaphyfifch, im Sinne Lange's erkenntnifstheoretifeh
fortbildet, von Zeller mit Kategorien wie Transcendenz
und Immanenz operiren gelernt, durch Hartmann von
den carrikirten Refultaten der Tübinger Schule dunkle
Kunde bekommen, auch die Anwendung der modernen
genetifchen Methode auf die Ethik fich zu eigen gemacht
hat, fich in Kuhn's Theorie der Mythologie eingeweiht
zeigt, und der nun die reifen Früchte feiner tiefgehenden
Studien mit fo hohem Pathos, fo feierlichem Ernfte, fo
ftolzer Siegesgewifsheit vorträgt, dafs fich einem die
Ahnung aufdrängt, der Prophet diefer neuen Religion,
den er herbeiruft, um auf jenen Refultaten der Forfchung
den Tempel der Dichtung aufzubauen, fei in ihm bereits
aufgeftanden. Das Chriftenthum hat fich alfo überlebt.
Jefus nämlich, ein Mann, der unter Johannes Bufse ge-
than und deffen Lehre weiter getragen, hatte zu der Bot-
fchaft von der Nähe des jüdifchen Gottesreiches die vom
unmittelbar bevorftehenden Weltende hinzugefügt und
war der Meinung des Volkes, er fei der Meffias, nicht
entgegengetreten. Als er von den Pharifäern unter andern
auch darum getödtet war, weil er dem Volke die
Ueberlieferungen der Schule preisgegeben, hatten die
Apoftel an die Stelle feiner und des Johannes Lehre die j
von der Vergebung der Sünden, Paulus und das vierte
Evangelium die Trinitätslehre gefetzt, in welcher die für
die damalige Zeit relativ berechtigte Transfcendenz
Gottes mit feiner Immanenz, die die Völker unter dem
Einflufs der Stoiker dunkel fühlten, vereinigt wurde.
Der vom Proteftantismus, von der Philofophie und der
Naturforfchung zu Beginn der Neuzeit aufgenommene
Kampf gegen das Chriftenthum ift jetzt feinem Ende
nahe. Die liberalen Proteftanten, welche noch die Lehre Jefu
gelten laffen wollen, täufchen fich felbft: in feiner Lehre [
ift nichts für unfere Zeit Paffendes zu finden, über feine [
culturfeindliche, auf Lohn und Strafe gegründete Moral
(eine Begründung, die aus feinem Glauben an einen trans- !
feendenten Gott nothwendig folgte) find wir längft hinaus.
Kant hat die Religion des Gewiffens angebahnt. Freilich bedarf
er der Fortbildung. In Folge feiner Jugenderziehung
glaubte er irrthümlich die Willensfreiheit ftatuiren zu
muffen (natürlich verfteht der Verf. die transfe. Freiheit
mythologifch und als liberum arbitrium). Dies Problem
ift der Nerv des Kant'fchen Denkens: um der Freiheit
Raum zu fchaffen, hat er die Welt für unfere Vorftellung
erklärt, wie eine Analyfe der feinen Entwicklungsgang
bezeichnenden Schriften zu zeigen — nicht einmal verbucht
. Dem gegenüber ift es die Aufgabe des Verfaffers
,eine Moral zu gründen, welche die Gefetzmäfsigkeit des
Denkens ohne Bemäntelung anerkennt'. Der Schein der
Willensfreiheit entfteht, indem in Folge der Aenderung
des Momentanfeldes unferes Bewufstfeins nach der Hand- I
hing nur ein Theil ihrer Bedingungen ins Gedächtnifs
gerufen werden kann. ,Es wird uns nun kein Bedenken
mehr hindern an der Verneinung der Willensfreiheit feft- I

zuhalten'. Mit eiferner Nothwendigkeit entwickelt fielt
die Menfchheit aus dem Egoismus und durch ihn durch
die Utilitätsmoral hindurch zur Moral der Liebe. Verantwortlichkeit
hat Niemand, die Verbrechen beruhen
auf ataviftifchen Regungen, die auf einer früheren Cul-
turftufe zurückgebliebenen Verbrecher find zu bedauern;
aber der Begriff der Moral, ob auch mit der Zeit veränderlich
, ift für jede Zeit benimmt, niemand hat das
Recht, einer veralteten Moral zu folgen, pietätsvoll folgt
der Menfch der Stimme des Gewiffens, das durch die
Culturarbeit von Jahrtaufenden in ihm entftanden ift, und
wendet fich unwillig ab von.denen, die das Sittengefetz
in den Staub zu ziehen beftrebt find. Doch wir brechen
ab, um nicht Alles zu verrathen und um nicht denen
den Genufs zu verkümmern, welche an der allerneueften
Weisheit eines frifch aus der Efse gekommenen Doctors
fich felbft erfreuen möchten.

Magdeburg. J. Gottfeh ick.

Eucken, Prof. Rud., Ueber Bilder und Gleichnisse in der
Philosophie. Eine Feftfchrift. Leipzig 1880, Veit & Co.
(59 S. 8.) M. 1. 20.

Der Verf. weift darauf hin, wie wichtig für das eingehende
und allfeitige Verftändnifs der Gefchichte der
Philofophie es ift, auf die von den Philofophen gebrauchten
Bilder und Gleichnifse zu achten. Es giebt einen
nicht zu unterfchätzenden Beiträg zur Charakteriftik der
einzelnen Denker, ja ganzer Epochen und Grundrichtungen
, wenn man darauf achtet, ob Bilder oft oder feiten
gebraucht werden — die Häufung z. B. deutet darauf
hin, dafs der Gedanke noch nicht oder nicht mehr
feinen entfprechenden Ausdruck findet —, ob das Bild nur
zur Veranfchaulichung dient oder mitbeftimmend in die
Gedankengeftaltung eingreift, aus welchen Gebieten die
Bilder entlehnt find, welche Gedanken — es werden die
jedesmal wichtigften fein — durch fie illuftrirt werden.
Diele Gefichtspunkte werden an zwei Denkern von ausgebreiteten
Interefsen, Aristoteles und Leibnitz, und an
zwei auf das eine Gebiet der Religion concentrirten, an
dem fpeculativen Eckart und dem praktifchen Luther im
Einzelnen erläutert.

Darauf wird das Verhältnifs des Bildes zum Gedanken
und das Maafs des Nutzens und Schadens feiner
Verwendung in Betracht gezogen. Dem Gedanken vor-
ancilcnd fleht das Bild im Dienfl der fynthetifch-posi-
tiven Aufgabe der Philofophie und findet fich darum
befonders bei fchöpferifchen Geiftern. Freilich gewinnt
leicht die Herrfchaft, was zum Dienfl beftimmt war: das
Bild hat eine fpeeififche Auffaffung des Gegenftandes zur
Vorausfetzung, die Sinnenfälligkeit fcheint für die Wahrheit
der Sache fchon Bürgfchaft zu leiden, die Analogie
wird oft über das berechtigte Maafs ausgedehnt, durch
die ihm anhaftende Werthfehätzung erweckt das Bild der
Sache unberechtigte Sympathien und Antipathien, ein
einmal aufgekommenes Bild bleibt hinter dem wachsenden
Gedankengehalt zurück, und in feiner Bekämpfung,
Rechtfertigung, Umgedaltung wird in die Irre gegangen.
Zur Erläuterung werden dann die hauptfächlichften Bilder
befprochen, die im Streit um eine Reihe von Prin-
eipienfragen benutzt find, fo bei der Frage nach Ur-
fprung und Bildung der Erkenntnifs die Bilder von der
leeren Tafel und vom Erwachen aus Schlaf oder Traum,
bei der nach der Realität des Wiffens das vom Traum,
bei der nach Erklärung des Weltübels das vom Kunft-
werk, ferner die Bilder, welche bei den Fragen nach
Einheit oder Vielheit, Ruhe oder Bewegung des letzten
Weltgrundes, nach dem Verhältnifs von Körperlichem und
Geiftigem benutzt sind.

Das Schriftchen ift im höchften Maafse interessant
und anregend; für folche, die nicht felbft in der Lage
find, Gefchichte der Philofophie zu lehren, wäre es frei-