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Ausgabe:

1880

Spalte:

408-409

Autor/Hrsg.:

Schulz, Carl

Titel/Untertitel:

Die Beweise für das Dasein Gottes und die Gotteserkenntniss. Andeutungen zur Richtigstellung des Problems 1880

Rezensent:

Gottschick, Johannes

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Theologifche Literaturzeitimg. 1880. Nr. 17.

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vierten Tages gefordert, fondern auch die Welt wird zugleich
unter den religiöfen Gefichtspunkt gehellt. Das
Sabbathjahr zeigt dafs diefe religiöfe ,Enthaltung gegenüber
der Welt' das Charakteriftifche des Sabbaths ift.
60 — 68. — In den folgenden fechs Worten wird die Sünde
in fittlicher Hinficht charakterifirt. Der Dekalog fordert
keinen Cultus, fondern nur Sittlichkeit und ift fo die
Grundlage für die prophetifche Auffaffung des Verhält-
nifses von Sittlichkeit und Cultus Arnos 5,25. jerj. 7,22.
Gott fordert als bedürfnifslofer Nichts als die Selbfthin-
gabe der Menfchen. So haben wir in diefen fechs Worten
die Grundzüge der Sittlichkeit, aber national be-
fchränkt. Defshalb tritt das Familienverhältnifs voran
und ift allein pofitiv behandelt, das Volksleben aber folgt
dann in negativer Behandlung. Das fünfte Wort gehört
zur Sittlichkeit, nicht zur Religion 68—115. — Die ethifche
Einheit aller diefer Gebote ift wohl im Geifte des Mofes
vorhanden gewefen, aber fie tritt nicht deutlich in das
Bewufstfein. Die religiöfe Aufgabe war für Israel die
primäre. Alles wird auf die Erhaltung der Gemeinfchaft
als einer religiöfen Gröfse bezogen. Die rechte Stellung
der ethifchen zur cultifchen Aufgabe wird noch nicht
ausgefprochen 115—126 ff. — So ift Mofes kein Gefetzgeber
oder Staatsgründer gewefen. Der Dekalog ift
religiös-ethifche Mahnrede ohne Strafandrohung und Exe-
cutivmacht. Es find Lebensworte eines Religionsftifters.
Das Werk des Mofes ift die Umfetzung der Nation in
eine religiöfe Gemeine, — und das fchliefsliche Refultat
ift die Auffaugung der Naldon durch die Religion. Esra's
Werk ift die Verwirklichung der von Mofes in das Volk
eingefenkten religiöfen Idee. Diefelbe mufste fich zu-
nächft in der Analogie mit Recht und Gefetz entfalten,
weil die nationale Idee des Volkskörpers als einer poli-
tifchen Gröfse feine Selbftändigkeit behauptete. So ist
der Dekalog allerdings die Wurzel des ,Gefetzes', und das
vierte Wort die Wurzel des Zeremonialgefetzes.'

Das find die Grundgedanken diefes fleifsig und fcharf-
fmnig durchgeführten kleinen Buches, in welchem mir nur die
zu weitgehende Anwendung des Sprachgebrauchs der
fyftematifchen Theologie für die biblifche (z. B. S. 15. 26.
60. 64.) und das nicht feltene Mifsverftändnifs fremder
Meinungen (z. B. S. 85. 109. 124) ftörend aufgefallen ift.
Ob der Verf. feine Behauptungen wirklich zur Wahr-
fcheinlichkeit erhoben hat, darüber werden vielleicht
die Anflehten auseinandergehen. Ich felblt mufs bekennen
, dafs ich mich an keinem wefentlichen Punkte davon
habe überzeugen können. Dafs die Nichterwähnung der
Opfer in diefen Zehnworten eine derartige weittragende
Bedeutung für die altteftamentliche Religionsgefchichte
haben und dafs diefe Worte als der Ausdruck einer jahrhundertlang
nicht verftandenen grofsartigen religiöfen
Idee am Anfange der mofaifchen Zeit flehen füllten, —
kommt mir nicht wahrfcheinlich vor. Die Stellung der
Propheten zu Mofes, ift nicht der Art, dafs ihre Lehre
wie die blofse Entfaltung deffen ausfähe, was in idealer
Höhe fchon von Mofes gegeben wäre. Und der Vergleich
mit der Stellung Jefu zu der chriftlichen Kirche
trifft nicht zu; denn im Alten Teftamente handelt es fich
um eine werdende Religion, bei Jefus um die gewordene
. Und wenn die Zehn Worte auch gewifs vor den
Propheten, die uns Schriften hinterlaffen haben, längft
exiftirten, fo können fie doch fehr wohl eine prophetifche
Zufammenfaf fung der religiös-üttlichen Grundfätze fein,
welche fich in den Jahrhunderten von Mofes bis Salomo
entwickelt haben. Dafs das zweite Wort nicht auf Abbildungen
Jahve's gehe, folgt weder aus Otto's nocli aus
des Verfs. Gründen, da ja die Bilder Jahves doch jedenfalls
Bilder von Erden-, Waffer- oder Luftwefen waren.
Und wenn der Dienft andrer Götter verboten war, fo
war nach antiker Auffaffung die Abbildung von ,Natur-,
mächten' dadurch von felbft gegenftandslos. Das dritte
Wort foll gewifs nicht allein ein ,Beherrfchen der göttlichen
Macht zu egoiftifchen Zwecken' verbieten, fondern

jeden Mifsbrauch der Macht, die in diefem Namen liegt,
zu unfittlichem Zweck, alfo auch den falfchen Eid, der
mit dem Lügenzeu gnifse gegen den Nächften unmittelbar
gar nichts zu thun hat. Das Sabbathsgebot
foll den felbftfüchtigen Gebrauch der heiligen Zeit Gottes
verbieten, und hat gewifs nicht die Abficht, die ethifche
Bedeutung der Arbeit gegenüber dem Zauber zu betonen.
Die Beflreitung des religiöfen Characters der Ehrfurcht
gegen die Aeltern ift ganz ungerechtfertigt. Denn im
Dekaloge handelt es fich nicht um die Grundfätze der
chriftlichen Ethik, fondern um die alles antike Denken
tief durchdringende religiöfe Auffaffung der grofsen Ordnungen
, in welche fich der Menfch bei feiner Geburt hin-
eingeftellt findet. Das ,Begehren', im letzten Gebote wird
ganz richtig nach meinem Vorgange an dem Beifpiele
Naboths illuftrirt, aber es wird zu einfeitig als Gewalt-
that bezeichnet, während es fich doch umLift und Rechtsbruch
unter Rechtsformen handelt, — im Gegenfatze zu
Mord, Dicbftahl und Ehebruch. — Auf einzelne Streitfragen
, wie den vormofaifchen Urfprung des Sabbathes
und feine Begründung in altfemitifcher Religion, — auf
den Gottesnamen Jahve Elohe Zebaoth, deffen volle
Form doch fchon bei Hofea 12,6 vorkommt, alfo ficher
nicht eine Erweiterung fondern die Urform ift, — u. dgl.
gehe ich nicht ein. Aber gewifs werden manche Fachge-
noffen meinem Urtheile über die Richtigkeit der Anflehten
des Herrn Verfs. nicht beiftimmen, und Alle werden
fein Buch mit Intereffe lefen.

Göttingen, II. Schultz.

Schulz, Infp. adj. Oberlehr. Dr. Carl, Die Beweise für das
Dasein Gottes und die Gotteserkenntniss. Andeutungen
zur Richtigftellung des Problems. Halle 1880, Buchh.
des Waifenhaufes. (132 S. 8.) M. 2. —

Der Verfaffer fleht den neueren dogmatifchen und
religions - philofophifchen refp. erkenntnifstheoretifchen
Verhandlungen über den Gegenftand mit glücklicher
Unbefangenheit völlig fern. Sein Denken bewegt fich
in den Geleifen der platonifchen Philofophie, die ihm,
von der Einkleidung abgefehen, das vollkommene Syftem
der natürlichen Gotteserkenntnifs ift. Nach umftändlichen
grundlegenden Erörterungen' über die Mängel der herkömmlichen
Beweife für das ,abftracte' Dafein Gottes
und über den Weg, den eine an ihre Stelle zu fetzende
,beweifende Gotteserkenntnifs', welche die Evidenz Gottes
in der Welt darthun foll, einzufchlagen hat, löft er diefe
Aufgabe in einer durch das platonifche Gleichnifs von
der Höhle und den Mythus vom Eros angeregten Gedankenreihe
. Gott ift evident im menfehlichen Denken.

1 Dasfelbe ift ebenfo eine Manifeftation Gottes, wie das natür-

1 liehe Licht eine folche der Sonne; fo weit der Menfch denkt,
ift fein Denken auch eine Gotteserkenntnifs, wenn auch
nur unbewufst S. 67. Das Denken ftiftet nämlich eincr-
feits fpontan Zufammenhänge in der Sinnenwelt, erkennt

I andererfeits dafelbft Gedanken: in beiden Fällen ift das
Sinnliche nur im Licht des Ueberfinnlichen erkennbar.
Dadurch wird das Denken darauf hingewiefen, dafs es

| die höhere Aufgabe hat, fich felbft zu ergründen. Nun
könnte es fich felbft nur ergründen, wenn es in fich felbft

1 feinen Urfprung fände und den letzten bewegenden Antrieb
zum Denken; da es das nicht kann, mufs es ihn
in einem Höheren, Höchften, Unendlichen, Unbedingten
haben. Diefen höheren Mafsftab handhabt es bereits
unbewufst, indem es fein Nicht-aus-fichfelbft-begreiflich-
fein erkennt. Da diefer Urgrund unferes Denkens uns
völlig fafsbar ift, foweit wir die Sinnenwelt und uns felbft
erkennen, die Gefetze der Sinnenwelt alfo feine Gedanken
find, ift er als Gefetzgeber und darum als Urheber
der Sinnenwelt, auf Grund des fittlichen Gehaltes des
als feine Manifeftation zu betrachtenden menfehlichen
Wefens als unendliche fittliche Perfönlichkeit, fchliefslich