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Ausgabe:

1880 Nr. 1

Spalte:

18-20

Autor/Hrsg.:

Schott, Theodor

Titel/Untertitel:

Allgemeines Kirchenrecht für das evangelische Deutschland. 27. Jahrg. 1878 1880

Rezensent:

Bertheau, Carl

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Theologifche Literaturzeitung. 1880. Nr. 1.

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In der allgemeinen Poimenik (S. 202—245) wird der
Beginn der feelforgerifchen Thätigkeit, ferner das Achthaben
auf die Heerde, dann die paftorale Leitung, hierauf
das paftorale Leben und endlich die paftorale Treue
eingehend gefchildert. In der individuellen Poimenik
(S. 246—289) ftellt der Verf. ihre Aufgabe in Bezug auf
äufsere Zuftände feit und befchreibt dann ihre Thätigkeit
in Bezug auf innere Zuftände. Wenn in der allgemeinen
Poimenik vor allem der Hausbefuch warm
empfohlen wird, fo kann diefer Empfehlung nur zuge-
ftimmt werden. Mag er auch in grofsen ftädtifchen
Gemeinden mit nicht geringen äufseren und inneren
Schwierigkeiten verknüpft fein, fo ift doch diefe altre-
formirte Sitte, die auch in unferen niederrheinifchen Gemeinden
fich noch findet, das belle ,Hülfsmittel', um
,eine genaue Bekanntfchaft mit ihrer (der Gemeinde)
äufseren und inneren Stellung zu Religion und Kirche
zu erlangen'. Sein ,Segen ift nicht leicht zu überfchätzen,
während feine Vernachläffigung unmöglich entfchuldigt
werden kann' (S. 202). Es ift doch fchön und zugleich
gut, wenn der Geiftliche nicht nur die Pflicht, fondern
auch das Recht hat, in jedes Haus, auch in das vor-
nehmfte und angefehenfte, als Hirte feiner Heerde einzutreten
. .Doch hängt auch hier natürlich der Segen
des Werkes ab von feiner zweckmäfsigen Ausführung
und mufs man, um etwas wirklich Gutes zu ftiften, manches
Ueble vermeiden. Dahin gehört unter Anderem
Unregelmäfsigkeit im Hausbefuch, indem man einmal
einige Tage ohne Ruhe und Raft fich damit übereilt und
ein andermal Wochen oder Monate lang darin unthätig
bleibt .... Zu vermeiden ift ferner der mechanifche
Hausbefuch, wobei überall diefelben Fragen in mechan-
ifcher Weife gehellt und die Antworten oft kaum angehört
werden; der flüchtige Hausbefuch, wobei die Gemeindeglieder
nicht einmal Gelegenheit finden, Bedenken
oder Gemüthsbekümmernifs zu äufsern; der zu häufige
Hausbefuch, welcher vielleicht einen fehr cordialen, aber
durchaus keinen paftoralen Charakter trägt und wobei
über alles Andere eher und mehr geredet wird, als über
das Eine, was Noth thut; der theologifche Hausbefuch,
wobei man fich zur Discuffion über „brennende" Fragen
verleiten läfst und den chriftlich praktifchen Zweck der
Zufammenkunft vergifst. Zu vermeiden ift mit einem
Worte Alles, was nicht mittelbar oder unmittelbar
fördert, fondern gewifs üble Folgen vermuthen läfst'
(S. 209).

Soviel über den Hausbefuch! Sehr mafsvoll
fpricht fich der Verf. auf S. 229 über die Kirchenzucht
aus, wenn er fagt: ,Es ift und bleibt höchft wichtig
, dafs die Aelteften der Gemeinde die gebührende Zucht
über fie üben, im Geifte der Wahrheit, Weisheit und
Liebe, ja dafs die Gemeinde felbft die Unordentlichen
in ihrem Schoofse ermahne und auch wo kein Formular
zur Ausfchliefsung befteht, aller Gemeinfchaft mit
Lügen und Sünde gefliffentlich abfage (Eph. 5, 11. 1
Theff. 5, 14). Von diefer echt geiltlichen Zucht ift ohne
Zweifel mehr Heil zu erwarten, als von gefetzlichen Be-
ftimmungen und Anforderungen, die fo leicht wirkungslos
werden und auch aus ihr wird der Hirte feine Kraft
fchöpfen, um fo gleichfam das fprechende und handelnde
Gewiffen der Gemeinde zu fein' (S. 229). Wahrhaft
goldene Worte!

Nicht minder vortrefflich find die Bemerkungen
Oofterzee's über das paftorale Leben, insbefondere
über die Collegialität (S. 234) und über die Betheiligung
des Pfarrers am gefellfchaftlichen, fowie am poli-
tifchen und bürgerlichen Leben (S. 238). ,Schriftworte,
wie Matth. 22, 21; Luc. 12, 13. 14; Joh. 18, 36 fprechen
es klar aus, und die Gefchichte aller Zeiten zeigt es,
was daraus entfteht, wenn die Geiftlichkeit fich zur ge-
horfamen Dienerin einer politifchen Partei erniedrigt'.
Am Schluffe der allgemeinen Poimenik wird die paftorale
Treue als ,die Krone' bezeichnet, die dem wahrhaft

geiftlichen Leben und Wirken bei dem echten Diener
des Evangeliums nicht mangeln dürfe noch werde
(S. 240).

In der individuellen Poimenik finden fich höchft be-
achtenswerthe Fingerzeige für die Behandlung der Armen
und Nothleidenden, Kranken und Trauernden, der
Gefallenen und Verurtheilten, aber nicht weniger auch
für den paftoralen Verkehr mit Freigeiftern, Zweiflern,
Gleichgültigen, Separatiften und Sectirern (§ 64. 65).
Sehr fein bemerkt Oofterzee in Beziehung auf das
Verhältnifs des Paftors zu den entwickelteren und bewährten
Chriften: ,Sich zu denen halten, die Gott fürchten
', heifst (aber) etwas Anderes, als ihr gehorfamer
Diener fein, heifst auch immer den Beruf haben, ihr
Hirte und Führer zu fein und nicht nur mit ihren, fondern
ftets im Lichte von oben mit den eigenen Augen
fehen' (S. 288).

Das fechfte Capitel (S. 290—319) umfafst die Wirk-
famkeit aufserhalb der eigenen Gemeinde: die
chriltliche Halieutik und die chriftliche Apologetik.
,Die chriftliche Halieutik, als die Theorie von der Ausbreitung
des Chriftenthums unter den noch nicht chrifti-
anifirten Völkern, lehrt den Geiftlichen, wie er das Kommen
des Reiches Gottes bis zu den Enden der Erde
nach dem Willen des Herrn mit allen Kräften fördern
kann' (§ 66). Sie ift alfo Theorie des Miffionswefens.
Wie die Halieutik die Ausbreitung, fo hat die Apologetik
die Erhaltung der chriftlichen Religion im Auge,
wo diefelbe äufserlich bereits begründet ift. Als Theorie
von der Selbftbewährung des Chriftenthums.....

lehrt fie den Geiftlichen, wie er das Chriftenthum gegen
feine Feinde vertheidige und feinen Verächtern es wohl
empfehle; fo bereitet fie, inmitten alles Kampfes , den
höheren Frieden vor, ohne welchen die Gemeinde Chrifti
auf Erden nicht beliehen, gefchweige denn gedeihen und
blühen kann' (§ 67).

Es läfst fich fragen, ob der Apologetik überhaupt
eine Stätte in der praktifchen Theologie zukommt und
fie nicht vielmehr der fyftematifchen Theologie zuzu-
weifen, die Halieutik aber mit der Katechetik in nähere
Beziehung zu fetzen ift? Entweder fo, dafs man ihr die
Katechetik coordinirt oder fubordinirt?

Im letzteren Falle würde die Halieutik, wie von
AI. Sch weizer in feiner fcharffinnigen Abhandlung
über Begriff und Eintheilung der praktifchen Theologie
gefchehen ift, nicht nur als Theorie des Miffionswefens,
fondern überhaupt als Theorie der gewinnenden Thätigkeit
des Kirchendienftes zu faffen fein. Ohne auf die
weitere Erörterung diefer viel verhandelten Frage noch
einzugehen, fchliefsen wir mit dem herzlichften Danke
gegen den Verfaffer und die Herausgeber, die des
Meifters lehrreiche Worte meifterhaft in unfere deutfehe
Sprache übertragen haben.

Crefeld. F. R. Fay.

Allgemeines Kirchenblatt für das evangelische Deutschland.

Herausgegeben von Profeffor Dr. Theodor Schott
im Auftrage der evangelifchen Kirchenbehörden von
Preufsen, Sachfen, Bayern, Württemberg, Baden u.
f. f. 27. Jahrg. 1878. Stuttgart, Cotta. (XX, 744 S.
gr. 8.) Am Druckorte M. 8. —

In diefem Kirchenblatte werden nur kirchliche Gefetze
, Verordnungen, Erlaffe, Berichte und Mittheilungen
derjenigen evangelifchen deutfehen Kirchenbehörden
veröffentlicht, welche die ,Eifenacher Conferenz' be-
fchicken, in deren Auftrage das Blatt auch herausgegeben
wird. Aufserdem läfst die Eifenacher Conferenz
auch in ihm ihre Protocolle abdrucken. Das Blatt hat
alfo einen rein officiellen Inhalt; Privatmittheilungen aller
Art, Auffätze, Recenfionen und Inferate, finden keine
Aufnahme. Es erfcheint nach Mafsgabe des vorhan-