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Ausgabe: | 1880 Nr. 15 |
Spalte: | 371-372 |
Autor/Hrsg.: | Müller, Ernst |
Titel/Untertitel: | Religiöse Volksschriften. 1. und 2. Bdchn 1880 |
Rezensent: | Hartung, Bruno |
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Theologifche Literaturzeitung. 1880. No. 15.
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findet. Die Anordnung des Buchs fchliefst bei dem
Gebrauch desfelben zu Hausandachten Abwechfelung und
Auswahl unter dem Gebotenen nicht aus. So ift
im 2. Theil des Buchs eine dreifache Reihe von Morgen
- und Abendgebeten gegeben, von denen die letzte
Gebete enthält, die in recht anfprechender Weife aus
Pfalmworten gewoben find.
Der Gebrauch des Buches wird nur dadurch erfchwert,
dafs die Schriftbetrachtungen des erften Theils durch-
gehends zu lang und zu wenig verftändlich find. Nicht
nur wird in denfelben eine reiche Gedankenfülle in knappender
Form zufammengedrängt, fondern auch Manches
angedeutet und berührt, was ohne nähere Erläuterung
weniger Gebildeten unverftändlich bleiben mufs. So ift
zu befürchten, dafs auch in Pfarrersfamilien mit Hausandachten
, denen diefes Buch zu Grunde gelegt wird,
wohl dem Pfarrer gedient wird, nicht aber feinen Haus-
genoffen. Der Nebenzweck des Buches, ein homiletifches
Repertorium zu fein, beeinträchtigt feine nächfte Be-
ftimmung wenigftens für folche Familien, in denen auch
auf das Bedürfnifs weniger Gebildeter Rückficht zu nehmen
ift.
Taucha. Diaconus Dr. Paul Wetzel.
Müller, Pfr. Ernft, Religiöse Volksschriften. 1. und 2. Bdchn.
[Das Gebet des Herrn. — Das Gleichnifs vom verlorenen
Sohn.] Bern 1880, Dalp. (83 u. 80 S. 12.)
ä M. — 8o; cart. ä M. 1. —
Beide Schriften find Verfuche, das Gebiet des Volks-
fchriftwefens, welches von anderer Seite mit folchem Erfolg
bearbeitet worden ift, einmal vom Standpunkt des
fog. liberalen Proteftantismus in Angriff zu nehmen.
Was find Volksfchriften ? Sind es Schriften, die für das
Verftändnifs des gewöhnlichen Mannes gefchrieben find
und darum alle Bildungskiaffen befriedigen, fo dürften
vorliegende kaum diefen Namen beanfpruchen können.
Die Begeifterung und die fittlich wie religiös gehobene
Stimmung, von der fie getragen find, fetzen in diefer
Form einen höheren Bildungszuftand voraus. Die oft
gefucht poetifche und in Schilderung von Situationen
hier und da an Sentimentalität anftreifende Darftellungs-
weife ift auch nicht dem eigentlichen Volke abgelaufcht.
Der Verf. hat grofse Liebe zu demfelben und das ernftefte
Streben, feinen Bedürfnifsen gerecht zu werden. So mufs,
die Sache völlig sine ira et studio angefehen, doch in feiner
Richtung mit ihrer rationalifirenden Tendenz etwas liegen,
das ihn hindert, den innerften Pulsfchlag des chriftlichen
Volkslebens zu verftehen. Dagegen können beide Schriften
auf gebildetere Kreife, die dem Chriftenthum fern
flehen, wohl erhebend und fördernd wirken, und man wird
fich des Bundesgenoffen im Kampfe gegen den Materialismus
und die Irreligiofität der Zeit gewifs freuen können
. — Das ,Gebet des Herrn,' welches früher fchon
anonym erfchienen war, ift in diefen Blättern fchon be-
fprochen (Jahrg. 1878, Nr. 25). — Das ,Gleichnifs vom
verlorenen Sohn' ift noch weniger eigentlich populär.
Auch wirkt ftörend, dafs das Bild des älteren Sohnes,
als Repräfentanten der ,Unempfänglichen' und der ,Lieb-
lofigkeit' auseinandergeriffen und wefentlich vor feinem
verlorenen Bruder behandelt wird. Hierdurch wird manches
in der fo beziehungsreichen Nebeneinanderftellung beider
verwifcht und der fchlichte, natürliche Gedankengang
des Gleichnifses geht verloren. Dagegen giebt es gerade
in diefer Schrift überaus fchöne Stellen, die ihres Eindrucks
auf Jung und Alt gewifs fein können, fo S. 58:
,Wenn ein Maler Jefu Bildnifs malt, fo hat er feine
Wirkung noch nicht erreicht, wenn wir die acht menfch-
liche Schönheit am Bilde bewundern; noch nicht, wenn
wir den hohen, grofsen Geift, das Feuer göttlicher Begeifterung
, die milde Gluth feiner Liebe in ihm erkennen.
Wenn wir in's reine, fchuldlofe Auge andachtsvoll blicken,
dann mufs unfer Auge fich fenken im Bewufstfein «unterer
Unheiligkeit und Sünde. Es mufs etwas in unferem Herzen
fich regen, das da fpricht: Vater, ich habe gefündiget.
Leipzig. Härtung.
Akten des zweiten internationalen Congresses für Sonntagsfeier
, gehalten in Bern am 9. und 10. September 1879.
Reden und Berichte. Bern 1880, Wyfs. (368 S.
gr. 8.) M. 6b.
Nachdem im September 1877 der erfte Congrefs
für Sonntagsfeier zu Genf abgehalten worden war,
folgte im vergangenen Jahr der zweite, wieder unter
Vorfitz des unermüdlichen A. Lombard aus Genf und
unter Theilnahme von Deputirten der meiften evangeli-
fchen Länder, auch von Vertretern der fchweizer Nationalregierung
, fowie des deutfchen Kaifers und des
Grofsherzogs von Baden. In 6 Sitzungen wurden fchrift-
liche und mündliche Berichte über die einzelnen Länder
vorgelegt, aus denen wir erfehen , wie überall in der
evangelifchen Kirche, aber wefentlich auch nur da, etwa
Frankreich und die von dem Proteftantismus beeinflufs-
ten Gebiete deutfcher Zunge ausgenommen, das Streben
nach Wiedereinfetzung des Sonntags in feine Rechte erwacht
ift. Sodann wurde die Sonntagsfrage nach ihren
einzelnen Seiten in eingehenden Referaten und Debatten
erörtert, fo ,die Sonntagsruhe vom Standpunkt der Ge-
fundheit' von Dr. v. Mandach aus Schaffhaufen; ,der
Sonntag vom focialen und fittlichen Standpunkt aus'
von K. Rohr, Pfarrer am Münfter zu Bern, ,der Sonntag
in feinen Beziehungen zum Militärdienfte' von General
U. Ochfenbein zu Bellevue bei Nidau; .der Sonntag
und feine Beziehungen zum öffentlichen Verkehr, befon-
ders zu den Eifenbahnen' von Ingenieur Charlier aus
Laufanne, ,die Sonntagsarbeit und die grofsen Induftrien'
von Ingenieur Lauterburg aus Bern; ,der befte Arbeiterzahltag
' von demfelben; ,der Sonntag und die Familie'
von Hofprediger Baur aus Berlin; ,der Sonntag und die
Gefellfchaft' von Pfarrer Ehni aus Genf. Aus diefer Aufzählung
, wie aus der Prälenzlifte ift erfichtlich, dafs die
Schweiz überwiegend vertreten war. Um fo dankens-
werther ift es, dafs die Frucht des Congreffes durch die
Veröffentlichung in gröfsere Kreife hinausgetragen wird.
Jedem, der fich über den gegenwärtigen Stand der Sonntagsfrage
unterrichten und einen Beitrag zu ihrer Löfung
haben möchte, kann nichts dringender empfohlen werden
, als das Studium diefer Reden und Berichte, welche
vom tiefften Intereffe für die Sache und von der ein-
gehendften Sachkenntnifs, dabei von gerechter Würdigung
der einfchlagenden Verhältnifse und faft durch-
gehends von praktifchem und nüchternem Sinn Zeug-
nifs ablegen.
Leipzig. Härtung.
Wiese, Dr. L., Renaissance und Wiedergeburt. Ein Vortrag
. Berlin 1880, Wiegandt & Grieben. (57 S. 8.)
M. —. 80.
Wie der Verf. fich wiederholt fchon als Meifler des
,Vortrags' bewährt hat, fo ift auch vorliegender durch
klare Darftellung, fchöne Sprache, reichen Inhalt ausgezeichnet
. Es war ein guter Gedanke, die beiden gleichbedeutenden
Worte, in denen fich doch der Gegenfatz
zweier Welten ausfpricht, fo nebeneinander zu ftellen.
,Einen Unterfchied erkennen wir fogleich. Renaiffance
war die Wiederherftellung und Aneignung geiftiger Güter,
welche andere Zeiten und Völker vordem befeffen hatten,
I dem entgegen verlangt das deutfehe Wort: ihr, ihr
felbft müffet von neuem geboren werden'. Jenen Zeiten
und Völkern des claffifchen Alterthums trat das Chriften-
1 thum mit der Forderung der Wiedergeburt entgegen, in
I welcher fie das natürlich Gegebene als einen Stoff an-