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Ausgabe:

1880 Nr. 15

Spalte:

355-358

Autor/Hrsg.:

Wolfsgruber, Cölestin

Titel/Untertitel:

Giovanni Gersen. Sein Leben und sein Werk De imitatione Christi. Mit Facsimiles mehrerer wichtiger Codices manuscripti 1880

Rezensent:

Möller, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung. 1880. Nr. 15.

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zur Mitte des 3. Jahrhunderts in der Chronik des Eufe-
bius nach einem Schema kunftvoll abgerundeter Zahlen
entworfen fei. Diefe Nachweife erfcheinen dem Ref.
wenigftens zur Zeit noch fehr problematifch. Seine
Refultate betreffs der wahren Amtszeiten der antiocheni-
schen Bifchöfe treffen übrigens mit denen des Ref.
wefentlich zufammen. Was die römifche Bifchofslifte
betrifft, fo ftimmen Lipfius und der Ref. in der Bevorzugung
des in der Kirchengefchichte des Eufebius enthaltenen
Verzeichnifses zufammen, während Erbes fich
zunächft an die Chronik hält, zugleich aber faft an jedem
Punkte fehr kühne Combinationen, fehr unwahrfchein-
liche Hypothefen und felbftconftruirte Mittelglieder zu
Hülfe ruft. Durch die Erbes'fchen Unterfuchungen fcheint
überhaupt die ganze fchwierige Frage mehr verwirrt
als gelichtet worden zu fein. Wenigftens vermag Ref.
nicht anders zu urtheilen, und auch Lipfius' neue Unterfuchungen
bezeugen dies. Die Arbeiten feiner Vorgänger
, die Erbes als Vorlagen dienen, hat er zu kritifchen
Uebungen von fehr zweifelhaftem Werthe benutzt. Auf
einem Gebiete, auf dem zu ficheren Refultaten zu gelangen
faft ausfichtslos ift, mufs man fich herkömmlich
alle möglichen Hypothefen gefallen laffen; aber zu
wünfchen ift, dafs diefelben mit etwas weniger Zuverficht
vorgetragen werden und dafs der Kritiker nicht
die Miene annimmt, als begönne die Unterfuchung mit
feinen Bemühungen erft und fchliefse zugleich mit ihnen. —
Für das wichtiglte Refultat, welches auch durch Lipfius
aufs neue wieder beitätigt worden ift, hat zu gelten, dafs
der ältefte römifche Bifchofskatalog unter Victor c. 190
abgefafst ift, dafs diefer Katalog noch mit der wün-
fchenswertheften Genauigkeit wieder hergeftellt werden
kann, und dafs alle älteren Kataloge auf diefen zurückgehen
. Sicher ift auch die Abhängigkeit der antioche-
nifchen Lifte bei Eufebius in ihrem älteren Theile von
der römifchen; ficher endlich (f. Lipfius, a. a. O. 1880
S. 306 f.), ,dafs Eufebius für den letzten Theil der Papft-
lifte nicht etwa verfchiedene, nach Synchronismen künft-
lich arrangirte Quellen willkürlich ausglich und com-
binirte, fondern dafs er von Calliftus an aufser einer
einfachen Lifte von Namen und Amtszeiten nur einige
fefte Daten vorgefunden hat, welche ihn nöthigten, den
ihm zu Gebote flehenden, übrigens vielfach verderbten
Zifferkatalog gerade fo und nicht anders im spatium
historicum zu disponiren'.

Giefsen. A. Harnack.

Wolfsgruber, Dr. Cöleftin, Giovanni Gersen. Sein Leben
und fein Werk De imitatione Chrilti. Mit Facfi-
miles mehrerer wichtiger Codices manuscripti. Augsburg
1880, Huttier. (VIII, 268 S. m. 7 Taf. gr. 8.)
M. 6. —

Der Verfaffer diefes von der Verlagshandlung fchön
ausgeftatteten Buchs hat bereits in feiner Ausgabe und
Unterfuchung des niederländifchtn Textes , Van der na-
volginge cristi ses boeke, Wien 1879' ucn als überzeugten
und eifrigen Gerfeniften und entfchiedenen Gegner des
Thomas a Kernpis gezeigt (f. Theol. Lit.-Ztg. 1879
Nr. 13), zugleich hat er nicht Anftand genommen, den
lateinifchen Text wieder unter dem Namen des angeblichen
Abtes Joh. Gerfen von Vercelli herauszugeben
nach der Mauriner-Ausgabe von 1674 und unter Wiederabdruck
der diefer beigegebenen Abhandlung von
Delfau : Joannis Gersen de imitatione Christi libri quatuor.
Ad ed. opt. Maurin. una cum dissert. Delfavii denuo ed.
P. Coel. Wolfsgruber, praep. monast. Bened. ad Scotos
Vindobonae 1879. Nun fetzt er durch obiges Werk feinen
Bemühungen die Krone auf. Mit beneidenswerther Zu-
verficht ftimmt der Verf. bereits den Siegesgefang an
für die Autorfchaft des aus dem Nichts gefchaffenen '
Benedictinerabtes von St. Stephan in Vercelli (S. 145 f.). |

Wie hübfch macht es fich, dafs der Veif. den erften
Theil feines Buchs dem ,Leben des Johann Gerfen' widmen
und fogar zum Schlufs hinweifen kann auf das
Denkmal, welches ihm als dem Verfaffer des Buchs de
imitatione fein dankbares Vaterland in der Pfarrkirche
zu Cavaglia 1874 errichtet hat, und das andre, das ihm
auf Betrieb des Cardinal Lucido Maria Parocchi, Erz-
bifchof von Bologna, demnächft in Vercelli errichtet
werden foll! Freilich fällt das Lebensbild trotz der
Berufung auf alle möglichen Autoritäten mager genug
aus (S. 3—16). Mit naiver Gläubigkeit und Parteilichkeit
reproducirt der Verf. nun alle die Prachtftücke aus
der Rüftkammer der Gerfeniften, vom Cod. Aronensis
bis zum angeblichen Cavensis, der den leibhaftigen Bene-
dictiner Gerfen in der Anfangsinitiale im Bilde zeigt,
und wieder bis zu Gregory's famofem Cod. de Advoca-
tis und noch famoferem Diarium von 1349. Er macht
es fich aufserordentlich leicht mit der Widerlegung alles
deffen, was reichlich fchon im 17. Jahrhundert, dann
wieder von Eufeb. Amort im vorigen, von Malou u. a.
in unferem Jahrhundert gegen die ganze Hypothefe und
ihre vermeintlichen urkundlichen Stützen beigebracht
worden ift; das meifte ignorirt er völlig. Es verlohnt
fich nicht, auf diefe hundertmal aufgewärmten Gerichte
einzugehen. Zur Charakterifirung des ganz unzuver-
läffigen Verfahrens diene nur, was der Verfaffer über
den fogenannten Cod. Cavensis fagt, deffen Provenienz
aus dem Benedictinerklofter Cava bei Neapel bekanntlich
nur durch den unzuverläffigen Conftantin Cajetan
behauptet wurde; da erfahren wir von Wolfsgruber
(S. 149 f.) zu unferm Staunen, dafs zwifchen den Linien
des Q der Initiale, in welchem ,J. Gerfen in dem Gewände
eines fchwarzen Mönchs' abgebildet ift, fein
eingefchrieben fei: ,Joannes Gersen de Canabaco Abbas
S. Steph. Vercell. Ordinis S. Benedicti. Ciaruit An. 1220'.
Da hätten wir ja alles zufammen, was wir brauchten : den
Beweis, dafs der fchwarze Mönch Joh. Gerfen ift, die
Identität des Joh. Gerfen mit dem J. de Canabaco des
Cod. des Leo Allatius, und den Nachweis feiner Würde
als Benedictiner-Abt von St. Stephan und zum Ueberflufs
noch die Zeit, kurz alles, was zu beweifen man fich fo
viele Mühe gegeben hat! Das hat uns ja nicht einmal Gregory
verrathen, dafs dies alles fchon in der Initiale fteht!
Es hat dem Verf. unmöglich entgehen können, dafs es
fich hier um eine moderne Einzeichnung handeln mufs.
Er behauptet auch nicht das Gegentheil, er fagt nichts
darüber. Aber die Sache macht fich doch fo hübfch,
darum referirt er einfach und falvirt fein bischen kri-
tifches Gewifien, indem er fchüchtern zuletzt bemerkt:
Obige Darfteilung ift aus der jüngften Befchreibung der
Handfchrift in Paul Guillaume, Professor (sie!) oThistoire
a labbaye de Cava: Essay historique sur Pabbaye de Cava.
Cava dei Tireni 1877 /. 195 ff. Natürlich mufs nach
wie vor Bonaventura das Buch von der Nachfolge citi-
ren, die betreffende Stelle S. 161 f. kann als eine unter
vielen andern zum Exempel dienen für die Leichtigkeit,
mit welcher der Verf. es verficht, fich über unbequeme
kritifche Einwendungen hinwegzufetzen. Kritifch wird
er nur, wo es gilt, die Anfprüche Anderer auf das Buch
zurückzuweifen, alfo namentlich die Anfprüche des Thomas
. Da follen alle andern für Thomas fo gewichtig eintretenden
Handfchriftenzeugnifse abzuleiten fein ausMifs-
verftand der Notiz im Antwerpner von 1441, wo Thomas
fich als Schreiber bezeichnet, die fo bedeutende Notiz
im Cod. Kirchheimensis wird, weil nicht von derfelben
Hand wie der Text, einfach bei Seite geworfen, die
Ausfage in Bufch's Chron. Windsh. wird in den betreffenden
Worten wieder für interpolirt erklärt, das
Schwanken des Trithemius zwifchen Thomas und feinem
älteren Bruder Johannes wird gegen Thomas ausgebeutet,
ohne einen Gedanken daran, wie fchwer dies Zeugnifs
auf jeden Fall dafür in die Wagfchale fällt, dafs das Buch
bei den Kanonikern auf dem Agnetenberg feine Heimat