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Ausgabe:

1880 Nr. 15

Spalte:

352-355

Autor/Hrsg.:

Duchesne, L.

Titel/Untertitel:

Étude sur le Liber Pontificalis 1880

Rezensent:

Harnack, Adolf

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Theologifche Literaturzeitung. 1880. Nr. 15.

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und fich fragte, ob es denn wahrfcheinlich fei, dafs fie
gerade zur Kunft fich in fo einzig feltfamer Weife verhalten
hätte, wie dies der traditionellen Auffaffung der
altchriftlichen Kunft gemäfs fein müfste. Doch auch was j
der Verf. ausführt genügt zum fchlagenden Beweife dafür
, dafs die altchriftliche Kunft etwas Anderes ift als der
Bilderatlas zum Lexikon diefer oder jener kirchlichen
Dogmatik. Von den auf diefe Einleitung folgenden Auf-
fätzen, welche nun einzelnen Gegenftänden der chrift-
lichen Archäologie gewidmet, dabei übrigens alle von bedeutendem
allgemeinem kirchenhiftorifchem Intereffe find,
giebt dem Verf. der erfte über die Fresken der Sacra-
mentskapelleninS.CalliftoGelegenheit,gleichan einem
der bekannteften altchriftlichen Bildercyklen feine Grund-
fätze anzuwenden. Nach einer forgfältigen, von fehr zweck -
mäfsigen Illuftrationen begleiteten Befchreibung der Lo-
calität und der Bilder geht der Verf. zur Deutung diefer
über und knüpft gelegentlich eine ganze Reihe von Ausführungen
allgemeineren Charakters über einige der bekannteften
Typen des altchriftlichen Bildercyklus an,
unter welchen befonders die über die Gaftmanlsdarftel-
lungen (S. 50 ff.), den guten Hirten (S. 65 ff.) und die
Jonafcenen (S. 74 ff.) hervorzuheben find. Wenn der
Verf. in den zuletzt genannten Scenen die Darftellung
des ruhenden Jona zu ihrem Mittelpunkte macht und
diefen aus der Geftalt des ruhenden Endymion hervorgehen
läfst, fo gefteht Referent, dafs für ihn die Ausführung
des Verfaffers alles Räthfelhafte der Sache
nicht zu befeitigen vermag. Unter No. III befpricht der
Verf. einen bis jetzt ganz unbeachtet gebliebenen Sarkophag
mit Juno Pronuba in Villa Ludovifi, welchen er
in die zweite Hälfte des 4. Jahrhunderts fetzt und als
ein intereffantes Beifpiel des Synkretismus diefer Zeit hervorhebt
. No. IV befchreibt und datirt die noch wenig
bekannten, vom Verf. aber felbft befuchten Katakomben
von Syrakus und macht auf ihre Wichtigkeit
für die ältefte Gefchichte des Chriftenthums in Sicilien
aufmerkfam. No. V hat es der Verf. wiederum mit
einem fchon vielbefprochenen altchriftlichen Denkmale
zu thun, einem Sarkophag von S. Paolo fuori le
mura, deffen Cyklus biblifcher Scenen fogar ein befonders
beliebter Tummelplatz der willkürlichen dog-
matifchen Deuterei an den altchriftlichen Monumenten
ift. So fehr auch hier der Widerfpruch des Verfaffers
durch Verftändigkeit fich auszeichnet und feine Auffaffung
im Ganzen einleuchtend ift, fo vermag fich doch Ref.
von der Erheblichkeit der Argumente, welche der Verf.
der gewöhnlichen Deutung der erften Gruppe des Cyklus
von der Trinität entgegenfetzt, und von der
Richtigkeit feiner eigenen Deutung zweier Figuren diefer
Gruppe als Engel (S. 148 ff.) nicht zu überzeugen. Auch
veranlafst eine Anmerkung auf S. 166, welche eine Differ-
tation des 17. Jahrhunderts für die Unterfcheidung des
Kephas Gal. 2, 11 ff. vom Apoftel Petrus anführt, zur
Frage, ob dem Verf. die durch Alter weit ehrwürdigere
Begründung, welche diefe Unterfcheidung in der Tradition
findet, wirklich unbekannt ift. No. VI ift eine Abhandlung
über die Marienbilder der altchriftlichen
Kunft. Der Verf. hat darin zunächft fein Gebiet abzugrenzen
und einige nur vermeintliche Marienbilder auszuscheiden
, worauf er auf Grund eines Verzeichnifses von
42 Nummern eine chronologifch geordnete und kritifche
Ueberficht der erhaltenen Marienbilder bis ins 5. Jahrhundert
folgen läfst. S. 203 ff. finden fich einige lehrreiche
Bemerkungen über die altchriftliche Goldgläfer-
induftrie. No. VII ift eine Kritik der Tradition über das
Grab des Petrus, welche mit dem Refultat der gänzlichen
Werthlofigkeit diefer Tradition und des that-
fächlichen Unbekanntfeins des genannten Grabes fchliefst.
Hier ift befonders dankenswerth der Nachweis der heid-
nifchen Herkunft der Grabkammer, welche die Tradition
dem Petrus als zeitweilige Grabftätte im Coemeterium ad
Catacumbas anweift (S. 248 ff.). Durch zahlreiche gelegentliche
Ausführungen von allgemeinerem Intereffe für
die chriftliche Archäologie überhaupt zeigt fich der Verf.
in allen diefen Abhandlungen als ein trefflich orientirter
Kenner diefes Gebiets. Die letzte Nummer ift ein Ver-
zeichnifs der altchriftlichen Bildwerke desMufeo
Kircheriano in Rom, 120 Nummern umfaffend mit
Befchreibung und in vielen Fällen hinzugefügten kurzen
Erläuterungen. Für feine Deutung vom Pferde auf altchriftlichen
Denkmälern (S. 279) möchte der Ref. den
Verf. auf Basil. Caes. zu Pf. 32 (33), 17 aufmerkfam machen.
Den Schlufs macht ein alphabetifches Sachregifter. S. 102
Z. 4. v. u. 140 ftatt 148., S. 104 ozeoävr] ftatt arepcivr],
S. 146 Anm. 3. zwei mal 505 ftatt 405 und S. 173 Z. 2.
Gen. ftatt Exod. find die wenigen, dem Ref. aufgefallenen
Druckfehler des überhaupt fchön ausgeftatteten Buches.

Bafel. Fr. Overbeck.

Duchesne, Abbe L., £tude sur le Liber pontificalis. Suivie
de I. Recherches sur les manuscrits archeologiques de
Jacques Grimaldi, archiviste de la Basilique du Vati-
can au i6e siecle, par Eüg. Müntz, II. Etüde sur
le mystere de Sainte Agnes, par Cledat. Paris 1877,
Thorin. (IV, 283 S. gr. 8.)

Ohne Schuld der Redaction und des Referenten ift
die Anzeige vorftehender wichtiger Publication in diefer
Zeitfchrift verzögert worden. Seit ihrem Erfcheinen find
nun faft drei Jahre verfloffen, in welchen die Refultate
des Verfaffer's mannigfach erörtert und die Fragen,
welche er beantwortet hat, aufs neue behandelt worden
find. Indeffen find die Unterfuchungen zur Zeit nicht
abgefchloffen, fondern noch in vollem Gange. In Ausficht
flehen zudem zwei neue Ausgaben des Liber Pontificalis
. Die eine, welche einft Dr. Pabft für die Monu-
menta Germaniae übernommen hat, und die jetzt unter
Waitz' Leitung publicirt werden foll, die andere von
Duchesne. Ref. verzichtet deshalb auf eine kritifche
Beurtheilung der Abhandlung Duchesne's an diefer Stelle ;
j er begnügt fich in Anlafs diefer Schrift die Lefer der
Lit.-Zeitung auf die neueren Arbeiten über die älteften
Bifchofsverzeichnifse und den Liber pontificalis hinzuweifen
und diefelben in Kürze zu charakterifiren.

In feiner Chronologie der römifchen Bifchöfe bis zur
Mitte des 4. Jahrhunderts (1869) hatLipfius aufser den
alten Bifchofsverzeichnifsen der 4 erften Jahrhunderte
auch den Liber pontificalis und die MAlichen morgen-
und abendländifchen Bifchofslifterf einer Kritik unterzogen
. Die Unterfuchungen wurden bei ihrem Erfcheinen
mit Recht dankbar begrüfst; und felbft wenn die
Refultate derfelben fich in Hauptpunkten oder in Einzelheiten
der fpäteren Kritik nicht bewähren follten, fo
wird doch jeder Nachfolger an diefes Werk anzuknüpfen
haben; er wird anerkennen müffen, dafs hier zum erften
Male mit grofsem Fleifse eine Aufgabe unternommen
ift, deren Löfung bei dem erften Angriff vielleicht überhaupt
nicht gelingen konnte. Ref. glaubt verpflichtet
zu fein, diefes Urtheil hier auszufprechen, da er felbft
fich die Refultate der Lipfius'fchen Unterfuchungen nur
zum Theil hat aneignen können und da von anderer
Seite jüngft in befremdlicher Weife über diefelben ab-
geurtheilt worden ift.

Die neueren Arbeiten über die alten Bifchofskata-
loge , vornehmlich über die römifchen, haben theils
bei dem Liber pontificalis, theils bei den von Eufebius
überlieferten Liften eingefetzt. Die oben flehende
Unterfuchung Duchesne's gilt jenem, und der Ver-
faffer kommt, in fcharfem Gegenfatz zu Lipfius, zu dem
Refultate, dafs der fog. felicianifche Katalog nicht eine
Vorlage des L. P., fondern vielmehr ein Auszug aus
demfelben ift. Der Verf. fucht nachzuweifen, dafs die
ältefte Redaction des L. P. bereits vor dem J. 530, näher
j zwifchen 514—524, zum Abfchlufs gekommen ift. Der