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Ausgabe:

1880 Nr. 14

Spalte:

327-328

Autor/Hrsg.:

Denifle, Heinrich Seue

Titel/Untertitel:

Tauler’s Bekehrung. Kritisch untersucht 1880

Rezensent:

Möller, Wilhelm

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung. 1880. Nr. 14.

328

Denifle. Heinr. Seufe, Tauler's Bekehrung. Kritifch Unterpacht
. Strafsburg 1879, Trübner. (VIII, 147 S. gr. 8.)
M. 3. 50-

Als der Verfaffer obiger Schrift in den hiftor.-polit.
Blättern 1875 gegen die verbreitete Annahme, dafs der
Gottesfreund im Oberland, Ruolman Merfwins Gefeile,
Nicolaus von Bafel fei, welche allerdings bereits von
Preger beanftandet worden war, mit durchfchlagenden
Gründen vorging, theilte er noch die allgemeine Vor-
ausfetzung, dafs die Erzählung des Meifterbuchs, welches
C. Schmidt noch 1875 unter dem Titel ,Nicolaus v. Bafel
Bericht von der Bekehrung Tauler's' herausgab, wirklich
fich auf einen Vorgang im Leben Tauler's beziehe.
Nachdem er dann auf einem andern Punkte die herkömmlichen
Anfchauungen über Tauler in überrafchen-
der, aber, wie mir fcheint, ebenfalls fiegreicher Weife
durchbrochen, indem er das Buch von geiftlicher Ar-
muth (Nachfolgung des armen Lebens Chrifli) entfehie-
den Tauler abfprach (f. Theol. Lit.-Ztg. 1878 Nr. 22),
geht er nun in jener erften Richtung noch einen ent-
fcheidenden Schritt weiter, indem er in der obengenannten
Unterfuchung nachzuweifen fucht, 1) dafs die
Erzählung des Meifterbuchs von der Bekehrung eines
Meifters der heiligen Schrift und grofsen Predigers durch
den Gottesfreund gar nicht auf Tauler paffe, ja 2) die ganze
Erzählung als Dichtung angefehen werden müffe. In
erfter Beziehung macht er geltend, dafs Tauler gar
nicht ,Meifter der h. Schrift' war {viagister sacrae theo-
logiae), wie der grofse Prediger conftant und nachdrücklich
im Meifterbuch genannt wird; die Zeit zweijähriger
Zurückgezogenheit in Folge der Einwirkung des Gottesfreunds
läfst fich im Leben Tauler's nicht chronologifch
unterbringen; der Schlufs des Meifterbuchs ftimmt nicht
zu den Umftänden von Tauler's Tod; Tauler ftarb nicht,
wie der Meifter der Erzählung, im Klofter, fondern
aufserhalb. Eine Vergleichung des Inhalts wie der Form
der Predigten , welche im Meifterbuch dem Meifter zu-
gefchrieben werden, mit denen Tauler's ergiebt dem
Verf. einen ftarken Contraft zwifchen der hohen Originalität
, chriftlichen Weisheit, dem harmonifchen Wefen
Tauler's und der Unfelbftändigkeit, Ungefchicklichkeit,
Unklugheit des Meifters und feinem unharmonifchen
Wefen, einen Contraft, welcher beftätigt und verftärkt wird
durch den Gegenfatz des Stils und der rednerifchen Begabung
auf beiden Seiten. Die innern Gründe erhalten
nun dadurch eine wichtige äufsere Stütze, dafs der
Verfaffer, der in einem viel gröfsern Umfang als bisher
gefchehen die Handfchriften des Meifterbuchs
verglichen hat, nachweift, dafs von allen (12) von ihm
verglichenen Handfchriften nur die jüngfte und fchlech-
tefte (Ups. 559), über 100 Jahr nach Tauler's Tode (i486)
und 12 Jahre vor dem erften Drucke gefchriebene, Tauler
nennt, und zwar auch diefe nicht etwa in der Ueber-
fchrift, wie der erfte Druck (Hiftorie des ehrw. Doctors
J. T.), fondern lediglich als Combination, Vermuthung
in dem der Hiftorie von derfelben Hand angefügten
Nachwort {,und ist mildigklichen zu gleübenn, das dtszer
ist gewessen der begnad und irleuclit lerer Bruder Johannes
Tauler1 etc.). Die Sache beruht alfo nicht auf
Ueberlieferung, fondern auf einem Schlufs, deffen Vor-
ausfetzungen in ihrer allmählichen Bildung der Verf. an
den Handfchriften nachweift.

Was das Zweite betrifft, dafs das Buch fich überhaupt
nicht auf einen gefchichtlichen Vorgang beziehe,
fondern als Tendenzdichtung anzufehen fei, fo weift der
Verfaffer auf eine Reihe innerer Unwahrfcheinlichkeiten
in der Erzählung hin, fowie darauf, dafs Inhalt und
Stil der Predigten, welche in der Erzählung dem Meifter
zugefchrieben werden, fich decken mit Inhalt und Stil
der Schriften des Gottesfreundes und R. Merfwin's.
Einer von diefen oder aus diefem Kreife hat das Buch
erdacht mit der Tendenz, im Gegenfatz gegen die pha-

rifäifchen Lehrer der Zeit das ungelehrte aber begnadete
Laienthum zu erheben.

Könnte gegen .die fämmtlichen Unterfuchungen des
Verf.'s., die oben berührt find, das eine vorfichtig oder
mifstrauifch machen, dafs man durch alle hindurch wie
einen rothen Faden, fagen wir den Wunfeh wahrnimmt,
Tauler von bedenklicher Genoffenfchaft zu befreien und
kirchlich correcter erfcheinen zu laffen, fo ändert das
doch nichts an der wiffenfehaftlichen Kraft und Bedeutung
feiner Argumente, und ftehe ich nicht an, auch in
der vorliegenden Arbeit die Beweisführung in allen we-
fentlichen Punkten für fchlagend zu erklären, wenn es
mir auch fcheint, als werde der Verf. durch feine Bekämpfung
der herkömmlichen Anflehten zu einer über-

J triebenen Herabfetzung der Bedeutung wie des Charakters
des Gottesfreunds und der Seinen verleitet. — Der

I Verf. hat feitdem feine Anficht vertheidigt und weiter
begründet. Erfleres in den hiftor.-polit. Blättern (84, 11
S. 797—815) gegen A. Jundt, der in feiner Schrift: Les
amis de Dieu au I4me siede, Paris 1879, noch von den
herkömmlichen Vorausfetzungen ausgegangen war, fich
aber genöthigt gefehen hatte, in einem Epilogue feine
Pofitionen gegen die inzwifchen erfchienene Schrift De-
nifle's zu vertheidigen. Ref. kennt das Buch Jundt's
nicht, deffen Kritik gegen Denifle Meyer von Knonau
(Gott. Gel. Anz. 1880, Nr. 1) ,durchaus zutreffend' findet,
mufs aber vorläufig nach dem Eindruck von Denifle's
Entgegnung daran zweifeln, ob es ihm wirklich gelungen
fei, deffen Gründe zu entkräften. Wenigftens was Jundt
in dem foeben erfchienenen Artikel Johann von Chur,
genannt von Rütberg', (unter welchem Namen hier auf
Grund einer doch noch recht unficheren Combination
der grofse Gottesfreund eingeführt wird, Herzog u. PI.
Real-Encyklop. Hft. 61 S. 21 ff.) geltend macht, fcheint
mir die Gründe Denifle's nicht zu fchlagen. Das gilt
auch für das Folgende. Hatte nämlich D. in der obigen
Schrift (S. 39 ff.) bereits gezeigt, dafs der Verfaffer des
Meifterbuchs in einer der dem Meifter zugefchriebenen

| Predigten ein anderes Denkmal (, Von den drin fragen'
f. S. 137 ff.) auf ziemlich ungefchickte Weife benutzt
habe, und hatte er in der Entgegnung gegen Jundt
weiter darauf hingewiefen, dafs die erfte, die fogen. Stückpredigt
des Meifters (bei Schmidt S. 3—7) Plagiat fei.
nämlich eine fchwülftige Erweiterung des 7. Tractats
bei Pfeifer, M. Eckhart (Deutfche Myft. II, 475—78),
fo führt er letzteres zur Erhärtung feiner Anficht, dafs
das Meifterbuch eine Dichtung fei, genauer und überzeugend
aus in dem Auffatz: , Die Dichtungen des Gottesfreunds
im Oberland. L Das Meifterbuch' in Zeitfchr.

I f. deutfehes Alterth. u. deutfche Lit. v. Steinmeyer N. F.
12. Bd. 2. Heft.

Kiel. W. Möller.

Reuss, Rodolphe, Notes pour servir ä l'histoire de l'eglise
frangaise de Strasbourg 1538—1794. Strasbourg 1880,
Treuttel & Würtz. (147 S. gr. 8.) M. 2. 80.

Eine gute, klare und auf genauen Studien beruhende
Skizze der Kirche der franzöfifch redenden Proteftanten in
Strafsburg giebt diefes Buch. Der Verfaffer, durch andere
Studien in Anfpruch genommen, hatte nicht im Sinne,
ausführlich diefen Gegenftand zu bearbeiten, er wollte
nur eine kurze Ueberficht geben, die aber doch ihren
Werth hat, weil die beiden Werke von Röhrich u. Mäder,
welche allein fich mit diefem Gebiete der proteftanti-

i fchen Kirchengefchichte befchäftigt haben, ziemlich anti-
quirt find, jedenfalls in dem vielen Neuen, was Reufs
beizubringen vermag, eine nothwendige hlrgänzung und

1 Bereicherung finden. Reiches z. Th. bisher unbenutztes
und unbekanntes Quellenmaterial ftand dem Verfaffer
zu Gebot, von handlchriftlichem die Protocolle des Raths

j der XXI, die Kirchen- und Schulvifitationen der 7 Pfarr-

I kirchen Strafsburgs, Verzeichnifs der Präfidenten, Geift-