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Ausgabe:

1880 Nr. 12

Spalte:

289

Autor/Hrsg.:

Bassermann, Heinrich

Titel/Untertitel:

Zeitschrift für praktische Theologie. 2. Jahrg. 1880. 4 Hefte 1880

Rezensent:

Krauss, Alfred

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289

Theologifche Literaturzeitung. 1880. Nr. 12.

290

wir es nur mit einer biblifch-theologifchcn Rechtfertigung
altlutherifcher Kirchenlehre zu thun. Ein eigener
Excurs (S. 176—183) vertritt mit Nachdruck den Satz,
dafs der Papft der Antichrift fei. Denn die Zahl 666
kann nur ActTsivos heifsen. Gegen den Vorwurf des
Spiritualismus, der von Seiten des chiliaftifchen Realismus
wider diefe ganze efchatologifche Anficht könnte erhoben
werden, wehrt fich der Verf. S. 223—226 ebenfalls
in einem befondern Excurs.

Zur Zeit, als Exegefe und Dogmatik noch unge-
fchieden waren, und loci communes und Commentare zu
biblifchen Büchern fich noch zum Verwechfeln ähnlich
fahen (was neben und nach, aber nicht bei Calvin und
Melanchthon der Fall war) hatte eine folche Behandlung
noch Sinn. Heutzutage kann darin nicht viel mehr als
eine Büchermacherei gefunden werden. Das, was in
diefem Bande des Philippi'fchen Werkes wirklich der
Glaubenslehre angehört, liefse fich auf wenige Seiten
zufammendrängen. Welcher Art aber die dogmatifchen
Begriffe find, die hier zu Tage treten, mag man daraus
erfehen, dafs S. 9 von ,Gott und feiner Ewigkeit vor
der Weltfchöpfung' und dann fofort im felben Satze von
der Ewigkeit ,als dem Gegenfatz und der Aufhebung
der Zeit' gefprochen wird, dafs nach S. 14 die Aufer-
ftandenen zwar den Alters- und Gefchlechtsunterfchied
behalten, aber weder -gefchlechtliche Fortpflanzung noch
felbft irdifche Eamilienzufammengehörigkeit fich unter
ihnen erhält, dafs S. 20 zwar ernftlich die prophetifchen
Bilder nur als Bilder genommen werden, aber eben fo
die verklärte Leiblichkeit der zum Leben auferftandenen
Menfchheit wie des ganzen Univerfums feftfteht. Mit
moderner Wiffenfchaft fleht fich der Verfaffer nicht ge-
nöthigt fich auseinanderzufetzen. Es foll ihm Gegenrecht
gehalten werden.

Strafsburg i/E. Alfred Kr aufs.

Zeitschrift für die praktische Theologie. Herausgegeben

von Prof. Lic. Baffermann und Confift.-R. Pfr. Dr.
Ehlers. 2. Jahrg. 1880. 4 Hefte. Frankfurt a/M.,
Diefterweg. (1. Hft. 96 S. gr. 8.) M. 6. —

Das im vorigen Jahrgang (Nr. 13) angezeigte Unternehmen
fchreitet rüftig vorwärts und bringt intereffante
Artikel. Ich hebe die Rede bei einer Profelytentaufe
von ETilers und den Beitrag zur praktifchen Erklärung
des erflen Theffalonicherbriefes von Holtzmann hervor.
Auch der Vortrag von Baffermann über Arbeiten und
Ziele der heutigen praktifchen Theologie verdient Anerkennung
. DieZcitfchriftift es werth, beachtet und unter-
ftützt zu werden, wenn fie auch, wie z. B. in Wittichen's
Auffatz über den evangelifchen Religionsunterricht an
den höhern Schulen, zu fehr lebhaftem Widerfpruch
herauszufordern geeignet fein möchte.

Strafsburg i/E. Alfred Kraufs.

1. Wiener, Wilh., Die Frauen, ihre Geschichte, ihr Beruf und
ihre Bildung. Mainz 1880, Prickarts. (VIII, 226 S. 8.)
M. 3. -

2. Strack, Dekan Pfr. Lic. Karl, Geschichte der weiblichen
Bildung in Deutschland. Gütersloh 1879, Bertelsmann.
(IV, 163 S. gr. 8.) M. 2. 40.

Es läfst fleh nicht leugnen, dafs die ,Frauenfrage' in
unferer Zeit in den Vordergrund getreten ift und eine
Löfung fordert. Diefe erblicken die einen in einer voll-
ftändigen Emancipation des weiblichen Gefchlechts, für
die vor allen John Stuart Mill feine Stimme erhoben hat,
während andere davon nichts wiffen wollen, wohl aber
Hebung der Bildung und focialen Stellung der Frauen
befürworten. Letztere gehen von der gefunden Anfchau-
ung aus, dafs das Weib feiner ganzen Natur nach für
das Haus beftimmt ift, dafs als Gattin und Mutter jede

FVau fich am glücklichften fühlen wird, angefichts der
Thatfache aber, dafs fehr viele Mädchen nicht zu diefem
Glücke gelangen können, für Erfatz desfelben irgendwie
geforgt werden müffe. Alfo keine Emancipation der
Frauen, aber Hebung der weiblichen Bildung und Erziehung
im allgemeinen, verbunden mit Vorbereitung auf
eine gewiffe Anzahl dem weiblichen Charakter homogener
Berufsarten! In diefem Sinne hat fleh fchon im Jahre
1873 der bewährte Director der hiefigen höheren Töchter-
fchule, Dr. Wilhelm Buchner, in feiner vom Berliner
Lette-Verein gekrönten Preisfchrift: ,Töchterfchule od*er
Fachfchule?' ausgefprochen. Nicht in allem mit ihm
übereinftimmend, aber doch wefentlich denfelben Standpunkt
einnehmend, behandeln Wilhelm Wiener und
Karl Strack in den beiden vorliegenden Schriften den
viel umftrittenen Gegenftand. Eine nüchterne, von chrift-
lich-humanem Geifte getragene Auffaffung der hochwichtigen
Angelegenheit begegnet uns bei beidenMännern.

Wenn Wiener das Vorwort von Nr. I mit dem
Satze einleitet: ,„Die Frauen, ihre Gefchichte, ihr Beruf
und ihre Bildung — ein bischen viel für ein nicht
grofses Buch!" wird Mancher denken' — fo gefleht Ref.,
dafs auch er, als ihm das Büchlein zuerft zu Geficht kam,
fo gedacht, nachher aber gefunden hat, dafs der Verf.
non multa, sed midtum darbietet. Mit Winken der Natur-
gefchichte und Philofophie über die Frauenfrage, die
Natur des Weibes und den Katechismus der Frauenpflichten
eröffnet er feine Abhandlung (S. 1—18) und
führt dann dem Lefer das Votum der Gefchichte vor,
indem er zuerft den Gang der Betrachtung im allgemeinen
fkizzirt, hierauf die Frau bei den Griechen, Römern und
alten Deutfchen fchildert, den Umfchwung durch das
Chriflenthum markirt, das Weib aufserhalb des Chriften-
thums ins Auge fafst und den Einwand erledigt, dafs die
PVauen nicht dem Chriflenthum allein ihre richtige Stellung
und ihr befferes Loos verdankten. Mit Recht fagt
W.: ,Die Gefchichte zeigt uns, dafs mit dem Chriflenthum
das Glück des Weibes fleigt und fällt. Kein Einwand
kann diefen Satz entkräften' (S. 78).

,Der Beruf der Frau' wird im dritten Abfchnitt eingehend
erörtert (S. 81—154). Nach chriftlichen Principien,
die der Verf. auf Grund der vorausgegangenen hiftorifchen
Betrachtung zugleich als die wirklich wiffenfehaftlichen
bezeichnet, ift das Weib, der Gottheit und Menfchheit
gegenüber oder an fleh, dem Manne an Werth und Stand
vollkommen gleich, mufs aber feine Stellung dem Manne
gegenüber die der freiwilligen Unterordnung fein (S. 81).
Von diefem klar beflimmten, richtigen Standpunkte aus
verwirft der Verf. die Emancipation der Frauen: ,die
FVeigebung von der Weiblichkeit d. h. von der Be-
ftimmung des Weibes, wie fie aus der Natur hervorgeht'
(S. 84), bekämpft das Stimmrecht derfelben, welches das
englifche Parlament im Jahre 1871 mit 220 gegCn 157
abgelehnt, der redfelige Gladflone neuerdings wieder
verfprochen hat, und preift das Weib als Gattin und
Mutter. ,Leider aber müffen fehr viele Frauen
gegen ihren Willen ehclos bleiben. In Deutfch-
land dürften kaum unter 2'/2 Millionen herauskommen
Bei Naturvölkern und in den unteren Ständen ift das

,,Sitzenbleiben" feiten......Anders verhält es fich

bei den höheren Ständen. Da kann man nicht ohne Aus-
fteuer und Einnahmen für die mancherlei Bedürfnifse des
Lebens in die Ehe treten; da wird man oft nicht erzogen
für das Amt und den Reichthum, welchen der Vater am
Anfang feiner Ehe befafs, fondern fo behandelt und
belehrt, als befäfse jedes Kind fo viel, wie alle zu-
fammen' u. f. w. ,Die jungen Männer aber werden immer
fperriger' (S. 103). Die einen, wie fehr draftifch ausgeführt
wird, weil fie fürchten, mit ihrem Gehalte eine
Familie nicht ernähren zu können, die anderen, weil es
ihnen bequemer ift, unverheirathet zu bleiben. ,Man
denke an die Zeit, als Griechenland Rom dienftbar geworden
war, an die Tage des kaiferlichen Rom, und man