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Ausgabe:

1880 Nr. 12

Spalte:

288-289

Autor/Hrsg.:

Philippi, Friedr. Ad.

Titel/Untertitel:

Kirchliche Glaubenslehre. VI. Die Vollendung der Gottesgemeinschaft 1880

Rezensent:

Krauss, Alfred

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Theologifche Literaturzeitung. 1880. Nr. 12.

288

Ich habe ferner für die Melodien der Gruppe 2, a auf
Bourgeois als Verfaffer gefchloffen, wegen der Strafe,
die ihn traf, weil er durch Singen der neuen Melodien
ohne Vorbereitung den Gottesdienft ftörte (Kirchengef.
S. 67. 68).

Herr Douen aber dehnt die Autorfchaft von Bourgeois
viel weiter aus, zum Theil mit Recht, nach einem
Befchlufs des Raths von Genf den 28. Juli 1552, den ich
nicht kannte (I, 612). Da wird von Laufanne her gemeldet
, dafs fie dort nicht einverftanden feien mit den
Pfalmmelodien, die Bourgeois geändert habe, und auch
mit denen nicht, die er zu Beza's Pfalmen gefetzt
habe. Sie möchten daher die Pfalmen Marot's in ihrem
frühern Gefang und die von Beza mit den Melodien des
Laufanner Cantors (Franc) drucken laffen — was geftattet
wurde.

Daraus geht unzweifelhaft hervor, dafs auch die
Genfer Melodien der erften 34 Pfalmen Beza's (Gruppe
2, b), die fpäter allein auf dem Plan blieben, von Bourgeois
flammen.

Hingegen kann ich den Grund der Zuverficht nicht
einfehen, mit welcher Douen (p. 614) auch die erften Melodien
zu Marot's Pfalmen Bourgeois beilegt. Franc
redet im Vorwort zu feinem Pfalter 1565 von denjenigen,
welche an den Pfalmmelodien längft mit Treue und Ge-
fchick gearbeitet haben, und deutet mit keiner Silbe an,
dafs er felber einen Theil an jener Arbeit habe (I, 611).
Er könnte aus Befcheidenheit davon fchweigen. Aber
wenn wir auch mit Douen daraus folgern, er gehöre nicht
dazu, fo fehlt es doch durchaus an einer pofitiven Aus-
fage, dafs fchon 1542 und 43 L. Bourgeois allein die
Melodien arrangirt habe; ja Franc redet jedenfalls von
mehreren, die daran gearbeitet haben, fo dafs wir nicht
mit Douen fagen könnten: il ne saurait y avoir l'ombre
dun doute, dafs Bourgeois der Urheber fei.

Für die letzten erft 1562 erfchienenen Melodien
könnte der Zeit nach Goudimel in Betracht kommen.
Sie find aber der Mehrzahl nach fchwache Producte, darin
hat Douen Recht; nicht alle, denn 84 und 141 find
darunter. Nun theilt der Verf. (I, 678) aus den Genfer
Rechnungsbüchern von 1561 verfchiedene Poften mit,
wo die Rede von Bezahlungen ift an Maistre Pierre le
chantre, pour avoir mis /es psaulmes en musique. Mufs das
von allen Pfalmen gelten, die noch zu componiren waren?
nicht nothwendig, wenn es auch am nächften liegt.
Später (II, 633) fügt er bei, dafs jener Meifter Peter wahr-
fcheinlich der Cantor Pierre Dubuifson war, der am 6.
Dec. 1565 gratis das Bürgerrecht erhielt. Ganz ficher ift
es nicht, weil das gleiche einem andern Cantor, Peter
Dagues, den 30. Juni 1568 zu Theil wurde.

Wir find aber immer noch nicht völlig überführt,
dafs für keine einzige der Melodien an Goudimel zu denken
fei. Diefer grofse Meifter hat, nachdem er zur Reformation
übergetreten, die Pfalmen vierfach bearbeitet:

1) 1562 a quatre parties en forme de motets, 16 Pfalmen;

2) 150 Pfalmen, 1564, zweite Auflage 1580; da liegt die
Melodie bereits mit Ausnahme von 15 Pfalmen im Sopran
; 3) die bekannte vierftimmige Ausgabe von 1565, die
auch nach Deutfchland überging; 4) noch einmal 1565,
fehr freie Compofitionen zu 3—8 Stimmen (Douen II,
27 ff. 528 ff.).

Nun fcheint Douen die erfte Ausgabe, jene 16 Pfalmen
von 1562, nicht zu kennen, und doch käme darauf
etwas an. Wenn das z. B. lauter Pfalmen der
dritten Gruppe wären, fo lüge doch die Vermuthung fehr
nahe, er felber habe wenigftens diefe 16 Melodien für den
kirchlichen Gebrauch geliefert, danebenaber feinem Kunft-
trieb durch Harmonifirung genügt. Auch wenn fchwache
Weifen darunter wären, würde uns das nicht irre machen.
DieHarmoniften waren im Componiren von Melodien nicht
geübt. Wären es dagegen Melodien aus den Gruppen 1
oder 2, fo fiele die Autorfchaft Goudimel's dahin. Es foll
auch nicht verfchwiegen werden, dafs in den Registres

von Genf keine Spur, die auf Goudimel führte, nachge-
wiefen ift. Aber ohne die Vergleichung der 16 Pfalmen
von 1562 kann das Urtheil nicht abgefchloffen werden.

Der Verfaffer erörtert dann weiter noch eine Frage,
die befonders Winterfeld aufgeworfen hat: ob die Pfalmmelodien
nicht Bearbeitungen weltlicher Weifen feien.
Er ftellt in der That eine Menge Parallelen von Liebesliedern
u. a. neben die Pfalmmelodien (I, 718 ff.). Aber
das erftreckt fich doch meiftens nicht über einzelne Motive
, die mufikalifche Phrafeologie in einer Zeile hinaus.
Durchgängig ftimmen nur wenige mit einem weltlichen
Lied überein, am meiften Pf. 138, etwas weniger 25. 48.
65. Wie man irre gehen kann im Ableiten von Melodien
aus Fragmenten anderer Lieder, zeigt das Beifpiel
eines dalmatifchen Pfalms (I, 734), welchen Douen aus
allerlei Anklängen zufammengeftückelt fein läfst, und der
doch gar nichts anders ift als das im Rhythmus etwas
ungenau wiedergegebene Lied: Eine fefte Burg.

Sehr werthvoll find im 2. Band die zahlreichen mehr-
ftimmigen Sätze verfchiedener Mufiker. Geftützt darauf
kann er in fiegreicher Argumentation beweifen, wie wenig
der Vorwurf Grund habe, die Reformation habe die
Kunft gefchädigt. Was die Entwicklung unterbrochen
habe, fei die blutige Verfolgung gewefen.

Intereffant ift fein Verfuch, eine Auswahl von Pfalmen
in zweckmäfsiger Bearbeitung nach Text und Harmonie
zufammenzuftellen. Natürlich verlegt er die Melodie
durchweg in den Sopran. Es liefse fich wohl nach
Text und Tonweifen eine etwas andere Auswahl wünfehen,
in erfterer Hinficht auch eine etwas mindere Kürzung.
Doch darüber müffen die Franzofen urtheilen. Was uns
auffiel, das war in diefem Abfchnitt ein Mangel an der
fonft fo bemerkenswerthen Genauigkeit. Traduit par
Marot, traduit par Beze follte man eigentlich nicht darüber
fchreiben, wo durchgängig und faft ohne Aende-
rung die Ueberfetzung von Conrart gegeben wird. Dafs
wir manchmal zur Setzung des Namens Bourgeois wenigftens
ein Fragezeichen fügen, wird man nach dem Obigen
verftehen; und vollends die Jahreszahlen find hier oft
fehr ungenau.

Aber mit diefen kleinen Ausheilungen wollen wir
nicht fchliefsen, fondern mit dem aufrichtigen Dank für
die viele und mannigfache Belehrung.

Bafel. C. J. Riggenbach.

Philippi, Confift.-R. Prof. Dr. Fr. Ad., Kirchliche Glaubenslehre
. VI. Die Vollendung der Gottesgemein-
fchaft. Gütersloh 1879, Bertelsmann. (240 S. gr. 8.)
M. 4. —.

Mit diefem Bande ift die modernfte Repriftination
altlutherifcher Dogmatik zum Abfchlufs gelangt. Die
zukünftige Vollendung der wiederhergeftellten und zugeeigneten
Gottesgemeinfchaft ruht zwar nicht auf perfön-
lich fubjectiver Erfahrung, läfstfichaber aus dem Urzuftand
und dem Wiederherftellungszuftand erfchliefsen. Zwar
befitzen wir von der Befchaffenheit des Urzuftandes auch
keine perfönliche Kenntnifs; aber die Störung und Wie-
derherftellung laffen uns Schlüffe ziehen. Alfo können
wir uns ziemlich beftimmte Vorftellungen über unfere
dereinftige Vollendung hinfichtlich der Erkenntnifs, des
Willens und des Gefühles bilden.

Dies wird in Form von bibeltheologifchen Unter-
fuchungen von S. 5—148 ausgeführt. Die verfchiedenen
'efchatologifchen Stellen des neuen Teftamentes erhalten
ihre Exegefe, aus der die Uebereinftimmung der lutheri-
fchen Lehre mit der Bibel hervorgeht. Von neueren
Schriftftellern werden faft nur kirchlich gläubige oder
myftifch-pietiftifche berückfichtigt. Den Schlufs bildet
S. 148—240 ,eine fkizzirte Auslegung der Apokalypfe,
welche die Entwickelungsgefchichte der Gottesgemeinde
oder der Kirche Chrifti auf Erden bis zum Ziele ihrer
jenfeitigen Vollendung hin bietet'. Auch hier haben