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Ausgabe:

1880 Nr. 12

Spalte:

284-288

Autor/Hrsg.:

Douen, O.

Titel/Untertitel:

Clement Marot et le Psautier huguenot. 2 tomes 1880

Rezensent:

Riggenbach, Christoph Johannes

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Theologifche Literaturzeitung. 1880. Nr. 12.

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.Zwingli', fo recapitulirt der Verf. am Schlufs fein Ur-
theil, .bürmte auf das Ziel los und war nicht gewiffen-
haft in der Wahl feiner Mittel. Die Berner huldigten
einer realen Politik, welche die Verhältnifse berückfich-
tigt. Hätte Zwingli ihre humanen Grundfätze angenommen
, die Reformation würde andere Fortfehritte gemacht
haben. Bern befolgte eine eidgenöffifche, von
nationaler Gefinnung getragene Friedenspolitik, die das
Vaterland eben fo hoch hielt, als die Religion' (S. 101 f.).

Referent hat es vorgezogen, Pcatt in eine Discuffion
mit dem Verfaffer einzutreten, den wefentlichen Inhalt
feiner Arbeit im Zufammenhang darzulegen, da einer-
feits eine kritifche Auseinanderfetzung mit ihm mehr,
als der hier zugewiefene Raum es geblattet, ins Einzelne
gehen müfste und andererfeits auch die Einfeitigkeit und
Parteilichkeit der Darfteilung, wenigftens wo die Ehrenrettung
Berns in das Verwerfungsurtheil über Zwingli
ausgeht, gewifs keinem mit der betreffenden Literatur
einigermafsen Vertrauten fich verbergen wird. Nur zwei
Einwendungen feien geftattet. Man wird Zwingli's po-
litifches Verhalten niemals in richtiger Weife ethifch be-
urtheilen können, wenn tnan es von feiner fonftigen in
feinen Briefen und Schriften gewifs aufrichtig genug
fich dargebenden Perfönlichkeit ifolirt und nicht auf feine
Anfchauung von der reformatorifchen Aufgabe und
von ■ dem Beruf eines chriftlichen Predigers im Allgemeinen
zurückgeht. Wie es nach Zwingli's eigener
Schilderung in feiner Schrift über den ,Hirten' zu diefem
letztern wefentlich mitgehört, als wahrer ,Volkstribun'
des armen Volkes gegenüber feinen Unterdrückern fich
anzunehmen (Ww. I, 1. 649), fo lag ihm nach Bullinger's
zufammenfaffendem Zeugnifs jene erftere darin , dem
Worte Gottes in der ganzen Eidgenoffenfchaft freie Bahn
zu machen und dem Penfionswefen zu wehren (Bullinger
's Reformationschronik III, 140 f.); von diefem Ge-
fichtspunkt ausgehend wird man dem Verf. in der Be-
urtheilung der angewandten Mittel fowohl nach der fitt-
lichen wie nach der praktifchen Seite hin grofsentheils
Recht geben können, wie dies ja auch von Mörikofer in
feiner Biographie an den entfeheidenden Punkten ge-
fchehen ift, und doch über diefen Schwächen und Fehlgriffen
die Lauterkeit feiner letzten Ziele und den hero-
ifchen Adel feines reformatorifchen Wirkens nicht preiszugeben
brauchen. Bei einem Charakter, wie ihn der
Verf. hier in Zwingli will entdeckt haben, wäre die von
einem Bullinger, Oekolampad und nicht zum Minderten
auch von dem Berner Berthold Haller ihm entgegengebrachte
und fo unerfchütterlich bewahrte Verehrung ein
unbegreifliches Räthfel. Auf der andern Seite ift neben
diefer zu ungünftigen Zeichnung des Bildes von Zwingli
die äufsere Lage der Evangelifchen den verbündeten
katholifchen Mächten gegenüber in einem viel zu gün-
ftigen Lichte dargeftellt. Unter den Motiven zum erben
Kappelerkrieg wird der durch den Befchlufs der Schwy-
zer Landgemeinde vollzogene Feuertod des Pfarrers I
Kaifer nur ungenügend erwähnt und ebenfo wenig die
Wei gerung des eben zum Amte gelangenden Unterwal-
dener Landvogtes gehörig berückbehtigt, dem evangelifchen
Glauben in feinem Gebiete Duldung zu gewähren,
was beides doch unmittelbar in die durch den Vertrag
vom 25. Juni 1528 von Bern übernommene Verpflichtung
zur Aufrechterhaltung der evangelifchen Freiheit in den !
Vogteien hineinfiel, und wenn dann der Verf. die neue
Anerkennung derfelben im erben Kappeler Frieden als
einen Triumph der Berner Friedenspolitik feiert, fo ver-
gifst er, dafs erb durch das entfchloffene Vorgehen
Zwingli's und die Kriegsdrohung der Zürcher die katholifchen
Stände in diefem Punkte zur Nachgiebigkeit gebracht
wurden und dafs die Gefahr, die Zwingli in der
Verbindung derfelben mit Oeberreich fah, durch den erzwungenen
Frieden noch lange nicht abgewehrt war.
Nicht ohne Grund hatte der Thurgauer Pfarrer Werdmüller
den 26. Dec. 1528 an Zürich gefchrieben: Schirmen
uns die von Zürich nicht, fo haben fie uns mit
ihrem Erbieten anf die Fleifchbank gegeben'. Zw. Opp.
VIII. 247. Für die fpätern europäifchen Coalitionsplane
Zwingli's vermiffen wir in diefer zweiten Auflage die
Berückfichtigung der eingehenden Abhandlung von Lenz
über das Verhältnifs Zwingli's zum Landgrafen Philipp
in der Zeitfchrift für Kirchengefchichte 1879; fie zeigt
jedenfalls, dafs die Gefahr, der Zwingli mit ihnen zu
begegnen fuchte, keineswegs eine eingebildete war und
dafs es in hohem Mafsc ungerecht ift, in feiner dabei
angewandten Taktik nur ,Hafs gegen die Waldbätte,
blinde Rachfucht und Leidenfchaft' zu erblicken (S. 58 f.).
Immerhin wird es bei aller Uebertreibung diefer Polemik
ein Verdienb des Verf.'s bleiben, fchärfer und unumwundener
, als bisher gefchehen ib, die wirklichen
Schwächen des Zürcher Reformators und deren verhäng-
nifsvolle Confequenzen für die von ihm begründete
Reformation ans Licht gebellt und damit auch für die
divergirende Politik Berns und befonders ihres bedeu-
tendben Leiters Nikiaus Mannel (vgl. S. 57) ein befferes
Verbändnifs und eine höhere Würdigung begründet zu
haben. In Bezug auf diefes ihr eigentliches Thema ib
die frifch und feffelnd gefchriebene Studie ein dankens-
werther Beitrag zur kirchlichen wie zur politifchen Ge-
fchichte der Schweiz in der Reformationszeit, der es in
hohem Mafse werth war, aus feinem erben local begrenzten
Rahmen einer Beigabe zum Programm der
Berner Kantonsfchule für das Jahr 1878 herauszutreten
und in einer zweiten erweiterten Ausgabe die ihm
gebührende Stellung und Verbreitung in der Literatur
zu erhalten.

Bafel. R. Staehelin.

Douen, 0., Clement Marot et le Psautier huguenot. 2 tomes.
Paris 1878 et 79, Imprimerie nationale. (VT, 746 et
721 pp. gr. 8.)

Diefes bedeutende Werk, dem die Ehre eines Drucks
auf öffentliche Koben zu Theil geworden und deffen Aus-
battung in der That eine prächtige ib, ruht augenfehein-
lich auf den reichben und forgfältigben Quellenbudien.
Seinem Titel gemäfs unterfcheiden wir darin zwei Haupt-
bebandtheile: eine forgfältige Biographie des Dichters
Clement Marot, und eine allfeitige Erörterung der Gc-
fchichte des franzöfifchen Pfalmengefanges.

In erber Beziehung ib anzuerkennen, dafs der Verfaffer
Leben und Charakter Marot's in ein ganz neues
und vortheilhafteres Licht gebellt hat. Mit fichtlicher
Vorliebe behandelt er den Stoff, zeigt aber wirklich überzeugend
, dafs Marot, um 1497 geboren, fchon 1521 die
erben reformatorifchen Eindrücke empfing, 1526 wegen
eines Spottgedichts gegen Ysabeau (die römifche Kirche)
eingekerkert wurde und auch nachher manchen Feind-
feligkeiten ausgefetzt war, da er immer mehr als einer
der Hauptvertreter des Protebantismus angefchen wurde.
Die Verfolgungen wegen der unglücklichen Piacards gegen
die Meffe, 1534, trieben ihn, obwohl er an der Sache
nicht betheiligt war, in die Verbannung nach Ferrara.
Erb nach feiner Rückkehr nahm er 1537 die Ueberfctzung
der Pfalmen wieder auf, womit er 1533 einen kleinen
Anfang gemacht hatte. Trotz der Gunfi von Franz I
gelang es ihm nicht vor Ende 1541 feine erben 30 Pfalmen
zum Druck zu bringen, fo feindlich bellte fich die
Sorbonne gegen diefe Ketzerei. Ja er mufste im Augub
1342 vor ihrem Zorn von neuem die Flucht ergreifen,
fügte 1543 in Genf 19 weitere Pfalmen und den Lobge-
fang Simeon's hinzu, entwich vor Ende des Jahres nach
Savoyen und barb im Augub 1544 zu Turin, vielleicht
an Gift.

Es war ihm in dem Genf Calvin's, wo felbb das
Würfelfpiel verboten war, zu breng gewefen. Douen wird
aber Recht haben, wenn er die Behauptung, Marot habe
wegen eines Ehebruchs aus Genf entfliehen müffen, eben-