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Ausgabe:

1880 Nr. 9

Spalte:

215-216

Autor/Hrsg.:

Seltmann, C. (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Ut omnes unum. Auf dass Alle Eins seien. Correspondenzblatt zur Verständigung und Vereinigung unter den getrennten Christen 1880

Rezensent:

Köhler, Karl

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Theologifche Literaturzeitung. 1880. Nr. 9.

216

correcte Form erftreben. Die Ausführung der Predigten
könnte ebenfalls forgfältiger fein, abgefehen von der oft
gehäuften Anwendung, welche fchwerlich in dem beab-
fichtigten Mafse im Gemüth des Hörers haften wird,
ift uns die Auslegung des Worts nicht klar und fafslich
genug, die einzelnen Punkte find zu lofe miteinander
verbunden, oft nur wie durch Ideenaffociation aneinandergereiht
. Der gute biblifche und evangelifche Inhalt
der Predigten, welchen wir durchaus anerkennen wollen,
würde durch eine forgfältigere Behandlung gerade für
den Zweck der Sammlung wefentlich gewonnen haben,
und der Prediger beweift durch die Diction, durch die
Kürze der Sätze und der Predigten, dafs er die Bedürf-
nifse einer Schiffsgemeinde wohl zu berückfichtigen ver-
fteht. Was den fpeciellen Zweck, für welchen die Sammlung
beftimmt ift, nun insbefondere angeht, fo ift es natürlich
, dafs die eigenthümlichen Momente, welche das
Leben einer Schiffsgemeinde bietet, als Handhaben, ihr
das Wort nahe zu bringen, fo viel als thunlich benutzt
werden. Der Verfaffer hat dies vielfach mit Gefchick
gethan, aber nicht immer die Gefahr vermieden, dafs
die Erwähnung diefer nur fcheinbar fo naheliegenden
Dinge gar zu leicht eintritt, und fich auch da herandrängt
, wo der Seemann gewifs ebenfo gut das Wort
ohne diefe Anwendung auf feine befonderen Verhält-
nifse verftehen würde; zuweilen gewinnt es auch den
Anfchein, als ob das ihm gepredigte Chriftenthum ihn
mit einem gewiffen Eudämonismus ausruhten follte, mit
welchem er fich auf dem fturmbewegten Meere tröffen
könnte. Einzelne Anwendungen diefer Verhältnifse find
geradezu ungefchickt gewählt. Kann es z. B. das Ver-
ftändnifs der Perikope von der wunderbaren Speifung
fördern, wenn dazu das Thema aufgeffellt wird: ,die
Gottfeligkeit der feite Ankergrund, auf dem das tägliche
Brot uns allzeit ficher ift!'? oder wird dem Gleichnifs
vom Pharifäer und Zöllner die Frage gerecht: ,Wie
erlangen wir für unfer Lebensfchiff die Flagge der Gerechtigkeit
?' — Die vorzügliche Ausffattung des Buches
nach Druck und Papier verdient um fo mehr hervorgehoben
zu werden, als diefer Vorzug bei Predigtbüchern
nicht gerade oft erwähnt werden kann.

Halle a,'S. A. Wachtler.

Üt omnes unum. Auf dass Alle Eins seien. Correfpondenz-
blatt zur Verftändigung und Vereinigung unter den
getrennten Chriften. Unter Mitwirkung hervorragender
Männer aus beiden Confeffionen herausg. von C.
Seitmann, kath. Pfarrer. 1. Quartalband. Eberswalde
1879, Ruft. (36 S. 4.) "M. 1. —

Wiedervereinigung der getrennten Confeffionen bedeutet
im kathol. Sprachgebrauch fo viel als Rückführung
der Proteftanten zur Kirche, d. h. zur römifchen. Auch
der Herausgeber des Ut omnes unum meint es im Grunde
nicht anders. Er wendet fich an diejenigen unter den
Proteftanten, ,welche willig und bereit find, die eigene
innere Stimme der Autorität in Bibel, Bekenntnifs und
übereinftimmendem Zeugnifs der Chriftenheit unterzuordnen
', wogegen er in der Gefinnung, .welche den einzelnen
Menfchen in erfter und letzter Inftanz vor das
Forum des eigenen inneren Zeugnifses ftellt', das eigentliche
Merkmal der Härefie erkennt, mit welcher zu verhandeln
nutzlos wäre. Jene werden an den löblichen
Vorgang der alten Lutheraner erinnert, die lieber mit
den Papillen als den Calviniften Gemeinfchaft haben
wollten. Dafs man ihnen nicht fofortige bedingungslofe
Converfion zumuthen könne, fieht der Herausgeber wohl;
es foll vorerft mit principieller Anerkennung der Kirchenautorität
genug fein. Als Ziel wird eine ,Union'
des orthodoxen Lutherthums mit der kathol. Kirche auf-
geftellt, wobei es ,der Weisheit des apoftolifchen Stuhles
anheim gegeben' fein möge, .Conceffionen zu machen',
wie das ja in Bezug auf die Abendmahlsfeier sub

utraque u. A. fchon von dem Tridentinum vorgefehen
fei. Eine unüberfteigliche dogmatifche Scheidewand fei
nicht vorhanden, da in Bezug auf die Rechtfertigung —
wie der Herausg. nach Döllinger's Vorgang verfichert —
die heutigen Proteftanten fämmtlich kathoüfch glauben
und lehren. Anderes wie die Tradition, den Mariendienft
hofft er den getrennten Brüdern einleuchtend machen
zu können. Das punctum saliens findet er — hier mit
richtigem Inftinct — in dem Kirchenbegriff. Da mufs
zuvörderft dem Proteftantismus das laudabiliter se sitbje-
cit abgewonnen werden. ,Die Proteftanten müffen es ertragen
lernen' — heifst es in einem der Augsb. Poftztg.
entnommenen Artikel — ,dafs ihre Reformation dem
Wefen nach eine wahre Revolution war', wogegen von
den Katholiken nur das Zugeftändnifs gefordert wird,
,dafs die Kirche, namentlich in Deutfchland, an Mifs-
bräuchen krankte'. Der geeignete Anknüpfungspunkt
für katholifche Wiedervereinigungsverfuche ift ganz ge-
fchickt herausgefunden, wenn den ,gläubigen'Proteftanten
zu Gemüthe geführt wird: .Rathlos ftehn überall die Proteftanten
und fchauen fich um nach dem von ihnen
vernachläffigten Princip, aus welchem der die Gemeinde
der Heiligen organifirende anftaltliche Charakter der
Kirche ftets ununterbrochen hervorwüchfe'; der anftaltliche
Charakter der Kirche fei es, ,deffen das Volk
Gottes nicht entbehren kann, wenn es dem Anfturm
der Mächte von unten Stand halten foll'. Es müffe
darum anerkannt werden, nicht allein, dafs die Kirche
,zuerft Anftalt Gottes fei, fondern auch, dafs das Bisthum
mit feinem Einheitspunkte dem Papftthum die
eigentliche legitime Regierung der Kirche ift'.

Der redactionelle Theil des Blattes ift ohne befon-
dere Bedeutung. Intereffant jedoch ift der im .Sprech-
faal' mitgetheilte Briefwechfel des Herausg. mit feinen
Lefern. Katholifche find fall nicht darunter. ,Ein kathol.
Theologieprofeffor' aus Baiern giebt dem Herausgeber
den Rath, fich vor allen Dingen empfehlender ,bifchöflicher
Kundgebungen' zu verfichern; in deren Ermangelung
herrfcht auf jener Seite im Allgemeinen fchweigende
Zurückhaltung. Nicht fo auf der proteftantifchen Seite.
Anfänglich begrüfsen zahlreiche, namentlich paftorale
Stimmen das fchöne Programm, ,dafs Alle Eins feien',
mit treuherziger Freude, wenn auch nicht ohne einige
Vorbehalte. Ein Landrath a. D., der in dem Chorus
erfcheint, nennt als Bedingungen feiner Zuftimmung, 1)
dafs die Priefter keine Politik treiben, 2) dafs das Cöli-
bat befeitigt werde, damit in den Priefterhäufern die
,Kindelein' nicht fehlen. Weiterhin tritt der principielle
Gegenfatz, der auch die orthodoxen Proteftanten von der
römifchen Kirche trennt, immer kenntlicher hervor.
Bemerkenswerth find indeffen die Auslaffungen eines
Anonymus, er unterzeichnet fich ,N. N. evang. Prediger',
durch das fehnfüchtige Verlangen nach römifcher Kirchenherrlichkeit
, welches daraus fpricht. ,Gar mancher
Pfarrer' — fchreibt er — ,laufcht innerft herzlich auf den
deutlichen Pofaunenton, welcher endlich feit nun bald
einem Decennium vom Vatican her erfchallt. Denn
wenn irgend ein Menfch für die Wirkfamkeit in feinem
Lebensberuf feiten Boden unter den Füfsen haben mufs,
fo ift es gewifs der Geiftliche und Seelforger'. Er bezeugt
, ,dafs es ihm äufserft willkommen wäre, wenn fich
endlich in Rom ein Papft fände, an deffen rechtmäfsiger
Autorität ein Zweifel nicht mehr möglich wäre'. Denn
das N. T. lehre unwiderfprechlich, ,dafs Chriftus eine
Monarchie geftiftet hat, deren Schwerpunkt durchaus in
dem Monarchen felbft liegt. — Darum ift die Infallibili-
tät des Papftes denn allerdings nicht nur zu allen Zeiten
Bekenntnifs der Kirche gewefen, fondern auch gerade
in unferen Tagen endlich derjenige Artikel, welcher
fonderlich laut verkündigt werden mufs'. Dergleichen
fchreibt ein .evangelifcher Prediger' — auch ein Zeichen
der Zeit.

Friedberg. K. Koehler.