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Ausgabe:

1880 Nr. 9

Spalte:

207-209

Autor/Hrsg.:

Weiss, Fr. Alb. Maria

Titel/Untertitel:

Apologie des Christenthums vom Standpunkte der Sittenlehre. 1. u. 2. Bd 1880

Rezensent:

Krauss, Alfred

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Theologifche Literaturzeitung. 1880. Nr. 9.

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und Auferftehungsberichte. Zu v. 66, wahrfcheinlich fei
Kalk oder Koth in die Fugen des Steins und der Höhle
geftrichen worden, wie man die Gruben für Gerfte und
Weizen fchliefse. Zu XXVIII, 5 hat Barhebr. die Bemerkung
, die auch bei Tifchendorf fich findet. — Nach
dem fchon von Schröter (ZDMG. 29, 286) mitgetheilten
Prooemium des BHebr. zum Neuen Teftament hat Matthäus
in Paläftina hebräifch, nicht wie Lucas in chrono-
logifcher, fondern in fachlicher Ordnung gefchrieben und
zwar zuerft Gebote, dann Gebete, dann Worte der Liebe
zufammengeftellt. Zwanzig Wunder, 25 Gleichnifse und
32 Citate aus dem Alten Teftament (cf. dazu Tifchend.
VIII. I, p. 738, II, 247) follen fich in feinem Evangelium
finden.

Für die fyrifche Philologie ift auch diefer Theil des
grofsen Werks, der zwar ohne kritifchen Apparat, aber
mit grofser Sorgfalt bearbeitet erfcheint, geradezu un-
fchätzbar; dafs auch manches theologifch Intereffante
fich darin findet, wird diefe Zufammenftellung gezeigt
haben.

Tübingen. E. Neftle.

Rinck, Paft. Heinr. Wilh., Vom Zustand nach dem Tode.

Biblifche Unterfuchungen, mit Berückfichtigung der
einfchlägigen alten und neuen Literatur. 3. neu durch-
gefehene u. verm. Aufl. Bafel 1878, Riehm. (XX,
410 S. gr. 8.) M. 4. —

Am Schlufs feiner biblifchen Unterfuchungen hat
Rinck S. 393 bis 410 ,drei Briefe eines abgefchiedenen
feiigen Geiftes an feinen zurückgelaffenen Freund' von
J. C. Lavater mitgetheilt, welche zuerft in deffen .Briefen
an die Kaiferin Maria Feodorowna' 1858 veröffentlicht
worden find. Von diefer Beilage abgefehen ift der Inhalt
der zweiten Auflage (1866 382 S.), foviel wir bemerken
, nicht bereichert oder irgendwie verändert worden.
Dafs Nachträge in letzter Zeit unterblieben find, lehrt
fchon ein Blick auf die Literatur, welche in der Schrift
berückfichtigt wird. Wir finden hier nur früher Gebotenes
, vermiffen aber Beziehungen auf neuere Darftellungen
der chriftlichen Dogmatik und auf Monogra-
phieen, welche in jüngfter Zeit Fragen aus dem Bereich
der Rinck'fchen Arbeit behandelt haben, wie Fabri, Zeit,
und Ewigkeit 1865, Splittgerber, Schlaf und Tod 1866,
Schöberlein, Zeit und Ewigkeit 1868 u. A. Noch weniger
haben Plan wie Charakter des hinreichend bekannten
Buches eine Modification erfahren. Eben darum find
wir weiterer Mittheilungen an diefer Stelle überhoben,
dürfen uns aber auch für berechtigt halten, die Durchficht
, welche der Verf. diefer neuen Auflage nach dem
Titel gewidmet hat, im Wefentlichen auf forgfältige
Entfernung etwa vorgekommener Druckfehler zu deuten.

Leipzig. Wold. Schmidt.

Weiss, Fr. Alb. Maria, O. Pr., Apologie des Christenthums
vom Standpunkte der Sittenlehre. 1. u. 2. Bd. Freiburg
i/Br. 1878 u. 79, Herder. (IX, 464 u. XIII, 882 S. 8.)
M. 10. —

Die Abficht des ganzen breit angelegten Werkes geht
dahin, die Humanität als durchaus chriftlich, das Chriften-
thum als durchaus human zu erweifen. Zwifchen Humanität
und Humanismus (Einl. zu Bd. II) befteht der-
felbe Unterfchied wie zwifchen Ideal und Wirklichkeit.
Daher fällt alles Böfe, wie Heidenthum, Götzendienft,
Menfchenopfer, ja die Sünde in ihren feinften und grob- t
ften Erfcheinungen, dem Humanismus zur Laft. Nur das
Chriftenthum, als welches nach ausdrücklicher Erklärung
einzig der Katholicismus gelten darf, ift befähiget, auch
Uebernatürliches zu wirken, während alle andern Religionen
zwar natürliche Sittenlehre predigen können,
diefelbe aber auch immer fehr bald entftellen. Zufolge

Bd. II, S. 122 ift der culturgefchichtliche Gang: Monotheismus
, Kathenotheismus [das Wort ift von M. Müller
entlehnt], Polytheismus, Dualismus, Pantheismus. Es
wird vom Verfaffer fehr viel hiftorifches Wiffen, mitunter
auch in recht prätentiöfer Form aufgeboten, als
ob er mit den fonft fo viel gefchmähten proteftantifchen
Profefforen wenigftens hierin wetteifern wollte. Doch
flnkt er fofort wieder auf das dem Predigermönch hei-
mifchere Gebiet der Hiftorien und Anekdoten zurück,
die weitaus den gröfsten Raum des Buches einnehmen
und vorzüglich dazu beftimmt find, die Rolle des Be-
weifes zu vertreten. Jede Uebereinftimmung zwifchen
heidnifcher und chriftlicher Ethik wird als Beweis für
den wefentlich humanen Charakter, jede Unfitte des
Heidenthums als Beleg für den göttlichen und übernatürlichen
Urfprung des Chriftenthums verwerthet. Es
kommen viele fehr richtige und viele fehr fchöne Bemerkungen
vor; aber von Anfang bis zu Ende ift das
Buch ein künftlich gemachtes Arrangement der Ge-
fchichte der Ethik und der Cultur, durchaus ruhend auf
den aus Bellarmin bekannten katholifchen Anflehten de
gratia printi hominis, et de amissione gratiae et statu peccati.

Vielfach erhebt fich der Redner (denn als Vorträge
geben fich die einzelnen Abhandlungen) zu prächtiger
rhetorifcher Sprache. Nur berührt es den Lefer unangenehm
, dafs der Verfaffer zugleich Redner und wiffen-
fchaftlicher Apologet zu fein beanfprucht. Man kann
nicht anders, fofern man chriftlich fühlt, als im Tiefften
ergriffen fein,, wenn der Redner fein offenbar unge-
heucheltes Pathos über die Sünden und Irrungen der
Menfchheit und aller ihrer fittlich verkehrten und verderblichen
Lehren fprechen läfst. Aber fofort, wo die
Wiffenfchaft das Wort haben follte, kommen Phrafen,
kleine Gefchichten und abfichtliche oder unabfichtliche
Verdrehungen.

Die Art, wie mit den Reformatoren und den modernen
proteftantifchen Theologen, Rothe und befon-
ders Schleiermacher, umgefprungen wird, ift geradezu
unqualificirbar. Man lefe S. 234 ff. im erften Band,
Vortrag 3 und 4, fo wie S. 282 ff. im zweiten Band, um
aus der grofsen Zahl nur ein Paar Beifpiele herauszugreifen
. Den modernen Philofophen, zunächft auf Hegel
bezogen, aber fo gefagt, dafs man deutlich fieht, es ift
überhaupt auf die moderne proteftantifche Religions-
philofophie gemünzt, wird Bd. II, S. 288 in die Schuhe
gefchoben, fie behaupteten: ,das Gute fei um keinen
Deut beffer als das Böfe und das Böfe gerade fo gut
wie das Gute'.

Bd. II, S. 284 f. kann der Verf. nicht Worte genug
finden, um die Verworfenheit Schleiermacher's zu brandmarken
, der gefagt haben foll, das Böfe fei als Mitbedingung
des Guten von Gott geordnet. Aber gleich in
der Anmerkung unter dem Text mufs er bekennen, er
habe die Stelle, wo Schleiermacher fo fpreche, nicht
ausfindig machen können; bei Bunfen müffe wohl das
Citat irrig fein. Alfo auf eine nicht verificirte Anführung
von Bunfen hin wird Schleiermacher ärger als ein Heide
hingeftellt, ohne Rückficht darauf, dafs das Wort
im Zufammenhang vielleicht einen ganz vernünftigen
Sinn hat.

Wenn Jemand alle die vom Verfaffer im erften Bande
namhaft gemachten Tugenden befitzt, fo fehlt ihm zur
Vollkommenheit überhaupt Nichts, obfehon diefe Tugenden
nur natürliche Vollkommenheiten fein follen. Trotzdem
behält fich der Verf. immer noch vor, hinter diefer
wiederhergeftellten natürlichen Vollkommenheit eine übernatürliche
Gnade zu lehren. Damit zeigt er aber nur,
dafs feine ganze natürliche edle Menfchlichkeit eine
blofse apologetifche Fiction ift, dafs ihm die Chriftlich-
keit doch über die pnra naturalia hinaus liegt. Damit
ift aber auch der Nerv aller Ausführungen feines erften
Bandes durchfehnitten. Ein ganzer Menfch ift man