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Ausgabe:

1880

Spalte:

185-187

Titel/Untertitel:

Die Apostelgeschichte und die Offenbarung Johannis in einer alten lateinischen Uebersetzung aus dem ‚Gigas librorum‘ auf der königlichen Bibliothek zu Stockholm. Zum ersten Mal herausgegeben von Johannes Belsheim

Rezensent:

Gebhardt, Oscar

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Theologifche Literaturzeitung. 1880. Nr. 8.

186

Die Apostelgeschichte und die Ottenbarung Johannis in einer
alten lateinifchen Ueberfetzung aus dem ,Gigas libro-
rum' auf der königlichen Bibliothek zu Stockholm.
Zum erften Mal herausgegeben von Johannes Bels-
heim. Nebft einer Vergleichung der übrigen neu-
teftamentlichen Bücher in derfelben Handfchrift mit
der Vulgata und mit anderen Handfchriften. Abdruck
aus .Theologisk Tidsskrift for den evangelisk-lutherske
Kirke i Norge'. Chriftiania 1879, P. T. Mailing. (XIX,
134 S. 8.)

Eine Handfchrift, welche 35 Zoll hoch und 18 breit
und dabei fo fchwer ift, dafs ,zwei bis drei Männer
nöthig find, fie zu tragen'; deren Columnen aus je 106
Zeilen beftehen (im Cod. Sin., der bekanntlich nicht zu
den kleinften gehört, beträgt die Zahl der Zeilen einer
Columnc 48, im Cod. Vat. 42), mit etwa 60 Buchflaben
auf der gefpaltenen Zeile: eine folche Handfchrift kann
auf den Namen ,Gigas librorum' gewifs mit Fug und
Recht Anfpruch machen. Es dürfte in der That kein
zweites Buch exiftiren, welches bei gleich grofser Schrift j
(vgl. das Facfimile S. IV f.) das ganze Alte Teftament
auf nur 118, das Neue einfchliefslich der Prologe und
Inhaltsüberfichten auf nur 34 Blättern enthielte. Dafs
ein folches Monftrum nicht zum praktifchen Gebrauch, ;
fondern nur als Schauftück dienen konnte, verfteht fich
von felbft und wird zum Ueberflufs dadurch beftätigt,
dafs .keine Spur von Correcturen im ganzen Neuen Tefta-
ment vorhanden ift' (S. XVI). Vielleicht das Werk
eines zu längerem Gefängnifs verurtheilten Mönchs (S. '
VIII), ift die Handfchrift im 12. oder 13. Jahrh. entftan-
den. Sie taucht zuerft gegen Ende des 13. Jahrh. im
böhmifchenBenedictinerklofterPodlazic auf. Der dreifsig-
jährige Krieg fand fie in Prag, von wo die Schweden '
fie 1648 entführten (vgl. über die merkwürdigen, wefent- I
lieh nach Dudik, Forfchungen in Schweden für Mährens
Gefchichte, Brünn 1852 S. 207 ff., erzählten Schickfale
der Handfchrift das Vorwort S. V ff.). Seitdem wird
fie in der königlichen Bibliothek zu Stockholm aufbewahrt
, fcheint aber, wenigftens in ihren biblifchen Be- '
ltandtheilen (fie enthält aufserdem Jofephus' Antiqui- I
täten und Jüdifchen Krieg, des Ifidorus Hispalenfis Ori-
ginum siroe etymologianim II. XX, Cosmas' Böhmifche j
Chronik und verfchiedenes andere), einer näheren Un-
terfuchung bisher nicht unterzogen worden zu fein. Eine '
folche in Bezug auf das ganze Neue Teftament mit er- i
wünfehter Gründlichkeit angefleht und den Ertrag davon
jedermann zugänglich gemacht zu haben, ift das aner-
kennensuerthe Verdienft des Herausgebers.

Dafs Herr Belsheim, über deffen Codex Aureus im
3. Jahrg. diefer Zeitung (1878) S. 359 ff. Bericht erftat-
tet worden ift, von einem wörtlichen Abdruck der Evangelien
(und Epifteln) im ,Gigas librorum' abgefehen hat,
kann nur gebilligt werden. In der That genügt die hier
S. 91—134 gegebene Vergleichung des gröfsten Theils
der neuteftamentlichen Bücher mit der Vulgata, der drei
erften Evangelien zugleich auch mit den meiften alt-
lateinifchen Texten vollftändig, die Befchaffenheit des
Textes derfelben und die eigenthümliche Mifchung ver-
fchiedener Verfionen, welche (wie im Codex Aureus) in
den Synoptikern zu Tage tritt, in überfichtlicher Form
zur Anfchauung zu bringen. Ift fchon dies eine recht
dankenswerthe Leiftung, fo befteht der Hauptwerth der
vorliegenden Publication darin, dafs uns in ihr die Apoftel-
gefchichte fowohl als die Offenbarung Johannis zum
erften Mal vollftändig in einer vorhieronymianifchen Ver-
fion dargeboten wird. Bekanntlich ift jene in keiner der
hier ohnehin nicht zahlreichen Italahandfchriften lückenlos
erhalten (der verhältnifsmäfsig vollftändigfte Cod.
Laud. ift von Cap. 26, 29 an defect), und eine altlatein- 1
ifche Ueberfetzung der Apokalypfe war, abgefehen von
zwei kleinen Bruchftücken, welche (was dem Hrsg. ent- |

gangen zu fein fcheint) Vanfittart im 4. Bande des
Cambridger Journal of Philology (1872) S. 219—222 aus
Cod. Parif. Lat. 6400 G veröffentlichte, bisher nur aus
dem Commentar des Primafius und aus patriftifchen Ci-
taten bekannt. In der Apoftelgefchichte ift, bei mehrfacher
Abweichung, die Uebereinftimmung mit Cod.
Cantabr. und noch mehr mit Cod. Laud. im Unterfchiede
von der Vulgata oft ganz frappant. Die Ueberfetzung
der Apokalypfe hingegen, welche im ,Gigas' vorliegt,
fleht, auf den lateinifchen Ausdruck angefehen, ohne
Frage der Vulgata näher als der Verfion des Primafius,
während der ihr zu Grunde liegende griechifche Text
öfter mit letzterer als mit erfterer zufammenzutreffen
fcheint. (Beiläufig fei hier bemerkt, dafs die durch Vanfittart
veröffentlichten Bruchftücke nicht der im ,Gigas'
erhaltenen, fondern der von Primafius benutzten Verfion
angehören.) Wenn wir dem Herausgeber für feine Gabe
nicht fo fehr zu Dank verpflichtet wären , fo möchten
wir ihm einen Vorwurf daraus machen, dafs er auf eine
Unterfuchung diefer Verhältnifse verzichtet hat. Dafs
hierbei auch die zahlreichen patriftifchen Anführungen
nicht hätten aufser Acht gelaffen werden dürfen, verfteht
fich von felbft. Die mühfame und zeitraubende,
aber nicht unwichtige Refultate verheifsende Arbeit
nachzuholen, war Ref. nicht in der Lage. Gelegentliche
j Vergleichung aber ergab bei fall durchgängiger Ab-
' weichung von den afrikanifchen Vätern, nicht feiten
auffallende Uebereinftimmung mit Italienern (z. B. Apok.
2, 16 u. 3, 17 f. mit Ambrofius). Jedenfalls ift der
Sachverhalt hier ein ganz anderer als bei den Evangelien
im Codex Aureus. Nicht fowohl eine mit Lesarten
älterer Verfionen verfetzte Vulgata haben wir vor
uns, als vielmehr allem Anfchein nach (die Beftätigung
durch genauere Unterfuchung, als Ref. fie anftellen
' konnte, vorbehalten) eben diejenige ältere Ueberfetzung,
I welche Hieronymus feiner Revifion des Neuen Tefta-
ments vornehmlich zu Grunde legte. Ob aber diefe
i ganz intact in ihrer urfprünglichen Geftalt oder fchon
I hier und da durch die Vulgata beeinflufst, mufs vorerft
j noch dahingeftcllt bleiben.

Die Ueberfetzung der Apokalypfe (um es hier bei
! diefer bewenden zu laffen) zeigt im allgemeinen das
| Streben rückfichtslos wörtlicher Wiedergabe des griechi-
j fchen Originals (vgl. z. B. 11, 16. 13, 14. 17, 9. 10 u. f.).
[ Um fo mehr ift es zu bedauern, dafs die im ,Gigas
I librorum' vorliegende Abfchrift zahlreiche Spuren der
Flüchtigkeit an fich trägt. Namentlich finden fich Aus-
laffungen einzelner Wörter, die, vielleicht mit wenigen
Ausnahmen, offenbar dem Abfchreiber zur Laft fallen,
ziemlich häufig (fo fehlt z. B. 9, 1 am Schliffs abyssi,
9, 9 sicut loricas, 11, 2 die Ueberfetzung von xal xr)v
avlrjv — fii] avxr)v (itTorjoflg, 12, 4 cauda eins, 13, 1 in
vor cornibus, 17, 14 uocati, 18, 1 und 19, 17 magnam,
18, 7 ei oder Uli nach datc, 19, 6 am Schlufs omnipotens).
Dazu kommt, vorausgefetzt dafs der Abdruck überall
genau ift, eine Reihe von Schreibfehlern, die zwar zum
Theil leicht zu verbeffern (z. B. 4, 3 aspectu ft. aspectui,
4, 10 adorabant ft. adorabunt, II, 3 amictis ft. amicti, 11,
18 Mt et ft. et Utj 12, 1 XXII ft. XII, 12, 5 er/t ft. erat,
13, 15 adorauerit ft. adorauerint, 15, 4 tua ft. tuae, 16,
17 aera ft. acre, 17, 1 habebat ft. habebant, 20, 8 et sedu-
cat ft. ut seducat, 20, 9 altitudincm ft. latitudinem und
ascendit ft. descendit, 20, 14 inferus ft. inferuus, vgl. auch
13, 2 zu Anfang und 14, 20 a foris extra), zum Theil
aber recht Hörend find (z. B. 9, 21 uoeibus ft. neeibus,
18, 13 minta ft. iumenta, 18, 14 inuenientes ft. imienient
oder invenies [es ift alfo nicht zu ermitteln, ob die Vorlage
evoTjanvaiv oder evgrjg darbot], 18, 16 uastata ft.
Itcstita, 19, 14 purpureum ft. purum; auch das unver-
| {ländliche lazam 19, 15 gehört wohl hierher, da 14, 19 f.
j Irjvng dreimal durch lacus wiedergegeben wird. Schwieriger
ift epulabuntur 11 10 für svqtgav&rjoovtai zu erklä-
I ren, zumal auch der Anon. in Apoc. ap. Auguft. epulan-