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Ausgabe:

1879

Spalte:

115-117

Autor/Hrsg.:

Gerhardt, Paulus

Titel/Untertitel:

Gedichte. Herausgegeben von Karl Goedeke 1879

Rezensent:

Bertheau, Carl

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115 ' Theologifche Literaturzeitung. 1879. Nr. 5. 116

den epiftolifchen Betrachtungen Jahr um Jahr abwechfeln,
wobei der Hausvater oder die Hausmutter beim Vorlefen
das auf die Morgen- oder Abendzeit Bezügliche un-
fchwer umwandeln oder auch weglal'fen kann'. Wir
haben gefunden, dafs diefes ,unfchwere' Verfahren nur
feiten nöthig fein würde, weil die Beziehungen auf die
betr. Tageszeit faft gänzlich fehlen. Befondere Fälle im
häuslichen Leben, auch da, wo dasfelbemit dem kirchlichen
Leben in engfte Verbindung tritt, wie bei der Abendmahlsfeier
der Hausgenoffen, find gar nicht vorgefehen; Kirch-
weihfeft, Reformationsfeft und Erntedankfeft haben ihre be-
fonderen Betrachtungen, der Bufstag nicht, und die Betrachtung
am Neujahrstage fchliefst (ich fo eng an die
Perikope an, dafs auch vor der Hausgemeinde die guttae
circumcisionis als Unterpfand des Löfegeldes erwähnt
werden. Eine Ungleichmäfsigkeit entfteht dadurch, dafs j
die grofsen Perikopen der erften Fefttage nur in einer j
Betrachtung behandelt werden können, und dafs trotz
aller Vollftändigkeit die Perikopen für den Sonntag nach !
Weihnachten und für den nach Neujahr nicht herange- j
zogen find. Endlich fei noch bemerkt, dafs bei dem
Bemühen, die Verbindung des betr. Pfalm- oder Prophetenworts
mit der Perikope nachzuweifen, mancherlei
Stoff, auch archäologifchcr und hiftorifcher Art, aufgenommen
wird, welcher kaum je erbaulich, bei einer
Wiederholung von Jahr zu Jahr aber ftörend wirken
wird. Die Bezeichnung der Pfalmenfänger als .Pfalmiften'
mufs, auch abgefehen von der häufigen Wiederkehr, als
unpaffend bezeichnet werden.

Den gröfsten Theil unferer Bemerkungen werden
kirchlich geübte und gewöhnte Kreife wohl kaum als
Ausflellungen gelten laffen, und auch wir find überzeugt,
dafs das Buch in evangelifchen Chriftenhäufern zur Vertiefung
des Schriftverftändnifses und zur Erbauung dienen
wird. Die Geiftlichen dürften auf dasfelbe deshalb
noch befonders aufmerkfam zu machen fein, weil durch
die forgfältige Auswahl und Behandlung der Pfalm- und
Prophetenftellen mit Bezug auf die Perikopen eine reiche
Fundgrube für Auslegung der letzteren geboten ift.

Halle aS. A. Wächtler.

t. Gerhardt, Paulus, Gedichte. Herausgegeben von
Karl Goedeke. [A. u. d. T.: Deutfche Dichter des
17. Jahrhunderts, mit Einleitungen und Anmerkungen
hrsg. von Karl Goedeke u. Jul. Tittmann. 12. Bd.]
Leipzig 1877, Brockhaus. (XXXII, 340 S. 8.) M. 3. 50;
geb. M. 4. 50.

2. Gerhardt's, Paulus, Geistliche Lieder. Mit Einleitung
und Lebensabrifs von Karl Gerok. Stuttgart 1878,
Meyer & Zeller. (XXXVIII, 424 S. 8.) geb. M. 5. —

Dafs fchon wieder zwei neue Drucke der Gerhardt-
fchen Lieder vorliegen, nachdem erft im Jahr 1876 die
Wackernagel'fche Ausgabe derfelben bei Bertelsmann in
Gütersloh in neuer Auflage erfchienen ift und während
gleichzeitig die Bachmann'fche kritifche Ausgabe vom Jahr
1866 in neuer Titelausgabe mit der Jahreszahl 1877 von
Beck in Berlin zu einem ermäfsigten Preife angeboten
wird, mag für die Verbreitung diefer Lieder erwünfcht
fein und von diefem Gefichtspunkt aus dürfen wir ihr
Erfcheinen begrüfsen. Die fchöne äufsere Ausftattung beider
Ausgaben und namentlich der Gerok'fchen, wird dazu
beitragen, die Gerhardt'fchen Lieder auch in ihrer Sammlung
Solchen als einen wünfchenswerthen Belitz erfcheinen
zu laffen, die bisher nur die bekannteften derfelben aus
dem Gefangbuche kannten; für viele mag mit gröfserem
Rechte der Name der Herausgeber dazu Vcranlaffung
werden. Es kann deshalb auch kein Tadel fein, wenn
gefagt wird, dafs in diefen Ausgaben weder für den Text
der G.'fchen Lieder, noch für die Darfteilung des Lebens
G.'s Neues geleiftct ift; das ift eben auch nicht

beanfprucht. In beiden Ausgaben finden wir die fämmt-
lichcn jetzt bekannten 131 deutfchen Lieder G.'s, alfo
aufser den 120 der Ebeling'fchen Sammlung die erft in
den letzten Jahrzehnten durch Friedländer, von Maitzahn
und Bachmann aufgefundenen weiteren 11; dafs
Goedeke nur 125 zählt, erklärt fich daraus, dafs er S.
40 ff. die heben Lieder, welche G. nach dem .Paffions-
Salve des heiligen Bernhard an die leidenden Glied-
mafsen Chrifti' dichtete, unter einer Ziffer zufammenfafst.
Die Anordnung der Lieder ift aber eine verfchiedene;
während Goedeke fie nach der gewiffen oder wahr-
fcheinlichen Zeit ihrer Entftehung, wie diefelbe vor allem
durch Bachmann's forgfältige Forfchungen feftgeftellt ift,
anordnet, hat Gerok die 120 Lieder der älteren Sammlungen
feit Ebeling genau (in der Vorrede S. XXXVIII
fteht freilich dafür ,im Wefentlichen') in der Reihenfolge
gelaffen, welche Wackernagel in feiner erften Ausgabe,
Stuttgart (1843), fchon befolgt hatte und fpäter nur infofern
abänderte, dafs er einige der hernach aufgefundenen
Lieder zwifcheneinfchob; es ift das eine Anordnung
nach dem Inhalte, wie fie etwa in einem Kirchengefangbuch
befolgt werden könnte und für den erbaulichen
Gebrauch fich emofiehlt; die erft neuerdings entdeckten
11 Lieder läfst Gerok dann in einem befonders
numerirten Anhange folgen. Schon aus diefer Verfchie-
denheit ift deutlich, dafs für Goedeke's Ausgabe Gerhardt
's Gedichte vorwiegend von ihrer literarifchen Seite
in Betracht kommen, wie es die Aufnahme Paulus Gerhardt
's in die Reihe der .Deutfchen Dichter des fieb-
zehnten Jahrhunderts' mit fich brachte; Gerok dagegen
hat bei feiner Herausgabe diefer Lieder vor allem den
Gebrauch im Auge, den die chriftliche Gemeinde noch
heute zu ihrer Erbauung von ihnen machen foll; doch
fchliefst keiner von ihnen die andere Seite aus. Der
angegebene verfchiedene Gefichtspunkt erklärt auch,
weshalb Goedeke den nachweisbar älteften Text der
Lieder genau abdrucken läfst, während Gerok fich nicht
nur ab und an leichte, meift recht glückliche Abänderungen
einzelner Silben und Worte erlaubt (S. 92, Z. 5 ilt ,ich'
ftatt (ihr' jedoch natürlich ein Verfehen;, fondern auch
an 21 Stellen den G.'fchen Text geradezu umgedichtet
hat, um einige unferem Gefchmack widerftrebende Ausdrücke
und Wendungen herauszubringen; die urfprüng-
liche G.'fche Faffung, Gerok fagt .Lesart', diefer Stellen
ift S. 417 ff. in einem Anhange mitgetheilt. Die ganz
kurzen Anmerkungen, welche Goedeke, ebenfo wie es
in den übrigen Bänden diefer Ausgabe der ,Dichter des
fiebzehnten Jahrh.'s' gefchehen ift, unter dem Texte hinzufügt
, geben zunächft Jahr und Ort des erften Druckes
für jedes Lied an und enthalten dann fprachliche Erklärungen
jetzt ungebräuchlicher Worte; aufserdem verWeifen
fie oftmals, was fehr nützlich ift, auf die biblifche
Quelle Gerhardt'fcher Wörter und Redeweifen. Die
Gerok'fche Ausgabe entbehrt folcher Zuthaten zum
Texte aufser der Angabe der Melodieen ganz, obgleich
auch in ihr mancher Ausdruck und noch mehr manche
Wendung G.'s, die nicht jedem Gebildeten unferes Jahrhunderts
verftändlich fein dürfte, unverändert gelaffen
ift. Beide Herausgeber erzählen in der Einleitung das
Leben G.'s und geben eine Ueberficht über die bisherigen
Ausgaben; Gerok hat die mehr als ein Jahr vor
der feinigen erfchienene Ausgabe Goedeke's, wie es
fcheint, noch nicht gekannt. Das Lebensbild G.'s zeichnen
beide Herausgeber nach den durch die Forfchungen
von Langbecker und Schulz T841 und 1842), welche
für feinen Kampf gegen die Edicte die Urkunden veröffentlicht
haben, und durch die ergänzenden Studien
Bachmann's (1866) feftftehenden Ergebnifsen, Gerok
kürzer und mehr nur die Hauptfachen heraushebend,
Goedeke eingehender und mit trefflicher Darlegung der
dichterifchen Eigenthümlichkeit G.'s. Auf alles Einzelne
genau einzugehen, würde hier zu weit führen; wir
bemerken nur folgendes. Das Datum Gerok S. XVI.