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Ausgabe:

1879 Nr. 5

Spalte:

112-113

Autor/Hrsg.:

Zahn, Detlev

Titel/Untertitel:

Die christliche Heilslehre auf Grund der Thaten Gottes dargestellt. Ein didaktischer Versuch 1879

Rezensent:

Löber, Richard

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Theologifche Literaturzeitung. 1879. Nr. 5.

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frieden irre gemacht und für Gott und fein Wort gewonnen
werden. Aber auch viele von Denen, welche
für Gläubige gehalten werden, find dem Verf. zufolge
jener Umgeftaltung der Predigt 'nicht eben günftig ge-
ftimmt; fie find geneigt, in officieller Kanzelbegeifterung
ein genügendes Surrogat des Geiftes und der Kraft, in
breiten Paraphrafen und gefchmacklofen Allegorien,
in bilderreicher Gedankenarmuth, in befchränkten Zeitbetrachtungen
, in eingeflochtenen Zeftungsneuigkeiten,
in trockenerDogmatik und in kraftverzehrenderRührungs-
virtuofität eine Reproduction des göttlichen Wortes zu
finden, wenn nur dabei der Name Gottes und Chrifti
reichlich angewendet wird.

Dennoch hält der Verf. das von ihm aufgeftellte
ideale Ziel der Predigt feft; es ift zu predigen das Wort
des lebendigen Gottes, das, wenn es einfaltig verkündet
und nicht durch geiftliche Redekunft abgefchwächt wird,
in dem Menfchen die entfprechenden Organe fchafft, die
er zur Aufnahme und zur Verarbeitung des Wortes bedarf
. Zwar mufs der Prediger die Saiten kennen, die
er bei Anderen in Schwingung zu fetzen hat, um ihnen
das wirkfam mitzutheilen, wovon er erfüllt ift; aber
auch ihm felbft wird eine mächtige Förderung zu Theil,
wenn er gleichfam unter der Eingebung Derer reden
kann, an die er fich wendet (p. 21) und die fich mit
ihm willig der Wirkung des göttlichen Wortes er-
fchliefsen. So vollzieht fich eine wechfelfeitige Förderung
des Predigers und der Gemeinde, während fie, unbegründeten
Forderungen nachgebend, fich wechfelfeitig
mifsbrauchen und verderben.

Auch in der Theorie und Gefchichte der Seelforge
oder der paftoralen- Gemeindeleitung bietet uns
der Verf. eine reife köftliche Frucht feines der ganzen
Kirche zugewandten, durch umfaffende Gelehrfamkeit
und tiefeindringendes Urtheil hervorragenden, auf allen
Gebieten menfchlichen Erkennens und Strebens heimi-
fchen Geiftes. Die Seelforge ift ihm Beftandtheil der
Selbfterbauung der Kirche als Heilsgemeinde in der Welt.
Dem entfprechend darf über der Cultusgemeinde der
Einzelne nicht vergeffen werden; vielmehr hat fich der
Paftor jedem Gliede der Gemeinde perfönlich hinzugeben
und fich desfelben nach feinen befonderen Zu-
ftänden und Verhältnifsen anzunehmen. Beide Theile
der Amtsthätigkeit fordern und fördern fich gegenfeitig;
denn die Predigt zieht aus der Seelforge ihre befte
Lebensfrifche und der Privatverkehr wiederum macht die
Leute geneigt, an den Gottesdienften der Gemeinde
Theil zu nehmen. Doch auch die Seelforge mufs wie
der Cultus unter Leitung des geiftlichen Amtes durch
Heranziehung und Mitwirkung der in der Gemeinde
vorhandenen Kräfte und Gaben, alfo durch die geordnete
Wechfelbeziehung von amtlicher und freier, individueller
und focialer Thätigkeit ausgeübt werden. Dies ift aus
dem Wefen der kirchlichen Seelforge und nicht etwa
nur aus temporären Nothftänden abzuleiten.

Treffend wird von dem Verfaffer die Seelforge der
lutherifchen Kirche charakterifirt im Unterfchied von or-
thodoxiftifchen und pietiftifchen Entartungen, fowie im
Gegenfatz zur römifch-katholifchen und methodiftifchen
Seelforge. Auch hier wird der ideale Begriff der Seelforge
aus einer allumfaffenden, kritifch bearbeiteten Gefchichte
der Seelforge gewonnen. Ganz befonders lehrreich
ift der Nachweis, dafs die jetzt in Form freier Vereine
fich bethätigende Fürforge für Leib und Seele der
Kirchenglieder in allen Zeiten der Kirche fich finde,
dafs im nachapoftolifchen Zeitalter befonders viele Xe-
nodochien und im Mittelalter meift in Zufammenhang
mit denKlöfternWohlthätigkeitsanftalten der mannigfach-
ften Art gegründet wurden ; endlich belehrt uns der Verf.,
wie diefe freie Liebesthätigkeit in der nachreformatorifchen
Zeit allmählich zu bürgerlichen, ihrem chriftlichen Ur-
fprung mehr oder minder entfremdeten Staatsanftalten
entartet ift.

Ueberhaupt bietet uns diefer letzte Theil der prak-
tifchen Theologie eine reiche Fülle von gehaltvoller Erfahrungsweisheit
, und auch bereits bekannte Dinge empfangen
höheren Werth, weil fie von grofsen Gefichts-
punkten aus betrachtet und in einem wohlthuenden
Lichte gezeigt werden. Es find bedeutende und der
ernfteften Erwägung werthe Gedanken, welche der Verf.
über die Gefinnung, die Gaben und das Leben des Paftors,
über Einführung und Aufrechterhaltung kirchlicher Sitte,
über die Sorge für den intellectuellen, fittlichen, focialen,
phyfifchen und ökonomifchen Zuftand der Gemeinde
äufsert, und nicht minder werthvoll find feine wohlerwogenen
und tiefeindringenden Erörterungen über die
chriftliche Ehe und Civilehe, ferner über die Seelforge,
die an Geförderten und PJmpfänglichen, an Irrenden und
Bekümmerten, an habituellen Sündern, an Verbrechern

und an Sterbenden zu üben ift.

Es wird im Gefichtskreis eines im Dienft der Kirche

j flehenden Theologen wohl kaum eine Frage auftauchen
können, die nicht in diefer praktifchen Theologie ihre

i treffende Beantwortung fände, und daher werden dem

I Verf. Viele für diefes die Kirche auferbauende Werk
von Herzen danken.

Dresden. Löber.

Zahn, Paft. Detlev, Die christliche Heilslehre auf Grund
der Thaten Gottes dargeftellt. Ein didaktifcher
Verfuch. Gotha 1878, Schloefsmann. (VIII, 232 S.
8.) M. 2. 40.

Wie diefe inhaltsreiche Schrift aus mehrjährigem
Unterricht, den der Verf. in höheren und niederen Schulen
ertheilte, als reife Frucht allmählich erwachfen ift, fo
wird fie auch den Unterricht in mannigfacher Weife
fördern. Aber fie ift auch infofern werthvoll, als fie die
der Kirche in diefem Jahrhundert zu Theil gewordene
Phnficht in den gefchichtlichen Vollzug des Heils finden
Jugendunterricht trefflich verwerthet und durch die
lebensvolle Aufeinanderbeziehung der Hauptthatfachen
des' Heils (welche die biblifche Gefchichte bietet) uns
anleitet zu einem fruchtbareren Gebrauch des lutherifchen
Katechismus.

Es ift gewifs in didaktifcher Beziehung vollkommen
richtig, dafs der Verf. mit dem beginnt, was die zu unterrichtenden
Schüler feit ihrem Tauftag von dem chriftlichen
Heil fchon empfangen und in fich aufgenommen
haben, und dafs er von da zurückgeht zu den Quellen
des Heils, zu den Allen geltenden Thaten Gottes, weil
Urfache und Wirkung fich wechfelfeitig begründen und
verbürgen. Es zeugt ferner von der didaktifchen und
theologifchen Durchbildung des Verf.'s, dafs er ftatt
von der ,natürlichen' Gotteserkenntnifs zu den chriftlichen
Heilsgedanken aufzufteigen, vielmehr mit letzteren
beginnt, um von ihnen aus die Vorftellungen und Strebungen
des natürlichen Menfchen zu begreifen. Er beginnt
den Unterricht mit den Namen Gottes, fofern die-
felben nicht leere Titel, fondern Ausftrahlungen feines
Wefens und die monumentalen Bezeichnungen feines gefchichtlichen
Wirkens find. Vielleicht hätten der heil.
Schrift noch andere bedeutungsvolle Gottesnamen entnommen
und ihnen die nicht minder fignificanten Namen,
welche die Schrift dem heilsbedürftigen Menfchen giebt,
entgegengeftellt werden follen.

Es ift dem gefchichtlichen Hergang ganz entfprechend,
dafs der Verf. nicht wie der Katechismus mit dem Gefetz
, fondern mit der Schöpfung beginnt, dann übergehend
zur Lehre von der Sünde und vom Tode, zu
den Anfängen des Heils fortfehreitet, um in der Gefchichte
Ifraels das Gefetz als Lebensform des gottesbildlichen
Menfchen und die prophetifche Verheifsung
des Heils darzulegen und in Chriftus das zum Vollzug
gekommene Heil nachzuweifen. Endlich befchreibt der
Verf. von der Pfingftthatfache ausgehend das Werk des