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Ausgabe:

1879 Nr. 5

Spalte:

103-104

Autor/Hrsg.:

Natorp, A.

Titel/Untertitel:

Drei Blätter aus der Reformationsgeschichte Mährens 1879

Rezensent:

Möller, Wilhelm

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103

Theologifche Literaturzeitung. 1879. Nr. 5.

104

punkt des ganzen Werkes in dem zweiten (S. 456—484) I eine Reihe unter dem Gefammttitel: ,Evangelifche Bru-
und dem dritten Capitel (S. 485—536 liege. In jenem | derliebe' zufammenzufaffender Vorträge, welche Bezug
geht Schulte — analog dem erften Bande — auf den j haben follen auf die Aufgaben des Guftav-Adolfs-Ver-
Charakter der wiffenfchaftlichen Behandlung a) in der j eins. Von den ,drei Blättern' ift das erfte der huffiti-

Schule, b) in den Schriften ein, in diefem giebt er eine
Ueberficht über den Entwicklungsgang der kanoniftifchen
Literatur, je nachdem, ob fie a) rein kanoniftifch, b) kir-
chenpolitifch, c) der Beichtftuhljurisprudenz angehörig ift.
Wie ungemein reich der Inhalt diefer beiden Capitel ift und
ein wie hohes Intereffe er beanfpruchen darf, mag folgende
kurze Ueberficht über das uns hier Gebotene be-
weifen. Im zweiten Capitel zeigt Schulte, aus welchen
Umftänden fich der gewaltige Zudrang zum kanoniftifchen

fchen Bewegung und den aus ihr hervorgehenden Böh-
mifchen und Mährifchen Brüdern gewidmet, das zweite
der evangcl. Wirkfamkeit des Speratus in Iglau, das dritte
lenkt die Aufmerkfamkeit auf die Gegenreformation, um
zugleich mit einem Blick auf die durch das Toleranz-
edict Jofeph's II begründeten Verhältnifse der Gegenwart
zu fchliefsen. Die Darfteilung ift anfprechend und wohl
gelungen. Nur hätte verfucht werden follen, von der
religiöfen Eigenthümlichkeit der Brüder mit einigen Stri-

Studium erklären läfst, in welchem Umfange kanoniltifche i chen ein etwas genaueres Bild zu entwerfen. Für das
Leiftungen ihre Verfaffer zur Berückfichtigung bei Ver- 1 Leben des Speratus benutzt der Verf. ,erft neuerdings
recht zugänglich gewordene und noch nicht veröffentlichte
Quellen', nämlich — hierauf fcheint fich der
Plural zu reduciren — die historia Pauli Sperati, welche
der Iglauer Stadtfchreiber Martin Leupold von Löwenthal
,nach dem handfchriftlichen Nachlaffe feines Grofs-
vaters, eines eifrigen Freundes des Reformators, in der

'S

gebung der Bisthümer und bei Cardinalspromotionen
empfahlen, in welcher numerifchen Stärke fich die Kano-
niften auf die verfchiedenen Orden verthtilen: Benedic-
tiner, Carmeliter, Auguftiner, Carthäufer, Ciftercienfer,
Minoriten und Dominikaner — letztere find am zahlreich-
fiten vertreten —; welche Momente zu der grofsen Gleichförmigkeit
in der kanoniftifchen Methode beigetragen, wie j herzlichen und eingehenden Weife des 17. Jahrhunderts
an Stelle der Gloffen die umfangreichen Apparatus, Lee- I befchrieben'. Weiteres hierüber erfahren wir leider nicht.
turac, C&mmehtäria getreten, welche Gründe den Verfall Durch die wörtliche Einfügung einiger Stellen diefer
der kanoniftifchen Wiffenfchaft hinfichtlich des fie be- Quelle erhält die Darftellung des Verf.'s eine angenehme
feelenden Geifites, fowie der Methode erklären. Das dritte Localfärbung. Wefentlich Neues ift nicht viel beige-
Capitel liefert dann eine Ueberficht der Schriften a) der bracht, doch immerhin einiges, was den Wunfeh ereigentlich
kanoniftifchen, b) der kirchenpolitifchen und weckt, die Quelle näher geprüft und vor Allem in ex-
c) der auf das Forum intemum bezüglichen. Die zweite ! tenso mitgetheilt zu fehen. Dafs fich Leupold im Be-
Gattung, nämlich die der kirchenpolitifchen Literatur, i treff des Todes des Speratus um 24 Jahre irren kann
wird doch allzu kurz nur auf einer Seite behandelt und j (S. 27), erweckt zwar kein günftiges Vorurtheil, verringert
der Ueberblick enthält hier nichts als eine Aneinander- j aber den Werth feines Materials nicht. Das Datum für
reihung von Namen. Ueberaus werthvoll — für den Kir- 1 die erfte Predigt des Speratus in Iglau, d. 5. Juni 1522,

chenhiftoriker das Werthvollfite im ganzen Werke — ift
was der Verf. im § 127 über den Entwicklungsgang der
Beichtftuhljurisprudenz giebt; alle für das Bufswefen des
Mittelalters wichtigen Punkte werden an ihre rechte Stelle
und in's hellfte Licht gefetzt, und mit unparteiifchem

wird auch von anderer Seite befitätigt (vgl. K. Werner
in d. Mittheilungen des Vereins für Gefell, der Deut-
fchen in Böhmen VI, Prag 1868, S. 139 f. und die dort,
und" von Schmidt ebd. XII, S. 145 f. angezogene Literatur
). Seiner Quelle entnimmt der Verf. auch die An-

Urtheil gewürdigt; dafs die Beurtheilung der hier ein- gäbe, dafs Speratus das Lied: Es ift das Heil uns kom

fchlägigen Fragen eine objective ift, hebe ich befonders
deshalb hervor, weil gerade in diefem Stücke ihn ftreng-
katholifche Kanoniften der Parteilichkeit im altkatholi-
fchen Intereffe werden bezüchtigen wollen. Das vierte
Capitel (S. 536—550) zeigt zum Schlufs, welchen Antheil
die einzelnen Nationen an der kanoniftifchen Literatur
des Mittelalters genommen. Urfprünglich hatte Schulte
den Plan, zu unterfuchen, in welchem Umfange die einzelnen
Univerfitäten, insbefondere auch die Deutfchlands
fich um das kanonifche Recht verdient gemacht haben,
doch mufste der Verf. hiervon abfitehen, da das Material
für eine derartige Unterfuchung noch gar nicht befchafft ift.

Vorliegende Anzeige will nichts anderes fein, als ein
Beweis, mit welchem Intereffe Referent das ausgezeichnete
, fo überaus viel Neues bringende Werk gelefen, und
fie wird ihren Zweck erreicht haben, wenn fie die Fach-
genoffen davon überzeugt, dafs der mit dem Mittelalter
fich befchäftigende Kirchenhiftoriker fich felbfit eine der
reichften Quellen für das Verfitändnifs des nicht blofs mit
der Gefch. des Papfitthums und der Beziehungen zwifchen
Staat und Kirche, fondern auch mit der Entwicklung
des Dogma's fo eng verbundenen Kirchenrechts ver-
fchliefisen würde, wollte er an Schulte's Gefch. der Quellen
und Literatur des kanonifchen Rechts vorübergehen.

Strafsburg. R. Zoepffel.

men her u. f. w. zu Olmütz im Kerker (1523) gedichtet
habe, was ja mit der Verwendung in Luther's erftem
Gefangbuch (Anfang 1524), nachdem Sp. aus Iglau hatte
weichen muffen und nach Wittenberg gekommen war,
ftimmen würde. So mufs freilich der Verf. die hübfehe
Legende von dem Bettler, welcher Luthern mit dem
Speratuslied den letzten Thaler aus der Tafchc lockte,
die er fich nicht entfchliefsen kann, fallen zu laffen, der
beflimmten Züge berauben, mit denen fie Hartknoch
berichtet, weil fonft die hiftorifche Unmöglichkeit auf der
Hand läge. S. 27 ift fälfehlich das Jahr 1527 (ftatt 1529)
als dasjenige genannt, in welchem Sp. Bifchof von Po-
mefanien geworden.

Kiel. W. Möller.

Baumgarten, Herrn., Ueber Sleidan's Leben und Briefwechsel
. Mit einem Facfimilc. Strafsburg 1878,
Trübner. (118 S. gr. 8.) M. 2. 50.

Anftatt der erwarteten Biographie Sleidan's erhalten
wir von Baumgarten zum Erfatz, hoffentlich aber nur als
.vorläufigen Bericht' die vorgenannte an Umfang
kleine, aber ungemein gehaltvolle Schrift. B. giebt zu-
nächft (S. 9—44) ein chronologifch geordnetes Verzeich-
nifs der von ihm zufammengebrachten Stücke der Cor-
refpondenz Sl.'s, welche für den Biographen in diefem
Natorp, Confift.-Rath Pfr. A., Drei Blätter aus der Re- Falle nicht nur das wichtigfte, fondern nahezu das aus-
formationsgeschichte Mährens. | A. u. d. T.: Evangelifche fchliefsliche Material bildet. Hier werden zwar gegen
Bruderliebe. Vorträge über die Aufgaben u. Arbei- 160 Stücke aufgezählt (darunter die gröfsere Hälfte noch
ten des evangelifchen Vereins der Guftav-Adolf-Stif- ^ftcf*|i abeJ diefe 7ri^fe vertheilen fich mit grofser
ti x> o o tm • c 01 „ <- Ungleichheit auf das Leben Sl.'s, find nur .dürftige

tung. h] Barmen 1878, Klein. t3& & ».) M. - 60. Bruchrtucke' feiner Correfpondenz. Und eben diefe auch
Hiermit eröffnet der Verf. zugleich als Pierausgeber | durch die langjährigen und eifrigen Bemühungen B.'s