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Ausgabe:

1879

Spalte:

85-86

Autor/Hrsg.:

Mangold, Wilh. Jul.

Titel/Untertitel:

Ernst Ludwig Theodor Henke. Ein Gedenkblatt 1879

Rezensent:

Ritschl, Albrecht

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Seite 1

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S; Theologifche Literaturzeitung. 1879. Nr. 4.

86

Erlangen. G. Plitt.

haltung bieten. Ein Weiteres wüfste ich ihm nicht nach- 1 feine Achtung vor den gefchichtlich gewordenen Ver-
zurühmen. | fchiedenheiten in der chriftlichen Kirche, wie fein Be-

dürfnifs nach offenem Vertrauen zu den Anderen, die
nicht waren wie er felbft. Er hat freilich keine Unionsformel
der Art gefunden, wie der Mann des 17. Jahrhunderts
, deffen Lebensbild Henke in nicht zu übertreffender
Art dargeftellt hat; und er hat deshalb auch
keine Schule gebildet, welche eine irenifche Formel für
die Theologie und Kirche als ein Panier gegen die par-
teiifchen Tendenzen der Gegenwart aufpflanzte. Es ift
vielmehr fein Schickfal gewefen, dafs der fchlimmfte
kirchliche Parteimann, Vilmar, fich in feinen theologi-
fchen Wirkungskreis hineingefetzt, und was an ihm war,
die Wirkfamkeit Henke's durchkreuzt hat. Aber auch
diefem Manne gegenüber hat er den Grundfatz des Friedens
walten laffen, nicht nur, indem er ihn zu verftehen
und zu entfchuldigen beftrebt war, fondern auch durch
das öffentliche Zeugnifs feiner Billigkeit, welches er am
Grabe des aufgedrungenen Amtsgenoffen abgelegt hat.
Der Verf. des vorliegenden kurz und knapp gehaltenen
Lebensbildes feines Lehrers und nachherigen Collegen
erkennt auch in diefer Thatfache die Folgerichtigkeit
des friedfertigen Charakters Henke's an, obgleich er felbft
nicht unterläfst, die theologifche und die kirchliche Stellung
, welche Vilmar für fich erfunden hatte, fo zu zeichnen
, wie fich gebührt. Ein folches Prophetenthum freilich
, wie es Vilmar zur Verwirrung der kirchlichen Ver-
hältnifse und vieler Gemüther ausgeübt hat, läfst fich
nicht leicht durch beftimmte Gegenwirkung befchwören,
zumal wenn es unter einem willkürlich angemafsten fal-
fchen Titel auftritt. Man mufs feinen Verlauf und den
feiner Wirkungen in Geduld abwarten, mag der unmittelbare
Schaden noch fo grofs fein. Dasjenige aber, was
bei Vilmar als Religion fich kund giebt, ift eine Form
des Pietismus, welche am Anfange des 18. Jahrhunderts

Jentsch, Gymn.-Oberlehr. Dr. Hugo, Johann Franck von

Guben. Quellenmäfsige Beiträge zu der Gefchichte
feines Lebens u. feiner Dichtungen. Zur Feier feines
200jährigen Todestages. [Aus: ,Neues Laufitz. Magazin
'.] Guben 1877, König. (58 S. gr. 8.) M. 1. —
Am 18. Juni 1877 waren 200 Jahre verfloffen feit
dem Tode des chriftlichen Sängers, der heute noch mit
feinem ,Schmücke dich, o liebe Seele' an taufend Orten
die Gemeinde zum Abendmahlsgenufs bereitet und mit
feinem Jefu , meine Freude' ihrer gehobenften Stimmung
freudigften Ausdruck verleiht. Seine Vaterftadt,
in der er das Amt des Bürgermeifters bis zu feinem
Tode verwaltet, hat ihm zur Säcularfeier an finnig gewähltem
Ort, nämlich dem Rathhaus gegenüber, aber an
der Wand der Kirche, ein Beinernes Denkmal gefetzt,
aber auch ein literarifches follte nicht fehlen. Wie
früher in berechtigtem Localpatriotismus Stephani hifto-
rifch-genealogifche Nachrichten über 500 gelehrte Gubener
zufammengeBellt, fo hat jetzt ein Bürger Guben's,
Dr. Jentfch, mit gröfster Sorgfalt, die der deutfehen
Gründlichkeit alle Ehre macht, Alles gefammelt, und
wie es fcheint, auch ohne jede Auswahl Alles veröffentlicht,
was in Bibliotheken und Archiven über Johann Franck
zu finden war. Unter den Vorarbeiten wird Caspar
Wezel's .Hymnopoeographia' vom Verf. nicht erwähnt,
iie iff aber doch fo grundlegend, fo klaffifch, dafs fie
nicht übergangen werden follte. Auch Koch's Gefchichte
des Kirchenlieds als die beffe und verbreitetffe Hymno-
poeographie unfers Jahrhunderts fei dem Autor für die

faff verfprochene Fortfetzung feines Werkes zur Beacht- I bei Reformirten vorkommt, aber im Ganzen gegenwärtig
ung empfohlen. Rühmend wird von ihm das Verdienff ; verfchollen iff, eines Pietismus, welcher an fich mit den
hervorgehoben, das fich der kürzlich verftorbene Super- j Intereffen, die das Lutherthum und den Calvinismus tren-
intendent D. Pafig durch Herausgabe der Lieder Johann j nen, nichts zu thun hat. Ich erlaube mir, diefe Be-
Franck's erworben. j merkung Demjenigen hinzuzufetzen, was der Verf.

Soll ich den Erfolg der mühfamen Forfchungen des
Verf.'s conftatiren, fo hat die hymnologifche Wiffenfchaft
zweifellos die genaue Kenntnifs von dem Leben eines

S. 29 — 31 zur Charakteriftik Vilmar's ausgefprochen
hat. Sonft wüfste ich nur die Berichtigung zu S. 23 zu
machen, dafs die Verfammlung der evangelifchen Allianz

unferer hervorragendften Kirchenliederdichter dankbar zu in Berlin nicht 1856, fondern 1857 ftattgefunden hat.
begrüfsen, infonderheit einige Nova in den Details, wie Wer den edeln Henke perfönlich gekannt hat, wird die
die Feffffellung der Schreibweife des Namens unferes j Schrift Mangold's mit ganzer Theilnahme und Freude
Dichters; aber dafs auf Inhalt und Charakterifticum der- | verfolgen. Es ift nur zu wünfehen, dafs auch die nach-
jenigen Lieder gar nicht eingegangen wird, denen es wachfendenGefchlechter, welche die Gefchichte der Kirche
Johann Franck verdankt, dafs man ihm überhaupt eine j kennen müffen, wenn fie ihr richtig dienen wollen, diefes
Säcularfeier gewidmet, ift entfehieden ein Mangel der j Gedenkblatt nicht zu klein finden, um es nicht aus dem
Schrift. Möge ihm — der Schlufsfatz des Buches er- I Geficht zu verlieren.

weckt dazu Ausficht — bald abgeholfen werden! j Göttingen Ritfehl
Dresden. Dr. Dibelius.---—.-

——— —"—- i Gottschick, Oberlehrer Johs., Kant's Beweis für das
Mangold Prof. Dr. Wflh. Jul, Ernst Ludwig Theodor Henke. Dasejn Gottes (P mm-) T l878. (32 S. 4 )

Em GedenkWatt. Marburg 1879, Elwerfs Verl. (43 b. Diefe intereffante Abhandlung ftellt fich die Aufgabe,

den Beweis, welchen Kant für das Dafein Gottes geführt

Wenn dereinft die Epoche der deutfehen evangeli- hat, gegen den Vorwurf in Schutz zu nehmen, als fei

fchen Kirche feit dem zweiten Viertel diefes Jahrhunderts fein Urheber in demfelben mit feinen eigenen Prämiffen

der gefchichtlichen FVrfchung anheimgefallen fein wird, in Widerfpruch getreten. Durchgehends nämlich wird

fo darf diefelbe den vor 6 Jahren von uns gefchiedenen der Beweis deshalb in Anfpruch genommen, weil er auf

Marburger Theologen Henke nicht überfehen. Er ver- dem Kant'fchen Begriff vom höchften Gut fufst, diefer

tritt durch feine Arbeit wie durch feinen perfönlichen j Begriff aber der fonft von Kant felbft als Beftimmungs-

Charakter die chriftliche Irenik. So wie feine literarifche i grund des menfehlichen Handelns fo energifch verwor-

Thätigkeit fich hauptfächlich auf den Helmftedter Georg j fenen Glückfeligkeit eben in diefer Beziehung eine do-

Calixtus bezieht, ift auch das eigentliche Problem fei- i minirende Stelle einzuräumen fcheint. Nun leugnet der

nes theologifchen Denkens die Entwickelung der Be- i Verf. nicht, dafs die Verurtheilung eine gerechte fei, die

dingungen gewefen, unter denen man fich mit Chriften | Richtigkeit des gewöhnlichen Verftändnifses vorausgefetzt,

anderer Confeffionen und Parteien Eins fühlen kann. ! Dies Verftändnifs verfucht er aber als ein Mifsverftänd-

Darum drehte fich jede Unterhaltung, die ich mit ihm ' nifs zu erweifen: es fei nämlich darin der Unterfchied

habe führen dürfen. Ihn befähigte zu diefem Intereffe 1 nicht beachtet zwifchen der von Kant verworfenen Glück-

ebenfo feine Zähigkeit wie feine Gemüthswtichheit, ebenfo feligkeit des äufseren Wohlergehens und der Glückfelig-