Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1879 Nr. 3

Spalte:

64-65

Autor/Hrsg.:

Spengler, Heinr.

Titel/Untertitel:

Pilgerstab. Morgen- und Abendandachten für das ganze Jahr, mit Berücksichtigung der hauptsächlichsten Freuden- und Trauertage des Hauses 1879

Rezensent:

Meyer, Ernst Julius

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

63

Theologifche Literaturzeitung. 1879. Nr. 3.

64

lieh der Verf. wenig. Seine Themata und Dispofitionen
machen keinen Anfpruch auf Muftcrgültigkeit; fie find
aber auch Nebenfache, da fie meift nur den Faden der
Gefchichte markiren. So lautet z. B. bei der Darfteilung
Jefu im Tempel das Thema: ,Was fich bei feiner Darfteilung
und Uebergabe an den Vater zuträgt'. Wir
reden: 1) von dem Manne (Simeon), 2) von der Frau
(Hannah)! Oder am Sonntag Sexagefimae heifst es: ,Lafst
uns betrachten das Gleichnifs vom Säemann. Wir reden :
1) von zweierlei Land, 2) von viererlei Land'. Der Begriff
,zweierlei Land' ergiebt fich daraus, dafs Jefus im
Gleichnifse nur von bebautem Lande redet, dem dann
das noch nicht oder nicht mehr bebaute Land entgegen-
geftellt wird. An Einzelheiten werden Manche vielleicht
Anftofs nehmen. Der Verf. läfst fich in feiner Lebhaftigkeit
wohl einmal zu Ausdrücken fortreifsen, wie fie
bisher wenigftens als der Kanzelfprache nicht angemeffen
galten. Dem Verfucher reifst Jefus die Maske vom Geficht
und fährt ihn an: ,Packe dich, Satan, ich kenne
dich nicht'. Nach der Frage des Philippus: ,Verftehft
du auch, was du liefeft', fährt der Verf. fort: ,Das hätte
der vornehme Mann fehr übel nehmen können. Unver-
fchämter Menfch, hätte er antworten können. Fahr zu,
Knecht, dafs wir den frechen Menfchen los werden' etc.
Nach der Heilung des Stummen (Luc. II., 14 sq.) läfst
er Etliche das verwunderte Volk anfahren: ,Du dummes
Volk, was brauchft du da dich zu wundern' etc. Ref.
möchte jedoch dergleichen Ausdrücke nicht rügen, da
fie ungefucht dem volksthümlichen Ton der Darfteilung
fich anpaffen und nirgends als Lückenbüfser für fehlende
Uebergänge oder mangelnde Gedanken gebraucht werden,
wieman es fonft wohl in populären Reden findet. Denn das
fei zum Schlufs noch hervorgehoben: fo einfach diefe Predigten
feheinen, fo ruhen fie doch auf fehr gründlicher
Vorarbeit. Der einigermafsen kundige Lefer wird überall
das theologifche Urtheil des Verf.'s durchblicken
fehen und aus der fchlichten lebendigen Darfteilung die
apologetifche Tendenz (im guten Sinne) herausfühlen.
Ref. glaubt allen Landgeiftlichen, die von Gemeindemitgliedern
nach einer guten populären Predigtfammlung
gefragt werden, einen Dienft zu erweifen, wenn er fie
auf die vorliegende Sammlung aufmerkfam macht.

3. Hinfichtlich der Form hat die dritte oben genannte
Sammlung mit Nr. 2 einige Verwandtfchaft; dem
Inhalt nach ift fie freilich ganz anderer Art. In Lübeck
werden, wie der Verf. in der Vorrede berichtet, feit Einführung
der Bugenhagen'fchen Kirchenordnung jährlich
zu beftimmten Zeiten (jetzt vor Michaelis und vor Oftern)
von den Hauptpaftoren Predigten über Luther's Katechismus
gehalten, die vorzugsweife, wenn auch keineswegs
ausfchliefslich, von Kindern befucht werden. Dem
Verf. find 10 Jahre hindurch die Predigten über das 4.
und 5. Hauptftück zugefallen, die nun unter dem zukam
menfaffenden Titel: ,Die heil. Sacramente' erfcheinen.
Die vorliegende 1. Abtheilung enthält 8 Predigten über
die heil. Taufe. Indem Ref. von der Streitfrage, ob es
überhaupt homiletifch ftatthaft fei, über den Katechismus
zu predigen, abfieht, hält er fich lediglich an die
vorliegenden Predigten. Dafs, wie der Verf. hervorhebt,
der Inhalt derfelben ,fchrift- und bekenntnifsgemäfs' fei,
wird Jeder zugeftehen. Damit allein aber wäre ihre Veröffentlichung
noch nicht gerechtfertigt. Es fragt fich,
ob für derartige Predigten ein Bedürfnifs vorhanden fei
und ob die vorliegenden demfclben entfprechen. Beide
Fragen glaubt Ref. bejahen zu dürfen. Es ift eine oft
hervorgehobene Thatfache, dafs im Volksfchulunterricht
die beiden letzten Hauptftücke des Katechismus meift
zu kurz kommen. Dafs daran die Schwierigkeit des zu
behandelnden Stoffes eine Hauptfchuld trägt, wird kaum
bezweifelt werden können. In Bezug auf das 5. Hauptftück
fteht dem nicht theologifch gebildeten Lehrer
fchon mehr Material zur Verfügung. Das 4. Hauptftück
dagegen ift in der That fehr wenig populär behandelt

worden. Diefe Lücke füllen die Hofmeier'fchen Predigten
aus. Ohne dafs ein beftimmter Gang eingehalten würde,
kommen doch alle einfchlagenden Fragen nach und nach
zur Behandlung und zwar nicht in trocken docirender
Form, fondern überall mit praktifcher Anwendung in
einer lebendigen, eindringlichen und Jedem verftändlichen
Sprache. Im Einzelnen liefse fich Manches beanftanden
— z B. der Schriftbeweis für die Kindtaufe aus dem
Ausdruck ,mit ihrem ganzen Haufe', die wiederholte Berufung
auf Luc. 1, 15. und 41 u. a., wie denn überhaupt
einzelne Wiederholungen namentlich in Citaten von
Schriftftellen und Liederanklängen nicht vermieden find.
Dadurch wird jedoch der Werth der Predigten als eines
fchätzenswerthen Beitrags zur praktifchen Behandlung
des 4. Hauptftücks nicht beeinträchtigt.

Nuffe. H. Lindenberg.

Spengler, Anftaltsgeiftl. Heinr., Pilgerstab. Morgen-und
Abendandachten für das ganze Jahr, mit Berückfich-
tigung der hauptfächlichften Freuden- und Trauertage
des Haufes. Bielefeld 1878, Velhagen & Klafing.
(VIII, 867 S. gr. 8) cart. M. 6. —

An guten Andachtsbüchern ift kein Ueberflufs. So
fehr auch diefer Zweig der ascetifchen Literatur in den
letzten Jahrzehnten cultivirt worden ift, haben fich nur
wenige in weiteren Kreifen Eingang verfchafft; am mei-
ften vielleicht das vortreffliche von Tholuck: Stunden
der chriftlichen Andacht. Namentlich fehlt es an Andachtsbüchern
für das Volk, das noch am liebften nach
feinem Stark, oder auch Gofsner, Bogatzky u. A. greift.

Ein Andachtsbuch für das Volk ift nun auch das
vorliegende nicht; es redet nicht fowohl im Ton populärer
Anfchaulichkeit, als vielmehr in der Rcflexions-
fprache der Gebildeten. Aber die Sprache ift edel und
würdig, eben fo frei von dem Gift moderner Gciftreichig-
keit und Sentimentalität, als von ermüdender Breite. Mit
Recht hat der Verf. möglichfte Kürze angeftrebt, wie fie
unfer fchnelllebiges Gefchlecht auch in feinen Andachten
verlangt. Einen befondern Reiz bietet das Buch
durch die Mannigfaltigkeit der Zeugenftimmen, die namentlich
aus der neueren ascetifchen Literatur zu Worte
kommen, Tholuck, Müllenfiefen, Gerok, Beck u. f. w.
Ganz befonders ift der Erftere viel benutzt, und mit
Recht; denn Wenige haben fo den Ton getroffen, in
welchem der moderne Menfch erbaut fein will, und es
fo wie er verftanden, die verborgenen Quellen des reli-
giöfen Lebens in jenem aufzugraben. Wir hätten ge-
wünfeht, der Verf. hätte öfter Luther zum Worte kommen
laffen, den unfer Volk fo viel nennt und fo wenig
kennt; eine Dofis Luther ift die kräftigfte Würze evan-
gelifcher Hausandacht.

Dafs in den Gebeten meift auf das jeder Andacht
voranftehende Bibelwort Rückficht genommen wird, ift
nur zu billigen, foweit nicht das Gebet wieder zu einer
Auslegung wird und fofern das Schriftwort nur den Kern
bildet, um den fich die Gebetsgedanken in freier Weife
concentriren. Ebenfo ift dem Verf. darin beizuftimmen,
dafs die Hausandacht fich vor allem Dogmatifiren und
Polemifiren zu hüten hat. So fehr die Andacht auf
einem feften Glaubensgrunde ruhen und daher einen dog-
matifchen Hintergrund haben mufs, fo darf fie doch
nie in den Ton der Schule fallen und noch weniger
controvers werden.

Der Verf. hat mit Recht am Anfang oder am Ende
der Andachten auch der geiftlichen Poefie eine Stelle
eingeräumt, ift aber unferes Erachtens in der Auswahl
der Lieder nicht immer glücklich gewefen. Es ift man-
I cherlei Spreu matter und kraftlofer Poefie darunter; und
die alten klaffifchen Kernlieder unferer Kirche, die fich
im chriftlichen Volke eingebürgert haben und die man
vor Allem in einem evangelifchen Andachtsbuche fucht,