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Ausgabe:

1879 Nr. 3

Spalte:

58-61

Autor/Hrsg.:

Gizycki, Georg von

Titel/Untertitel:

Die Ethik David Hume’s in ihrer geschichtlichen Stellung. Nebst einem Anhang über die universelle Glückseligkeit als oberstes Moralprincip 1879

Rezensent:

Kaftan, Julius

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Theologifche Literaturzeitung. 1879. Nr. 3.

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und gerade damals kirchlich und gläubig bewegten 12. [
Jahrh. angehöre, und ermuthigt uns, eine fpätere Ab-
faffung anzunehmen , wenn wir auch nicht gerade mit
Wilken für die Zeit Friedrich's II eintreten möchten.

In ähnlichem Grade wie H. v. Z. ift Wedde, der
Verf. von Nr. 3, von dem Drama angezogen worden.
Er hat zuerft in einer politifchen Zeitung auf dasfelbe
aufmerkfam gemacht, fodann die vorliegende Ueber-
fetzung veröffentlicht. Wir möchten an folche Ver-
fuche, wie auch an die des H. v. Z. unter Nr. 4,
keinen zu ftrengen Mafsftab anlegen; fie haben ihre
grofsen Schwierigkeiten und behalten ungeachtet einzelner
Mängel ihren Werth, weil fie die erften find; diefe
im Befondern, da fie fafl überall den Sinn des Originals
angemeffen wiedergeben und einen gröfseren Leferkreis
für das Werk zu gewinnen fuchen. — Im Grunde ift
das Letztere auch nur die Abficht diefer Anzeige, bei
deren Abfchlufs Ref. das Bekenntnifs nicht zurückhalten
mag, dafs fie den Verdienften des H. v. Zezfchwitz um
die Dichtung kaum völlig gerecht geworden ift.

Halle a/S. Otto Nafemann.

Dalton, Herrn., Johannes Gossner. Ein Lebensbild aus
der Kirche des 19. Jahrhunderts. 2. umgearb. Aufl.
Berlin 1878, Buchhandlung der Gofsner'fchen Miffion.
(XIV, 481 S. gr. 8.) M. 4. 50.
Die Biographieen fangen nachgerade an, das Feld
der Gefchichte bedenklich zu überwuchern, zum Schaden
für die freie, allgemeine Betrachtung der Gefchichte, und
nicht zum Minderten gilt dies von der Kirchengefchichte.
Zum Theil werden Perfönlichkeiten dritten, vierten Ranges
mit einer Umftändlichkeit im Lichte ihrer Zeit betrachtet
, die fleh mit ihrer untergeordneten Bedeutung
gar nicht verträgt, und auf ein hohes Piedeftal geftellt,
mit dem ihre kleine Figur feltfam contraftirt.

Von der vorliegenden Biographie gilt dies indefs
nicht. Sie füllt eine wirkliche Lücke aus, und dazu ift
der Gegcnftand gewifs einer der dankbarften Stoffe bio-
graphifcher Darftcllung. Nicht nur die eigenartige, lebensvolle
Perfönlichkeit des .alten Gofsner', diefe urwüchfige,
kerngefunde Natur, die bei tüchtiger Gelehrfamkeit frei ift
von allem Grau und Staub der Schule, ein Mann aus dem
Volke, wie Claus Harms, an den er in mancher Beziehung
erinnert, obgleich ihn diefer an volksthümlichcr
Genialität übertrifft, fondern auch fein merkwürdig bewegter
äufserer und innerer Lebensgang, der bedeutende
Einflufs, den er in weiten Kreifen geübt, und die eigen-
thümlichen Situationen, in die er hineingeführt worden ift,
rechtfertigen ebenfo eine befondere Darfteilung feines
Lebensbildes, als fie dazu reizen. Und in Dalton hat
Gofsner feinen rechten Biographen gefunden, der die an
ihm bekannte Gabe feffelnder und anfehaulicher Darfteilung
, durchfichtiger Gruppirung des Stoffs und finnigen
gefchichtlichen Verftändnifses auch hier vollkommen
bewährt.

Der Verf. hat aus reichen, bisher unbekannten,
höchft intereffanten Quellen gefchöpft, aus denen ein
neues Licht auf verfchiedene Lebensperioden Gofsner's,
fowie auf den Charakter feiner Zeit und hervorragende
Zeitgenoffen fällt. Ganz befonders gilt dies von der
mächtigen Gährungsperiode des jugendlichen Gofsner,
die aufs Engfte verflochten ift mit der ganzen reforma-
torifchen Bewegung, die fich in der katholifchen Kirche
Ende des vorigen und Anfangs diefes Jahrhunderts vollzogen
und die von Sailer's vertiefender und verinner-
lichender Perfönlichkeit ihren bedeutendften Anftofs
empfangen, auch eine Zeit lang in ihm ihren Mittelpunkt
hatte, bis die energifcheren Jünger über den edlen
Meifter hinausgingen. Mit grofser Liebe zeichnet der
Verfaffer den fchönen inneren Gang feines Helden, diefer
ebenfo glaubenstapferen, als glaubensinnigen, auf
dem Wege des Gewiffens zur evangelifchen Wahrheit

kühn vorwärts dringenden, lauteren Nathanaels- und
Priefterfeele, und der eng mit ihm verbundenen Freunde,
volksthümlich-frifcher und tiefreligiöfer Gehalten. Es
liegt ein eigenthümlicher Reiz auf ihrem warmen Glaubensleben
, ihrem brüderlich-trauten Verkehr und ihrer
feelforgerlich-trcucn Arbeit, die fie zum Theil in ftiller
Verborgenheit unter den Verfolgungen der Kirche mit
grofsem Segen treiben, von der begeifterten Liebe ihrer
Gemeinden getragen.

Nicht minder ift der Verf. in der glücklichen Lage
gewefen, über die Wirkfamkcit G.'s in Petersburg und
über die Zuftände dafelbft in jener Zeit aus feiner näch-
ften Umgebung Auffchlüffe zu empfangen, die von be-
fonderem Interefle für die Beurtheilung hiftorifch-bekann-
ter Perfönlichkeiten find , fowie namentlich für den
näheren Einblick in die Verbindung der kirchlichen und
der politifchen Reaction, deren Opfer G. wird.

Nicht immer ift nach unferem Eindruck der Verfaffer
der Verfuchung entgangen, die man bei feinem fchönen
Darftcllungstalent und bei dem reichen Stoff, den ihm die
Quellen darboten, wohl verlieht, den allgemeinen Hintergrund
der Zeit G.'s, von dem fich fein Lebensbild
eigenthümlich abhebt, zu ausführlich darzuftellen und
auf die allgemeine politifche und kirchliche Lage von
damals, oder auf den Boden der jeweiligen Wirkfamkcit
G.'s näher einzugehen, als es zum Verftändnifs des originellen
und intereffanten Lebensbildes nöthig ift.

Dresden. Meier.

Gizycki, Dr. Georg von, Die Ethik David Hume's in ihrer
gefchichtlichen Stellung. Nebft einem Anhang über
die univerfelle Glückfeligkeit als oberftes Moralprin-
cip. Breslau 1878, Koehler. (XVII, 357 S. gr. 8.)

M. 8. -

Den Hauptinhalt diefes Buchs bildet dem Titel ent-
fprechend eine Darfteilung der moralphilofophifchen Erörterungen
David Hume's. Der Verfaffer legt dabei die
fpätere Bearbeitung der Ethik Hume's: An inquiry con-
cerning the principles of moral zu Grunde, berückfichtigt
aber auch die frühere, im dritten Band des treatise of
human nature gegebene und berichtet einleitungsweife aus
andern Schriften feines Philofophen über deffen Theorie
der Affecte. Die Darftellung ift fo eingerichtet, dafs der
Bericht über den Inhalt der Hume'fchen Schriften mit
fehr ausführlichen Citaten wechfelt, und dafs fortwährend
kritifche Bemerkungen angeknüpft werden, letztere gröfs-
tentheils unter Bezugnahme auf die von fpäteren engli-
fchen Moraliften an Hume geübte Kritik. Im Grofsen
und Ganzen ift der Verf. ein begeifterter Verehrer Hume's,
und zwar betrachtet er es als das grofse Verdienft des-
felben, auf dem Wege der Newton'fchen Methode, der
Induction, den unumftöfslichen Beweis dafür geliefert zu
haben, dafs die Tendenz zum allgemeinen Wohl das
Grundprincip der Moral ift. Doch hindert ihn das nicht,
in manchen andern Punkten an den Sätzen Plume's Kritik
zu üben. — Vorausgefchickt ift diefer Darfteilung
ein kurzer Ueberblick über die englifche Ethik vor Hume,
in welchem mit Bacon begonnen wird, und angehängt
ift ein kurzer Bericht über die fpätere englifche Moral-
philofophie, der mit Bemerkungen über Darwin fchliefst.
— kindlich ift dem Buch als felbftändiger Anhang ein
eigener Effay des Verf.'s über die univerfelle Glückfeligkeit
als oberftes Moralprincip beigegeben; derfelbe fleht
aber mit dem hiftorifchen Theil in einem leicht erkennbaren
Zufammenhang, da auch im erfteren überall auf
dies Moralprincip hingewiefen und deffen Geltendmachung
als das unvergleichliche Verdienft Hume's gepriefen
wird.

Schon das mufs heute als Verdienft anerkannt werden
, wenn ein philofophifcher Schriftftcller fich eingehend
mit der Moral befchäftigt und diefelbe, wie der Verf.

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