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Ausgabe:

1879

Spalte:

54-57

Autor/Hrsg.:

Zezschwitz, G. v.

Titel/Untertitel:

Der Kaisertraum des Mittelalters in seinen religiösen Motiven. Vortrag 1879

Rezensent:

Nasemann, Otto

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Thcologifche Literaturzeitung. 1879. Nr. 3.

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aber hat man ein Recht, auch andere Uebereinftimmun-
gen zwifchen C. und H. aus directer Benutzung abzuleiten
. Mit Barnabas berührt fich der Verf. 35, 6: finitis
sex milibus a?inis immortalcs erimus' (B. 15> 4) ur,d im
39. Akroft., welche durch ATliche Beifpiele das Thema
illuftrirt: juniores Christo probatos'. (B. Ii). Im 41.
Akroft. de antechristi [fo fchreibt der Verf. bereits] tempore
und im 42.-45. (II, 1—4; find die chiliaftifchen
Vorftellungen, die fich an eine im Ganzen noch zutreffende
Erklärung der Apokalypfe knüpfen , kurz aber
voliftändig dargelegt (vgl. d. carm. apolog.). Der Verf.
übertreibt aber die finnlichen Ausführungen der Apokal.
gewaltig; f. I, 44 (II, 3 Ludw.), 9 sq.: , Et generant ipsi
per annos mille vubentes. Comparantur ibi tota vectigalia
terrae, Terra quia nimium fundit sine fine novata1.

Bedeutend werthvoller ift das 2. Buch, deffen Vor-
fchriften und Ermahnungen für die Gefchichte der latei-
nifchen Kirche im 3. Jahrh. noch nicht ausgebeutet find.
Trotz oder vielmehr bei aller dogmatifchen Unbe-
ftimmtheit zeugen die Paränefen von einem gefunden,
kräftigen Geift. Die fittlichen Vorfchriften find weder
asketifch noch enthufiaftifch überfpannt, beziehen fich
überall auf das concrete Leben und find praktifch und
durchführbar. In ihnen kündigt fich der Geift der
MAlichen lateinifchen Kirche an; ich verweife hierfür be-
fonders auf das 12. Akroft.: militibus Christi, auf das 17.
21. 22. ,Esto ergo talis', heifst es 17, 15^., ,qualem vult
esse te Christus; Mitis et in illo hilaris, natu saecido tristis
Excurre, labora, suda, cum tristitia pugna {Herrn. Mand.
IO). Spes cum labore venit et victoriaepalma donatur'.
Aber, fährt der Verf. fort: ,Si refrigerare cupis, ad mar-
tyres i, Exspecta requiem futurorum transitu mortis1. Wie
befonnen ift, was er Akr. 21: martyrium volenti anräth
und Akr. 22 über das bellum cottidianum bemerkt.

Die Abfaffungszeit der Instructiones wage ich z. Z.
nicht genauer als c. 240—c 311 anzugeben (Märtyrer und
Martyrium II, 6. 17. 21. 22. 32). Ebert empfiehlt die
JJ. 235—240, Alzog c. 311. Die Deutung der tres im-
perantes I, 41, 6 auf die Zeiten Diocletian's (Alzog 3
S. 341) fcheint mir fehr gewagt; während die Mahnungen
II, 6, 2 sq.: jmpia martyribus odia reputantur in
ignem; Destruitur martyr, cuius est confessio talis1 etc.
ebenfogut auf die Zeit der decianifchen Verfolgung und
ihre traurigen Nachfpiele als auf die diocletianifche gedeutet
werden können. Aus der Chriftologie des Verf.'s, die
man nur fehr ungefchickt Patripaffianismus nennen kann
— der Verf. ift fo wenig Chriftologe im ftrengen Sinn
wie Arnobius — folgt lediglich Nichts. Bedeutfam aber
und aller Beachtung werth ift der allgemeine chriftliche
Standpunkt des Dichters. Sein Chriftenthum ift Monotheismus
und Moralismus mit chriftlicher Färbung einer-
feits und grober Chiliasmus andererfeits. Gefchichtlich
betrachtet ift feine Auffaffung in ihren Grundzügen fomit
wefentlich mit der Juftin's identifch, nur dafs bei diefem
doch noch jeder Zug die Zeitnähe der älteften Generationen
verräth und werthvolle Reminiscenzen überall
fich finden, während bei Commodian der Chiliasmus zwar
feftgehalten , ja gefteigert erfcheint, das Urchriftliche
fonft aber verblafst oder verfchwunden ift und der Zu-
fammenhang der kräftig entwickelten Moral mit der reli-
giöfen Anfchauung faft noch unerkennbarer ift als bei
Juftin (jedoch ift der Einflufs des kirchlichen Bufs-
inftituts überall bemerkbar, f. bef. II, 8>.

Wir haben hier fomit mindeftens noch 100 Jahre nach
Juftin ein Chriftenthum, welches weder von der Theologie
der antignoftifchen KW., noch fpeciell von der der Alexandriner
berührt ift, an welchem die dogmatifchen Kämpfe
und Errungenfchaften der Jahre 150—250 fpurlos vorübergegangen
find, zu deffen Erklärung der Hiftoriker,
bei Juftin den Ausgangspunkt nehmend, lediglich des
Recurfes auf die Zeit, die vis inertiae und die in etwas
geänderten Dispofitionen der griechifch-römifchen Cul-
turwelt bedarf. Auch in der Schriftbenutzung zeigt diefes

Chriftenthum fich confervativ: die Schriften des A. T.
und die Apokalypfe find noch immer die gebrauchteften
(der index testamenti utriusque Ludwig's, der übrigens fo
wenig voliftändig ift, wie der fleifsig gearbeitete index
verborum — z. Ii. synagoga I, 24, 11, ecclesia I, 27, 22,
martyr vv. II. —, verdeckt diefen Thatbeftand). Commodian
fteht nicht allein, noch find die bei ihm auf-
gewiefenen Merkmale zufällige. Man darf an Arnobius,
an Lactanz, ja noch an fpätere abendländifche Theologen
j des 4. Jahrh.'s erinnern. Im Morgenlande werden fich
j feit dem Anfang des 3. Jahrh.'s nur wenige Schriftfteller
den Einflüffen der neuen Kirchendogmatik haben entziehen
können — wenigftens kennen wir folche nicht; felbft
Marcellus dürfte kaum genannt werden. Aber das Chriftenthum
, welches Commodian bekennt, ift nach vielen Anzeichen
in weiten Kreifen des Abendlandes das populäre
gewefen, welches die Gemüther gewonnen und die
Wünfche befriedigt hat. Erft feit der 2. Hälfte des 4.
Jahrhunderts zieht die griechifche Theologie, welche
ein Hippolyt für das Abendland allem Anfchein nach
| vergebens cultivirt hatte und die Victorinus, obgleich
, noch mit viel abendländifcher Eigenthümlichkeit, ohne
■ grofse Erfolge verwerthet hat, in das Abendland ein;
i aber völlig heimifch find kaum ihre Refultate geworden,
: gefchweige fie felbft. Indefs — vergleicht man das
Chriftenthum eines Athanafius mit dem eines Commodian
oder Lactanz, fo kann bei aller Abneigung gegen die
fophiftifche und rhetorifche Kirchendogmatik vonAlexan-
I drien das Urtheil nicht ausbleiben, dafs jenes nicht nur
i über einen grofsen Schatz NTlicher Kernfprüche verfügt,
fondern auch eine in ihrer Art vollftändige und nicht
unwürdige Auffaffung der fpeeififchen Bedeutung des
Chriftenthums als Religion umfchliefst. Dagegen vermag
der confervirte Chiliasmus als Aequivalent nicht aufzukommen
. Ift nun die Theologie der Lateiner in ihrem
Aufriffe mit der der Griechen wefentlich identifch, fo
ift fie zugleich mit ihr verglichen unvollftändig und dürf-
j tig, ihr fomit untergeordnet. Andererfeits haben die
Lateiner des 3. u. 4. Jahrhunderts noch andere als blofs
asketifche Grundfätze in Wirkfamkcit gefetzt; aber erft
Auguftin hat den praktifchen Grundzug des abendländi-
fchen Chriftenthums als chriftlich legitimirt.

Leipzig. Ad. Harnack.

1. Zezschwitz, Prof. Dr. G. v., Der Kaisertraum des

Mittelalters in seinen religiösen Motiven. Vortrag in
Stuttgart am 3. Januar 1877 gehalten. Leipzig 1877,
Hinrichs. (31 S. gr. 8.) M. — 60.

2. Zezschwitz, Prof. Dr. Gerh. v., Vom römischen Kaisertum
deutscher Nation. Ein mittelalterliches Drama.
Nebft Unterfuchungen über die byzantinifchenQuellen
der deutfehen Kaiferfage. Mit Fcfm. in Lichtdr. Leipzig
1877, Hinrichs. (VII, 248 S. gr. 8.) M. 5. 60.

3. Wedde, Johs., Das Drama vom römischen Reiche deutscher
Nation, eine nationale Dichtung aus Barbaroffa's
Zeit, zum erften Male überfetzt. Hamburg 1878,
Grädener. (64 S. 8.) M. 1. 20.

4. Zezschwitz, Prof. Dr. Gerh. v., Das Drama vom Ende
des römischen Kaisertums und von der Erscheinung des
Antichrists. Nach einer Tegernfeer Hdfchr. des 12.
Jahrhunderts in deutfeher Ueberfetzung, mit Einleitung
. Leipzig 1878, Hinrichs. (75 S. gr. 8.) M. 1. 20.

Es ift dem Referenten nicht leicht geworden, mit der
zweiten der vorftchenden Schriften und ihrem Inhalte
zu einem ficheren Abfchluffe zu gelangen, und felbft
jetzt, nachdem er die Bcfchäftigung damit wiederholt
aufgenommen hat, bleibt ihm Manches problematifch.
Wenn dies Eingeftändnifs einerfeits eine gewiffe Ent-