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Ausgabe:

1879

Spalte:

51-54

Titel/Untertitel:

Commodiani Carmina recognovit Ern. Ludwig. Partic. prior: Instructiones complectens 1879

Rezensent:

Harnack, Adolf

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51 Theologifche Literaturzeitung. 1879. Nr. 3.

Commodiani Carmina recognovit Ern. Ludwig. Partie,
prior: Instructiones complectens. Lipsiae 1878, Teub-
ner. (LXXVII, 86 S. 8.) M. 1. 80.

Der Ausgabe des Carmen apologeticum (1877) find die
Instructiones rafch gefolgt. Der Verfaffer hatte urfprüng-
lich nur jenes veröffentlichen, wollen, während des Druckes
aber feinen Plan geändert. So ift das Carvi. apol. als
partiada posterior zuerft erfchienen und die nun vorliegende
partic. prior vervollftändigt (p. V—IX) erft die
Prolegomena für dasfelbe.

Fraefatio p. X—XX handelt der Verf. von den kri-
tifchen Hülfsniitteln für die Instructiones. Die editio
prineeps des Rigaltius v.J. 1650 ruht auf einer Abfchrift
eines alten Codex, welche er von J. Sirmond erhalten
hatte; nach Baluzius, der denfelbtn öfters gefehen zu
haben behauptet, eines Cod. S. Albini apud Andegaven-
ses. Alle fpäteren Ausgaben find mehr oder weniger
kritifch beforgte Abdrücke der edit. prineeps. Lacro-
zius, Schurzfleifch.Davifius, (Dehler (1847, haben
fich durch Conjecturalkritik um den Text verdient gemacht
. Erft Pitra (Spicil. I 543. IV 224 sq.) hat aus einem
Leydener und einem Parifer Apographum neue Lesarten
mitgetheilt, welche auch fchon Kälberiah in feinem
Curarum Comtnod. Instruct. speeimen (1877) berückfichtigt
hat. Der Herausgeber fuchte den Codex X. Albini zu
erhalten; aber derfelbe war in der Bibliothek nicht mehr
zu finden. Einen zweiten Codex hat Montfaucon in der
Bibliothek zu Padua conftatirt; aber Nachforfchungen
ergaben, dafs derfelbe verfchwunden fei. Eine dritte
Handfchrift endlich (saec. XI membran.) befindet fich in
der berühmten Bibliothek des Thomas Philipps zu Mid-
dlehill (Nr. 1825 Hänel p. 861). ,Equidem tertiam repul-
sam tuli, cum is, qui nunc illam splendidissimam biblio-
thecam possidet, a nie acerbissime majores pecunias exaetu-
rus esset, quam quas pendere passem, ut avaritia hominis
istius insolentis, qui litteras grandi pecunia venditat, librum
inspicere prohiberer.1 Wie dem auch fein mag — der
Verf. fah fich unter dieien Umftänden leider auf die
editio prineeps und die beiden Apographa angewiefen,
auf welche Pitra aufmerkfam gemacht hatte. Diefe
hat er genau collationirt. Das Leydenfer (A) flammt
ungefähr aus dem 17., das Parifer (B) aus dem 16. Jahrh.
Beide find forgfältig gefchrieben, jenes mit Correcturen
von der erften Hand, diefes mit wichtigen Verbefferungen
einer anderen Hand (B-), die entweder aus neuer Vergleich-
ung mit dem Archetypus oder aus der Collation einer
zweiten Handfchrift gefloffen find. Ueberhaupt ift B
der vorzüglichere Codex, den der Verf. darum auch
der Ausgabe zu Grunde gelegt hat. Bereits Pitra hat
darauf hingewiefen, dafs B identifch fein müffe mit dem
Apographon Sirmondi, Ludwig bringt diefe Hypothefe
zur Evidenz. Die Differenzen zwifchen der editio prineeps
und B kommen auf Rechnung von Nachläffigkeiten
des Rigaltius. ,Quam ob causam scripturas apographi
Sirmondi in variis lectionibus non reposui, sed, ut error
tolleretur, equidem graviora iis locis, quibus nostra collatio
contra Rigaltianum pugnabat, Herum itcrumque inspexi.1
Somit fällt die editio prineeps als felbftändiger Texteszeuge
fort. Was das Verhältnifs von A u. B betrifft,
fo weift Ludwig nach, dafs A nicht aus B flammen kann,
aber auch B 1 kann nicht aus A gefloffen fein; wohl aber
find AB1 fo verwandt, dafs fie Abfchriften eines und
desfelben Archetypus fein müffen, ,quem fuisse Middle-
hillcnsem verisimile est, nam aenigmata illa, quorum Hae-
nelius mentionem facit, agnoscere mihi videor in sententiis
Ulis miscellaneis. Jani cum Baluzio teste J. Sirmondus
apographum suum ex codice S. Albini Andeg. transscripserit,
concluäere licet, librum ms. olim Andegav. nunc in biblio-
theca Mediomontana adservari'. Darnach würde alfo, da
der Cod. Fatav. verfchollen, derlVliddlehillenfis der Archetypus
für das apogr. Sirmondi, fomit für die editio prineeps
, und für A u. B fein. Doppelt bedauerlich, dafs der
Herausgeber ihn nicht hat ehifehen können!

Bei der Dunkelheit der lingua rustica, in welcher
Commodian gefchrieben, kann man fich nicht wundern,
dafs die fpäten Abfchriften des 16. und 17. Jahrhunderts
von zu einem grofsen Theile unheilbaren FAhlern wimmeln
. Der Herausgeber hat überall einen lesbaren Text
herzuftellen verfucht — was freilich nicht durchgängig
gelingen konnte —, die Ueberlieftrung möglichft feftge-
halten und ift überhaupt mit rühmenswerther Umficht
verfahren. Indeffen darf man doch fragen, ob es nicht richtiger
gewefen wäre, im Texte felbftdie Conjecturen durch
andere Schrift anzudeuten. Auf Einzelheiten einzugehen,
ift hier nicht der Ort. An einigen Stellen möchte ich
1 zur LA der editio prineeps zurückkehren. So dürfte I,
I 31, 9 ,egoi (mit B edd.) gegen ,ergo' (A?) zu lefen fein.
Bekanntlich beliehen die Instructiones aus 2 Büchern,
von denen das erfte nach den Handfchriften 41, das
zweite 39 Akrofticha enthält (Ebert zählt unzweifelhaft
richtig 45 + 35, Oehler 42 4- 38); jenes hat apologetifch
polemifchen Charakter und wendet fich an Pleiden und
Juden, diefes ift paränetifeh und gilt der Gemeinde. Der
; poetifche Werth kann fchon nach der geiftlofen Akro-
ftichen-Spielerei abgefchätzt werden. Ueber die Versbildung
, die durch den Accent beherrfcht ift, vgl. Ebert,
Lit.-Geich. S. 89 f. Die Ausbeute, welche das erfte Buch
für die Kirchen- und Dogmengefchichte gewährt, ift
; nicht eben grofs, fo wichtig es ift, um eine verbreitete
1 Stimmung der Zeit richtig zu erkennen. Das Chriften-
thum, welches der Verf. gegenüber der Theokrafie weni-
| ger vertheidigt als ausfpricht, erfchöpft fich in den Gedanken
der Einheit Gottes, des Gefetzes des allmächtigen
Herrn (22, 8. 25, 10. 26. 29, 14. 32, 6. 35, 14 sq.
II, 1 , 5 sq. etc.), der Unfterblichkeit in der Befreiung
I vom Tode durch das Werk des lebendigen Gottes Chriftus
und dem dramatifchen Weitende nach der Schreckens-
herrfchaft des wiederkehrenden Nero. Darüber hinaus
deutet er nichts an, ja er legt jene Gedanken kaum aus-
| einander, fondern benutzt fie wie Stichworte und Formeln
; aber er kennt doch noch eine andere Abzweckung
derfelben als die blofse Askefe, fo fehr ihm auch diefe
gegenüber den tiefen Schäden der Zeit im Vordergrund
fleht. Deutlich aber zeigt feine Schrift, wie die heid-
nifchen Zeitgenoffen trotz aller Zweifel an Gott und
Unfterblichkeit und trotz des noch gehegten Polytheismus
, zu deffen Kenntnifs der Verf. werthvolle Beiträge
geliefert hat, doch von der für das 3. u. 4. Jahrh. fo
charakteriltifchen Frage bewegt find: ,quis est qui a
morte redemitr' (24, 15). Indemfelben Akroftichon ift die
Schilderung folcher, welche bald in die chriftliche Kirche,
bald in dieTempel laufen (tl sq.), von Bedeutung (,Quid in
synagoga decurris saepe bifarius? Ut tibi misericors fiat
quem denegas ultro P Exis inde foris, Herum tu fana re-
quiris'. Hier kann unter synagoga' nur das chriftliche
Kirchengebäude verftanden werden, obgleich der Verf.
39, 1 f. [f. auch 27, 22 u. fonlt] zwifchen synagoga und
ecclesia unterfcheidet; vgl. avvayvjyi, MaQY.uoviö%wv vom
J. 318 9 Ztfchr. f. wiff. Theol. 1876 S. 102 f. und meine
Bemerkungen zu Herrn. Mand. XI, 9). Die ganze Art
der Paränefe erinnert an vielen Stellen fehr lebhaft an
den Hirten, obgleich die Adreffe eine andere ift und
die Verfchiedenheit der Zeiten fich geltend macht (vgl.
bei". Akroft. 22: hebetudo saeculi. 23: de ubique parotis.
24: inter utrumque viventibus. 25: qui timent et non cre-
dunt. 29: diviti incredulo malo. 30: divites humiles estote.
31: iudicibus. 32: sibi placentibus, etc.) Um fo willkommener
mufs der Nachweis einer directen Abhängigkeit
Commodian's von Hermas fein. Er kann, wie ich leider
erft jetzt bemerke, aus 30, 15 f. ficher gefuhrt werden.
Dort wird den Reichen gefagt: ,Estote comes (?) mini m/s,
dum tempus habetis, Sicut ulmus amat vitem, sie
ipsi pusdlas' (vgl. auch vv. 18—20). Dies ift ohne Zwei-
j fei aus dem 2. Gleichnifs des Hermas entlehnt. Dann