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Ausgabe:

1879

Spalte:

624-626

Autor/Hrsg.:

Sperber, Ed.

Titel/Untertitel:

Pädagogische Lesestücke aus den wichtigsten Schriften der pädagogischen Classiker. 1 - 3. Heft 1879

Rezensent:

Strack, Carl

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623 Theologifche Literaturzeitung. 1879. Nf- 2<5- 624

zes (S. loS—132). Die urfprünglichfte und gewöhn-
lichfle Form des Kreuz.es war ein einfacher Pfahl ohne
Querholz u. dgl. (S. 109 ff.). Das Querholz, welches
allerdings häufig dazu kam, ift an fich nichts anderes
als das fogenannte patibulum, d. h. ein einfacher Balken
, an welchen der Verurtheilte mit ausgeftreckten
Armen feftgebunden wurde und mit welchem er fo zur
Richtftätte geführt wurde. Häufig wurde er gleich an
diefem an den Pfahl hinaufgezogen; und fo entftand
diejenige Form des Kreuzes, welche wir uns gewöhnlich
vorftellen, wenn vom ,Kreuz' die Rede ift. Da
aber der einfache Pfahl als die gewöhnliche Form
anzunehmen ift, fo fetzt der Verf. einen folchen auch
bei der Kreuzigung Jefu voraus (vgl. S. 217 IT.). —
Der letzte Abfchnitt des allgemeinen Theiles unter-
fucht das Verfahren bei der Exccution felbft und was damit
zufammenhängt (S. 133—189). Sehr radical ift hier
des Verf.'s Kritik in Betreff des Annageins der Gekreuzigten
. Während man bisher es nur tür fraglich
hielt, ob auch die Füfse angenagelt wurden, fpricht der
Verf. feine Ueberzeugung dahin aus, ,dafs man bei der
Kreuzigung in Maffe wohl überhaupt meift nur angebunden
hat' (S. 153). Damit fchiefst er doch wohl
über das Ziel hinaus. Selbft bei den fchauerlichen
Maffenkreuzigungen vor Jerufalem im J. 70 fpricht Jo=
fephus ausdrücklich von einem Annageln {Bell. Jud.
V, II, I: nQoai'jhovv d' oi axqaxiüxai öl hqyijr y.ul
ftioog xoig akövrag dllov dlJ.u) ayrytaxi). Richtig dagegen
wird es fein, wenn Fulda annimmt, dafs ein Annageln
der Füfse ad libitum bald gefchah, bald nicht
gefchah, denn für beides finden fich Belege (S. 153 ff.).

In einem befondern Abfchnitt unterfucht er dann
noch die näheren Umftände bei der Kreuzigung Jefu
(S. 190—248). In der viel ventilirten PVage, ob hiebei
ein Annageln der Fufse ftattgefunden habe, entfeheidet
fich der Verf. im verneinenden Sinn (S. 209 ff. und dazu
d. ausführl. Excurs S. 264—298). Infofern die fpärlichen
Andeutungen der Evangelien hier überhaupt einen Schlufs
geftatten, fcheint mir dies allerdings das überwiegend
wahrfcheinliche. Ein wefentlichcs Intereffe haftet an
der Frage freilich nur für den, der hiebei dogmatifche
Gefichtspunkte mit einmifcht, was der Verf., wie ihm
ausdrücklich bezeugt werden mufs, nicht thut.

Aufser dem fchon erwähnten Excurs über das Annageln
der Füfse enthält der Anhang noch Excurfe über
die biblifche Begründung der Todesftrafe (S. 249-253),
über die Geftalt der römifchen furca (S. 254—263: nach
demVerf. eine Gabel, durch welche man dieWagen-Deichfel
zu ftützen pflegte, wenn dieZugthiere ausgefpannt waren),
und über die Literatur in Betreff unferes Gegenftan-
des (S. 299—328). — Bei der Literatur hätten neben
den Darftellungen des Lebens Jefu von Hafe und Straufs
doch auch Werke wie: Langen, Die letzten Lebenstage
Jefu (1864) S. 278—353, und Keim, Gefchichte Jefu Bd.
III (1872) S. 409 ff., auch etwa Marquardt, Römifche
Privatalterthümer I, 192 ff., und die Artikel von l7ried-
rich in Reufch's Theol. Literaturbl. 1875, Nr. 17 — 19
erwähnt werden follen.

Ziemlich kurz hat der Verf. 'S. 133 f.) eine Frage
behandelt, die in neuerer Zeit in zwei dem Verf. entgangenen
franzöfifchen Abhandlungen ausführlich unterfucht
worden ift, nämlich: Durch wen die Kreuzigung
vollzogen wurde? S. hierüber: Le Blaut, Recherchcs
sur les bourrcaux du Christ et Sur /es agents charges des
executions capitalcs chez les Romains {Memoircs de l'Aca-
demie des Inscriptions et Belles-Lcttres T. XXVI, P. 2,
1870,/». 127 — 150), und Naudet, Memoire sur cette double
qnestion: I. these particuliere, Sont-ce des soldats qui ont
crueifie Jesus-Christ? 2. these generale, Les soldats ro-
mains prenaient-ils nur pari active dans /es supplices?
(ebendaf. p. 151 —187;. — Le Blant fucht, namentlich
aus den Märtyreracten, nachzuweifen, dafs die Todes-
urtheile niemals von eigentlichen Soldaten vollzogen

wurden, fondern von eigens hiezu angeftellten Henkern,
welche zum Dienftgefolge — oder wie der technifche
Ausdruck lautet: zu den apparitores — der Provinzial-
ftatthalter gehörten. Auch bei der Kreuzigung Chrifti
fei an folche apparitores zu denken. Naudet beftreitet
jenes wenigftens für die frühere Kaiferzeit und hält die
Henker Chrifti für eigentliche Soldaten. Dies wird
wohl auch das Richtige fein. Der Fehler Le Blant's
beftcht in einem zu Harken Schematifiren und in der
Uebertragung des in formeller Beziehung viel ftrenger
geregelten Rechtsverfahrens der fpäteren Kaiferzeit in
die irühere.

Das Buch von Fulda hat unleugbar das Verdienft,
auf Grund einer durchaus felbftändigen Durcharbeitung
des gefaminten Materiales die Unficherheit refp. Unrichtigkeit
fo mancher herkömmlichen Anflehten nachge-
wiefen zu haben. Die Kritik des Verf.'s ift faft durchweg
zutreffend. Er läfst fich nirgends ein X für U
vormachen, fondern geht den Dingen immer mit fchar-
fem und nüchternem Urtheil auf den Grund. Und fo
wird man auch feinen Refultaten in den meiften Punkten
beizuftimmen haben. Aber je bereitwilliger dies Alles
anzuerkennen ifl, um fo mehr ift die Form zu bedauern,
welche der Verf. feinem Buch zu geben beliebt hat.
Mit unfäglicher Schwatzhaftigkeit zieht er fortwährend
die entlegenften Dinge in die Darftellung herein, ohne
andern erkennbaren Zweck als eben nur den: feinem
geprefsten Herzen über alle möglichen Schäden der
Gegenwart und Vergangenheit Luft zu machen. Und das
oft in Ausdrücken und Wendungen, die man fich kaum
in der leichten Converfation, gefchweige denn in einer
ernften wiffenfehaftlichen Unterfuchung gefallen läfst.
Als Probe vgl. z. B. S. 79: ,Peter der Erlte, den man
trotz feines Schnapfes auch den Grofsen nennt', S. 105:
,auch die Römer hatten ihr Cayenne zum Röften der
Mifslicbigen', S. 119: ,Die Damen nennen das kleine
Brett, das fie vor dem Kopfe haben, noch immer einen
Hut, obfehon es keine Aehnlichkeit mehr hat mit dem
alten hütenden Kleidungsftück auf dem Kopfe'. —
Auch abgefehen von dielen zahllofen Allotriis ift die
Darftellung unerträglich breit und weitfehweifig. Wenn
der Verf. fich nur einigermafsen bemüht hätte, kurz und
bündig zu fchreiben, fo hätte er feinen Gcgenftand mit
genau derfelben erfchöpfenden Gründlichkeit auf etwa
IOO Seiten behandeln können, ftatt auf 300!! —

Von den Fragen, die der Verf. hie und da aufwirft,
fei wenigftens eine beantwortet. Die von Lipfius citir-
ten acta, welche Fulda nicht zu finden wufste (S. 149
oben), find die u. A. auch bei Ruinart {Acta primornm
martyrum) abgedruckten Acta Pionii.

Giefsen. E. Schürer.

Sperber, Sem.-Dir. E., Pädagogische Lesestücke aus den

wichtigften Schriften der pädagogifchen Claffiker. Als
Unterlage für den Unterricht in der Gefchichte der
Pädagogik und zur Förderung der Privatlectüre evan-
gelifcher Seminare unter Mitwirkung des Hrn. Reg.-R.
Dr. Schultz hrsg. 1 — 3. Hft. Gütersloh 1877—79,
Bertelsmann. (VII, 232; 236 u. III, 288 S. gr. 8.)
M. 7. 80.

Die Wichtigkeit der Gefchichte der Pädagogik, diefer
bis zu Anfang unferes Jahrhunderts vernachläffigtcn
Wiffenfchaft, wird immer mehr anerkannt, und namentlich
wird auf eine forgfältige Behandlung derfelben in den
Lehrer-Seminaren immer ernftlicher gedrungen. Wir
können fagen: mit Recht. Denn die Gefchichte einer
! jeden Wiffenfchaft trägt nicht wenig zum Verftändnifs
! derfelben bei und fchärft das Urtheil über die in derfelben
ausgefprochenen Grundfätze. Darum ift die Ge-
j fchichte der Pädagogik und insbefondere des Volks-
i fchulwefens feit den letzten Decennien, ja wir können