Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1879 Nr. 2

Spalte:

40-41

Autor/Hrsg.:

Erdmann, Benno (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Immanuel Kant’s Kritik der reinen Vernunft 1879

Rezensent:

Pünjer, Bernhard

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

39

Theologifche Literaturzeitung. 1879. Nr. 2.

40

(S. 2). Für die Art der Widerlegung gebe ich ein Bei-
fpiel. Rothe hielt bekanntlich die Schöpfung für einen
nothwendigcn Act Gottes, und er begründete dies aus
der Thatfache des göttlichen Selbftbewufstfeins in der
Weife, dafs Gott, wenn er fich als Ich vollziehe, noth-
wendig auch fein Nichtich denken und fetzen müffe;
nicht kraft phyfifcher, aber vermöge moralifcher (per-
fönlicher) Nothwendigkeit müffe er fich fein Nichtich,
(das zunächft als Materie zu denken ift) contraponiren
(f. Ethik § 40 ff., Dogmatik § 38 ff.). Ich fetze Lange's
Entgegnung einfach hierher; fie lautet S. 16: ,Wie ift
doch die antike Materie des Plato und des Ariftoteles
fo weit weniger bedenklich für die reine Gottesidee! (?)
Und was fagt die Analogie alles menfchlichen Bewufst-
feins zu diefer Schlechterdings' anzunehmenden Fiction ?
Mufs der Menfch, um fein Bewufstfein zu vollziehen,
feinen contradictorifchen Gegenfatz denken, fogar fetzen?
Es mag allerdings folche Hypochonder geben'.

Die philofophifche Ethik, die nach L. einen Theil
der theologifchen Ethik ausmachen foll (vgl. Theol. Lit.-
Zeitg. 1878 Nr. 13 S. 307), entpuppt fich in der in der
Vorverhandlung gegebenen Skizze als eine Gefchichte
der vorchriftlichen menfchlichen Sittlichkeit, die angewandte
Ethik als eine Gefchichte der ethifchen Grund-
fätze der Welt, beide unter der Beleuchtung des chrift-
lichen Gewiffens refp. des chriftlichen ethifchen Princips.

Breslau. L. Lemme.

Heinsius, A., Die gegenwärtige religiöse Frage in ihrer j
Hauptbedeutung Jedermann verftändlich erläutert und
beantwortet. Neue, umgearb. u. vervollftänd. Ausg.
der früher betitelten Schrift: ,Religion oder Philofo-
phie?' Zürich 1878, Verlags-Magazin. (63 S. gr. 8.)
AI. 1. —

Der Verfaffer bemerkt im Vorwort: ,Die Zeit, die
volle Zeit ift, wenn nicht alle, alle Zeichen trügen, da.
Das rechte und gerade Wort, es foll und mufs gesprochen
werden. So fei denn auch, was ich für's rechte
halte, jetzt und hier und auch gerade von mir ausge-
fprochen'. — Er findet, dafs der ,rege Sinn' und das
.lebendige Intereffe', welche in früheren Zeiten nicht i
blofs .unter den damaligen weniger, fondern auch unter
den damaligen höher und höchft' Gebildeten für die
,noch früheren Zeiten entflammenden und feitdem unter
uns Menfchen beftehenden Religionen' vorhanden gewe-
fen, ,unter uns der neueren Zeit Angehörenden, haupt- 5
fächlich aber unter uns Gegenwärtigen in einer beftän- j
digen, ununterbrochenen Abnahme' begriffen feien, und
feine Abficht geht dahin, diefe Erfcheinung felbft ,und j
zwar das Vorhandenfein derfelben' erftens zu erklären,
alsdann auf ihre .grofse und wichtige Bedeutung' auf-
merkfam zu machen und endlich die Aufgabe darzu- |
ftellen, welche uns felbft aus derfelben erwachfe (S. 5. 6).

Schon die vorftehend zwifchen Anführungszeichen
eingefchloffenen Worte des Verf.'s laffen erkennen, dafs
es fo fchlimm nicht gemeint fein kann, wenn er fich |
wiederholt auf ftreng logifches Denken und Verfahren
beruft: es ift eine wahre Qual, bei der Leetüre die
fchrecklich verfchrobenen, unklaren Sätze des Schriftchens
immer erft zurechtconftruiren zu müffen, um ihren
Sinn zu errathen. An dem Vorzuge, welcher fonft oft
Schriftfteller feiner Gerinnung auszeichnet, wenigftens
deutlich zu fagen, was fie meinen, hat Heinfius durchaus
keinen Antheil.

Was nun näher den Inhalt feiner Ausführungen anbetrifft
, fo verlohnt fich's nicht, eine eingehendere Skizze
zu entwerfen; nur möge noch wörtlich angeführt werden,
was er im 3. Theile als Aufgabe feinen Lefern empfiehlt:
,Wir Menfchen müffen', fo heifst es S. 49, ,infoweit wir's
nicht fchon bereits gethan und thun mufsten, aufhören
und zwar grundfätzl ich aufhören, noch länger an

die Lehren der Religionen zu glauben und diefelben zu
befolgen, d. h. aufhören, noch länger zu glauben und
zu hoffen, dafs wir nur auf übernatürlichem Wege und
nur in übernatürlicher Weife und zwar nur durch einen
Gott und in einer andern Welt und erft nach unferem
Tode glückfelig werden könnten, und aufhören, noch
länger auch nach diefem Glauben und Hoffen zu leben
und zu handeln; und ftatt de f fen glauben, und thun
und laffen, was wir nach einem auf unferem gegenwärtigen
Wiffen beruhenden und dabei zugleich auch folgerichtigen
, oder was wir nach einem wahrhaft philofo-
phifchen Denken zu glauben und zu hoffen, und zu thun
und zu laffen haben, um noch einmal glückfelig zu
werden, d. h. glauben und hoffen, dafs wir nur auf natürlichem
Wege und nur in natürlicher Weife und zwar
nur durch uns felbft und in der gegenwärtigen Welt und
fchon während unferer Lebenszeit glückfelig werden
können, und nach diefem Glauben und Hoffen ftets leben
und handeln'.

Viele Lefer wird der Verf. zweifelsohne nicht finden,
was ja aber auch wegen des Inhalts, welchen er vorzubringen
hat, nicht zu bedauern ift.

Lennep. Lic. Dr. Thon es.

1. Kant's, Immanuel, Prolegomena zu einer jeden künftigen
Metaphysik, die als Wiffenfchaft wird auftreten können.
Hrsg. und hiftorifch erklärt von Benno Erdmann.
Leipzig 1878, Vofs. (X, CXIV, 155 S. gr. 8.) M. 4. —

2. Kant's, Immanuel, Kritik der reinen Vernunft. Hrsg.
von Benno Erdmann. Leipzig 1878, Vofs. (XVI,
676 S. gr. 8.) M. 7. 20.

3. Erdmann, Privatdoc. Dr. Benno, Kant's Kriticismus in

der erften und in der zweiten Auflage der Kritik
der reinen Vernunft. Eine hiftorifche Unterfuchung.
Leipzig 1878, Vofs. (XI, 247 S. gr. 8.) M. 4. 50.

Weit wichtiger als die hier vorliegenden neuen
Ausgaben von Kant's Kritik d. r. V. und Prolegomenen
find die beigegebenen fclinleitungen. Diefelben geben
werthvolle Beiträge zur Entwicklungsgefchichte Kant's
während der Jahre 1781—87 und zur Beftimmung des
Verhältnifses der erften zur zweiten Auflage feiner Kritik.

No. 1 behandelt die Jahre 1781—83, nämlich die Zeit
vom Erfcheinen der erften Auflage der Kritik bis zu den
Prolegomenen. Gleich nach dem Erfcheinen der Kritik
fühlte Kant felbft den Mangel der Darftellung gerade in
dem werthvollften Abfchnitt, in der Deduction der Kate-
gorieen. Ueberdies beklagte man allgemein die faft un-
aufhellbare Dunkelheit der Kritik. Beides veranlafste
Kant, einen .populären Auszug' der Kritik zu fchreiben.
Als derfelbe faft vollendet war, erfchien die Reccnfion
von Garve-Feder. Während für Kant der Schwerpunkt
feiner Unterfuchung in dem empiriftifchenRefultat lag, dafs
die Begriffe a priori .Nichts Anderes feien als die Bedingungen
des Denkens in einer möglichen Erfahrung' wurde
ihm hier Idealismus im Sinne Berkeley's imputirt. Das
veranlafste Kant, dem .Auszug' eine Reihe von erklärenden
kritifch-polemifchen Zufätzen anzufügen, und fo entftan-
den die .Prolegomena'. Die Zerlegung derfelben in die
beiden urfprünglichen, ihrer Tendenz nach durchaus
verfchiedenen Beftandtheile hat der Verf. vollzogen und
in dem vorliegenden Abdruck durch verfchiedenen Druck
kenntlich gemacht.

Aufserdem unterfucht der Verf. das fachliche Ver-
hältnifs der Prolegomena zur erften Auflage der Kritik.
Der urfprüngliche Auszug weicht fachlich von der Kritik
nicht ab, fondern enthält nur Veränderungen der Dar-
ftellungsart zum Zweck des leichteren Verftändnifses. Etwas
anders die kritifchen Zufätze. Hier'erleidet der Begriff
des transfcendentalen Idealismus allerdings keine inhaltliche
Veränderung, wohl aber eine Verfchiebung feiner