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Ausgabe:

1879 Nr. 2

Spalte:

578-580

Autor/Hrsg.:

Eisenlohr, Aug.

Titel/Untertitel:

Vierzig evangelische Kirchenlieder im Orginaltext und mit den Redactionsveränderungen aus 31 Gesangbüchern und Liedersammlungen als Vorarbeit bei Herstellung von Gesangbüchern und den Freunden der

Rezensent:

Bertheau, Carl

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577

Theologifche Literaturzeitung. 1879. Nr. 24,

578

viel zu wenig anerkannten Zufammenhang der theo-
logifchen Arbeit mit der Predigt, und weift dabei
fpeciell in fchlagender Weife nach, wie unter der Herrfchaft
des Intellcctualismus eine dem Chriftenthum fremdartige
Speculation durch die Theologie in die Predigt
übergegangen ift.

Aber fo fehr wir dem Verf. in den gedachten Beziehungen
beiftimmen, fo fcheint uns doch damit noch
nicht das volle löfende Wort für die Ueberwindung der
Hindcrnifse gefprochen zu fein, welche die Predigt des
Evangeliums auch bei Solchen unferer Modernen findet,
die nicht in principiellem Gegenfatz gegen das
Chriftenthum flehen, abgefehen davon, dafs doch in der
neueren Predigt entfehieden das Beftreben vorherrfcht,
nicht blofs Lehre und Dogmatik zu predigen, fondern
lebensvolle, fruchtbare Erkenntnifs zu verkündigen, wie
es übrigens felbft in den Zeiten der fog. proteflantifchen
Scholaftik ein Val. Herberger, ein Heinrich Müller u. A.
gethan. Ein Moment hat der Verf. ganz überfehen,
was uns für die Aufgabe der modernen Predigt in der
bezeichneten Richtung von befonderer Wichtigkeit fcheint.
Mit Recht hebt er hervor, dafs eine der Hauptideen des
modernen Lebens, die fog. Culturidee, an fich keineswegs
im Gegenfatz gegen das Chriftenthum fleht. Unleugbar
liegt nun für manche Befferen unter unferen
,Modernen' ein wefentlicher Anflofs an der Predigt in
dem Umftand, dafs in derfelben noch lange nicht genug'
Ernft gemacht wird mit der Befeitigung der falfchen
Scheidung zwifchen dem Profanen und dem Heiligen,
und mit der vollen, rückhaltlofen Anerkennung der Ordnungen
des natürlichen Lebens als göttlicher Ordnungen,
dem Princip unferer Kirche gemäfs. Der noch vielfach
mönchifche, gegen das moderne Leben
fcheue Charakter unferer Predigt entfremdet der Kirche
viel mehr, als man glaubt. Die verfchiedenen Seiten
des natürlichen und des geifligen Lebens mit chrifllich
ethifchen Gedanken zu durchdringen, und fo den Sauerteigscharakter
des Reiches Gottes zu bewähren , wie es
ein Claus Harms mit der inftinetiven Genialität feiner
volksthümliehen Predigt, wie es ein Schlciermacher und
ein Dräfeke mit Bewufstfein und mit der Meifterfchaft
feinfinniger Rhetorik gethan, das ift eine der Hauptaufgaben
unferer Predigt gegenüber dem ,modernen Geiftes-
leben'.

Nach diefer Seite hin enthalten die gleichzeitig vorliegenden
Predigten des Verf.'s manche treffliche Wendung
. Sie bieten fich dar als ein Beitrag zur Verwerthung
der biblifchen Theologie im praktifchen Schriftgebrauch,
verfuchen in diefem Sinne von pofitiv-evangelifchem
Standpunkte aus die Grundgedanken der paulinifchen
Lehre zum Verftändnifs der Gemeinde zu bringen und
zeichnen fich namentlich durch einen fchönen (ittlichen
Ernft aus, der mit fcharfem pfychologifchem Blick in
warmer eindringlicher Beredtfamkeit die ethifchen Wurzeln
, wie die ethifchen Confequenzen der grofsen evan-
gelifchen Glaubenswahrheiten aufzeigt, und auch gegen
herrfchende Vorurtheile von Links und Rechts eine frei-
müthige Sprache führt. Hin und wieder hätten wir an
folchen Stellen, wo der Verf. irrige Auffaffungen bekämpft
, eine gröfsere Vorficht im Ausdruck gewünfeht,
fpec. an der Stelle (S. 120), wo er in ziemlich mifsver-
ftändlicher Weife von dem Unterfchiede des natürlich! n
und des chrifllich erleuchteten Gewiffens redet. Gcwifs,
was der Verf. will, ift ganz richtig, und darüber ift auch
zu predigen, und das mit Nachdruck; aber das Gewiffen,
diefer alteile Apologet einer heiligen Gottesordnung in der
Welt, ift und bleibt auch in feiner natürlichen Geftalt eine
mächtige Inflanz, die wir nicht irgendwie im Bewufstfein
der Gemeinde und des Volkes wankend machen dürfen, zumal
in einer Zeit, wo die erften fittlichen und religiöfcn
Grundlagen in Taufenden unterwühlt find, und wo eine
gewiffenlole Skeplis auch das Gewiffen leugnet, und
lieh gelegentlich auch auf folche aus dem Zufammenhang
herausgeriffene, mifsverftändliche Stellen in unferen
Predigten beruft, wie die vorliegende! Wir haben alle
Urfachc, auch in unferen chriftlichen Predigten jene fromme
Ehrfurcht zu refpectiren, in welcher der alte Kant nichts
Erhabeneres kannte, als den Sternenhimmel über feinem
Haupte und das Sittengefetz in der Bruft. Stellenweife
verfällt der Verf. felbft, feiner eigenen Theorie nicht
getreu, in den Ton einer gewiffen Lehrhaftigkcit, und läfst
den Mann des Katheders zu fehr zu Worte kommen,
der auch mit Fremdwörtern, wie ,Princip, Product, Revers
', die leicht vermieden werden kennen, zu freigebig
ift. Die meiften Texte zu feinen Predigten hat der Verf.
der Natur der Sache nach dem Römerbrief, der Haupt-
fundgrubc der paulinifchen Theologie, entnommen.

Dresden. Meier.

Eisen lohr, Stadtpfr. Aug., Vierzig evangelische Kirchenlieder
im Originaltext und mit denRedactionsveränder-
ungen aus 31 Gefangbüchern und Liederfammlungen
als Vorarbeit bei Herftellung von Gefangbüchern und
den Freunden der Hymnologie zur leichteren Ver-
gleichung dargeboten. Karlsruhe 1879, Braun. (II,
144 S. gr. 8.) M. 1. 80.

In diefem Werke werden 40 der bekannteften Kirchenlieder
fo Zeile für Zeile abgedruckt, dafs unter jeder
Zeile des Originaltextes in kleineren Lettern und etwas
eingerückt die Abweichungen von demfelben angegeben
werden, die fich in 31 oder 32 Gefangbüchern befinden.
Der Verfaffer ficht das als ,eine Vorarbeit bei Herftellung
von Gefangbüchern' an; obwohl ein Jeder eine folche
Arbeit machen könne, fo machten fich doch wenige an
diefelbe; für ihn felbft ift diefe Arbeit nach S. 3 ,Vorläuferin
der künftigen, welche die Redaction der Lieder
vorfchlagen foll'. Doch auch ohne diefen praktifchen
Zweck ift eine folche Zufammenftellung, wie fie unferes
Wiffens noch nicht veröffentlicht ift, von nicht geringem
Intereffe; fchon dafs die unglaubliche Mannigfaltigkeit der
Veränderungen, welche mit dem Texte unferer Kirchenlieder
vorgenommen find, einmal fo überfichtlich zur
Anfchauung gebracht wird, ift für Jeden, der fich mit der
Gefchichte des Kirchenliedes befchäftigt, werthvoll.

Gegen die Auswahl der Lieder, die der Verf. getroffen
hat und die nach der Zeitfolge der Dichter geordnet
find, wird fich nichts einwenden laffen. Es fei
erwähnt, dafs Luther mit 5, Heermann mit 6, Gerhardt
mit 8 Liedern vertreten find, und dafs das jüngfte ver-
i glichene Lied Bogatzky's ,Wach auf du Geift der erften
Zeugen' ift. Dafs die Liederverbefferer auch gerade die
fpäteren, ihnen faft gleichzeitigen Lieder abänderten, wie
: z. B. Gellcrt'fche Lieder fchon von Diterich, ein Sturm'-
fches aus dem J. 1764 fchon im J. 1765 von Brunn, u.
dgl. m. überarbeitet wurden, wird dem Verf. nicht unbekannt
fein; es wäre vielleicht zur Vervollftändigung des
Bildes von diefer ganzen Thätigkeit gut gewefen, wenn
i wenigftens auch ein Beifpiel diefer Art, wie der Verf. deren
in den von ihm benutzten Gefangbüchern recht viele
hätte finden können, mitgctheilt wäre. Auffallend ift,
; dafs die Form der Lieder, die der Verf. für die urfprüng-
liche hält, es keineswegs immer ift; namentlich bei den
| Gerhardt'fchen Liedern, die der Verf. aus der Wacker-
nagel'fchen Ausgabe abgedruckt hat, ift oftmals als fpätere
Abänderung angegeben, was die urfprüngliche Faffung
Gerhardt's felbft ift. Dem Verf. ift wohl entgangen, dafs
' die Gerhardt'fchen Lieder in der Ebeling'fchen Sammlung
, die Wackernagel feiner Ausgabe zu Grunde legte,
fchon manche Veränderungen im Vergleich zu frühern
Drucken erlitten haben; mögen nun die Abänderungen
beiEbeling von Gerhardt felbft herrühren oder gebilligt fein
oder nicht, jedenfalls ift, wer einem frühern Druck diefer
Lieder folgt, nicht mit denen auf gleiche Stufe zu
Hellen, die nach eigenem Gutdünken an Gerhardt geän-