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Ausgabe:

1879 Nr. 24

Spalte:

575

Autor/Hrsg.:

Mosler, N.

Titel/Untertitel:

Zur Geschichte des Coelibats, mit besonderer Rücksicht auf die ersten christlichen Jahrhunderte 1879

Rezensent:

Köhler, Karl

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575

Theologifche Literaturzeitung. 1879. Nr. 24.

576

1. Mosler, Pfr. Dr. N., Zur Geschichte des Coelibats, mit

befonderer Rückficht auf die erften chriftlichen Jahrhunderte
. Aus den Urkunden. Heidelberg 1878, Weifs.
(48 S. gr. 8.) M. — 50.

2. Mosler, Pfr. Dr. N., Die kirchliche Bedeutung der Parti-
cular-Concilien und die praktische Stellung des Altkatho-
licismus auf der Synode von 1878, beleuchtet. Heidelberg
1878, Weifs. (25 S. gr. 8.) M. — 50.

Beide Brochüren befchäftigen fich mit der Frage des
Prieftercölibates, welche für den Altkatholicismus leicht
verhängnifsvoll werden könnte. Nr. I giebt einen von
tüchtiger Belefenheit des Verf.'s zeugenden Ueberblick
der Entftehung des Cölibatgefetzes als Begründung des
Verlangens nach deffen Befeitigung. Man wird dem
Verf. faft in allem Einzelnen zuftimmen müffen, fo in
dem Nachweis der Unechtheit des zu Gurrten des Cö-
libates fprechenden angeblichen Kanons der Synode von
Arles (a. 314) und der blofs örtlichen Verbreitung des
Cölibates bis zu Ende des 4. Jahrhunderts. Für irrig
müffen wir freilich die durch das Ganze hindurchgehende
Grundanfchauung erklären, wonach das Aufkommen des
Cölibatgebotes nur das Werk einer mit dem wahren
Geifte der Kirche in Widerfpruch handelnden .Mönchspartei
' gewefcn wäre. Es ift in der That aus dem
eigenften Geifte des Katholicismus erwachfen.

Nr. 2 fucht die Berechtigung der altkatholifchen
Synode zur Aufhebung des Cölibatgefetzes für ihre Prie-
fter nachzuweifen. Der Verf. bringt auch hier Gutes und
Lefenswerthes über das Synodalwefen der alten Kirche
bei; aber es ift: eine mifsliche Stellung, auf eine durch
die gefchichtliche Entwickelung längft überwundene Stufe
zurückkehren zu wollen und die formale Legitimität innerhalb
der katholifchen Kirche noch feftzuhalten, nachdem
man mit deren Grundlagen doch thatfächlich gebrochen
hat. Um dies zu können mufs der Verf. bereits
nicht allein dem vaticanifchen Concil von 1870, fondern
auch dem Tridentinum und den Lateranconcilien
von 1123 und 1139 die Berechtigung als ökumenifchen
abfprechen.

Fnedberg. K. Koehler.

-

1. Kaftan, Prof. Lic. Jul, Die Predigt des Evangeliums j
im modernen Geistesleben. Bafel 1879, Bahnmaier.
(IV, 96 S. gr. 8.) M. 1. 60.

2. Kaftan, Prof. Lic. Jul., Das Evangelium des Apostels I
Paulus in Predigten der Gemeinde dargelegt. Bafel
1879, Bahnmaier. (VII, 152 S. gr. 8.) M. 2. 40.

Die erftgenannte Schrift ift das Programm der zweiten
, die fich gewiffermafsen als eine praktifche Probe der
in jener entwickelten Anfchauung darfteilt. Der Verf.
geht aus Von dem Gegenfatz des modernen Geifteslebens
gegen das Chriftenthum und fpeciell von der herrfchenden
Gleichgültigkeit der gebildeten Welt auch in ihren
bellen Vertretern gegen die kirchliche Sitte. Sofern
diefe Fintfremdung von Kirche und Gottesdienft religiös-
fittlicher Natur ift und ihren Grund in den beiden Hauptmerkmalen
des modernen Heidenthums, in einer Welt-
anfchauung der Diesfeitigkeit und in dem Widerfpruche
gegen alle Autorität hat, ift eine Ausföhnung mit derselben
unmöglich, ohne das Chriftenthum felbft preiszugeben
, wie es die moderne Theologie thut, die den
Gegenfatz durch Conceffion an das moderne Heidenthum
gerade in der bezeichneten Richtung ausgleichen
will. Dagegen giebt es Anftöfse an den prononcirten
Erfcheinungsformen desChriltenthums feitens unferer Zeit-
genoffen, die nicht auf einem principiellen Gegenfatz
gegen das Chriftenthum felbft beruhen; denn an und
für fich befteht überhaupt kein Widerfpruch zwifchen
der chriftlichen Religion und zwifchen den fpeeififeh

| modernen Ideen, einerfeits der Werthfehätzung der
geiftigen Herrfchaft des Menfchen über die Dinge, d.
h. der Cultur im weiteften Sinne, andererfeits im Zu-
fammenhang damit der Betonung des Rechts und der
felbftändigen Bedeutung der einzelnen Perfönlichkeit,
welche Idee nach ihrem richtigen Grundverftändnifs ins-
befondere der Verf. mit Recht für das Chriftenthum in
Anfpruch nimmt. Die berechtigten Anftöfse unferer
.Modernen' an der mehr oder weniger herrfchenden
Theologie und Predigt findet der Verf. befonders in
zwei Punkten. Zum Erften wendet er fich gegen jenen
noch aus der orthodoxen Periode herftammenden, nicht
blofs in der ftrenggläubigen, fondern auch in der ratio-
naliftifchen Predigt und in derjenigen der modernen
[ Theologie fich vielfach manifeftirtndin Irrthum, nach
welchem das intellectuellc Moment in der chriftlichen
Religion einfeitig betont, das Chriftenthum als Wiffen
verftanden und die Lehre vielmehr als Gegenftand der
Frömmigkeit behandelt wird, ftatt als Ausdruck und als
Mittel für die Pflege derfelben. Den andern Anftofs
findet der Verf. in der falfchen, ungefchichtlichen Geltendmachung
der Autorität der heiligen Schrift, die ihre
autoritative Bedeutung für uns nicht als eine Orakel-
fammlung, als eine Quelle übernatürlichen Willens im
Sinne der traditionellen Infpirationstheorie, fondern als
j die Urkunde der göttlichen Offenbarung habe, deren
Gefchichte fie enthalte und unter welche eine innere Unterwerfung
im Gehorfam des Glaubens zu erwirken die
Aufgabe der Predigt fei. Mit den hier angedeuteten
Principien und mit der Hinwegräumung der entgegen-
ffehenden Irrthümer fei in der Predigt viel mehr Ernft
zu machen, als es gemeinhin noch gefchehe, um die
j Einficht immer mehr zu bethätigen, dafs es fich in der
| Predigt nicht um Theologie, (ondern um chriffliche Re-
I ligion handle, und die chriffliche Wahrheit aus den Feffeln
1 der Scholaftik zu befreien.

Die Tendenz des Verf.'s in diefen zwar ffcllenweife
Heterogenes einmifchenden, aber im Uebrigen trefflichen,
mit Schärfe und Klarheit ausgeführten Darlegungen
können wir nur billigen. Was namentlich den erften
der an der herrfchenden Durchfchnittspredigt beanftan-
deten Punkte anlangt, fo thut es leider noch immer (ehr
Noth, den D octrinärismus zu bekämpfen, der nun einmal
, als der unvermeidliche Schatten einer grofsen Lichtfeite
, zu den Erbfchäden der lutherifchen Kirche gehört,
der mit feiner fog. .objectiven' Predigt die Kanzel zum
Katheder macht, das fchwere Mifsverftändnifs verfchul-
det, als ob nicht Chnftus felbft, fondern die Lehre
von ihm gerecht mache, und jene .Syftcmfrommen' erzeugt
, wie Blumhardt in Bad Boll fo treffend die wohl-
gefchultcn, in den chriftlichen Begriffen und der chriftlichen
Sprache routinirten Chriften bezeichnet. Die Bedeutung
der Lehre und der Erkenntnifs für eine gefunde
Frömmigkeit, die mehr fein foll, als eine .lyrifche Stimmung
', verkennt übrigens der Verf. keineswegs, und hebt
fie wiederholt nachdrücklich hervor. Aber die rechte Erkenntnifs
mufs Erlebnifs fein, nicht Scholaftik, und auf
unfern Kanzeln ift noch viel zu viel Scholaftik, wobei
die Gerechtigkeit verlangt, die oft höchft unfruchtbar
in den Predigten polemifirende und kritifirende Scholaftik
der .modernen Theologie' nicht zu vergeffen. Nicht
minder, als in dem Gegenfatz gegen einfeitige Lehrpredigt
, mufs man dem Verf. bezüglich des zweiten
Punktes darin beiftimmen, dafs durch eine durchaus un-
evangelifche, unvermittelte Geltendmachung der
Autorität der Schrift, die aus ihr einen vom Himmel
gefallenen Lehrcodex macht, der Gegenfatz gegen das
Chriftenthum auch in den befferen Modernen provocirt
wird, und das um fo mehr, als nicht feiten das, was mit
grofser Emphafe als unfehlbares Gotteswort in mancher
.gläubigen' Predigt hingeftellt wird, nichts Anderes ift,
als ein von der Theologie unverdauter Reft aufserchrift-
licher Speculation. Und mit Recht betont der Verf. den